Schalke-Trainer Huub Stevens Wer rettet den Retter?

Huub Stevens gelang auf Schalke keine Trendwende. Mittlerweile stellt sich die Frage: Zeigt das Team trotz des Fanlieblings schlechte Leistungen - oder gerade wegen ihm?
Von Tobias Escher
Schalkes Trainer Huub Stevens während des Spiels gegen Hoffenheim

Schalkes Trainer Huub Stevens während des Spiels gegen Hoffenheim

Foto: Rolf Vennenbernd / DPA

Journalisten nennen Huub Stevens gerne den "Knurrer von Kerkrade". Wer sich Stevens' Pressekonferenzen anschaut, versteht schnell, warum ihn dieser Spitzname auch nach über 20 Jahren in der Bundesliga verfolgt. Selbst wenn er lächelt, zieht er höchstens einen halben Mundwinkel nach oben.

Sein charakteristisches Viertel-Lächeln zeigte Stevens auch, als er vor dem Derby gegen Borussia Dortmund (Samstag, 15.30 Uhr, Liveticker SPIEGEL ONLINE; TV: ARD und Sky) Fragen zum Zustand der Schalker Mannschaft beantwortete . "Ich hoffe, dass wir anfangen mit elf Spielern. Nicht dass einer vergisst, dass es Absprachen gibt." Stevens' Mimik lässt den lakonischen Scherz noch düsterer wirken.

Seine kritischen Äußerungen unterstreichen, wie prekär die Lage auf Schalke ist. Eigentlich hatte der Klub Stevens Mitte März aus dem Ruhestand verpflichtet, um die taumelnde Mannschaft zu stabilisieren. Der als Disziplin-Fanatiker bekannte Stevens sollte eine Mannschaft bändigen, die als menschlich wie fußballerisch schwierig gilt.

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Stevens-Comeback bei Schalke: Die Null muss noch mal stehen

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Doch die Bilanz des Niederländers ist niederschmetternd. Ein glücklicher 1:0-Sieg gegen Schlusslicht Hannover, ein noch glücklicheres 1:1 gegen den Vorletzten aus Nürnberg, dazu vier Niederlagen: Schalke ist auch unter dem neuen Trainer auf dem besten Wege, die schlechteste Saison eines Vizemeisters zu spielen, seit Alemannia Aachen 1970 abstieg.

Warum Schalke nicht auf einem Abstiegsplatz steht? Die Konkurrenz punktet noch schwächer. Dabei sollte mit dem vermeintlichen Abstiegskampf-Spezialisten Stevens der Klassenerhalt aus eigener Kraft gesichert werden.

Stevens hat das klassische Repertoire des Retter-Trainers angewandt: Er hat Spieler suspendiert und wieder begnadigt; Nabil Bentaleb suspendierte er jüngst  sogar zum zweiten Mal in seiner erst sechswöchigen Amtszeit. Junge Spieler wie Nassim Boujellab, 19, und Jonas Carls, 22, feierten ihr Debüt. Stevens stritt sich öffentlichkeitswirksam mit Reportern, zählte seine Spieler an und versuchte, Feuer ins Training zu bringen. Nichts scheint zu fruchten.

Nichts Neues im Westen

Während Stevens in der Außendarstellung als Gegenbild zum ruhigen, fast devoten Domenico Tedeso wirkt, zeichnet sein Wirken auf dem Platz eine überraschende Kontinuität aus. Von seinem Vorgänger übernahm er das taktische 5-3-2-System, das in der Vizemeister-Saison noch so viele Erfolge beschert hatte.

Innovativ ist das Wirken des Niederländers aus fußballerischer Sicht nicht. Schalke verbarrikadiert sich mit der Fünferkette weit in der eigenen Hälfte. "Die Null muss stehen!", lautet Stevens' bekanntes Credo. So lautete jedoch auch das Motto von Tedesco.

Der Fußball hat sich unter Stevens nicht verändert. Wieso sollten dann die Ergebnisse anders sein? Die Gegner haben sich längst auf Schalkes Stil eingestellt. Hoffenheims Trainer Julian Nagelsmann zum Beispiel verzichtete auf ein hohes Pressing. Er vertraute auf Schalkes schwachen Spielaufbau - und fuhr beim 5:2-Sieg goldrichtig mit dieser Strategie. Schalkes Defensive wackelt bedrohlich.

Auffällig sind auch die schwachen Laufwerte der Königsblauen. Unter Stevens sind sie in keinem Bundesligaspiel mehr Kilometer gelaufen als der Gegner. Ihre Bilanz im Jahr 2019 spricht Bände: Vor der Halbzeitpause liegt ihr Torverhältnis bei 7:12, nach der Pause bei 5:17.

Die mangelnde Fitness gehört zu den vielen Problemen, die Stevens vom Vorgänger geerbt hat. Er selbst wird nicht müde zu betonen, wie schlecht der Zustand der Mannschaft sei. Und doch fällt die jüngste Bilanz auch auf Stevens zurück. Wenig ist besser geworden, seit er den Verein übernommen hat. Die Unruhe hat er angesichts seiner Hauruck-Maßnahmen noch verstärkt.

Aus der Zeit gefallen?

Ähnlich wie bei Thomas Doll in Hannover wirken Stevens Schrullen in der Außendarstellung wie aus der Zeit gefallen; so etwa auch seine Bemerkung, seine Enkel würden ihm helfen, auf Seiten wie YouTube oder Twitter Informationen zu suchen. In Augsburg betonten die Spieler jüngst , wie wichtig das positive Auftreten des neuen Trainers Martin Schmidt sei. Seine Leidenschaft und seine positive Aura hätten dazu beigetragen, Augsburg zu zwei Siegen in Serie zu führen. Eine positive Aura hat Stevens noch niemand nachgesagt.

Die jüngsten Leistungen werfen ein anderes Licht auf Stevens' vorherige Trainerstationen. In den vergangenen Jahren erwarb er sich den Ruf als Feuerwehrmann; ein Trainer, der jeden Klub vor dem Abstieg retten kann. In Stuttgart profitierte er jedoch zweimal von schwacher Konkurrenz, u.a. 2014 von einer HSV-Mannschaft, die die schlechteste Saison der Klubgeschichte spielte. In Hoffenheim gelang der Turnaround erst, als Julian Nagelsmann Stevens' Trainerposten übernahm.

Im Derby gegen den BVB geht es für Schalke nicht nur um Wiedergutmachung einer historisch schwachen Saison. Es ist auch für den 65-jährigen Stevens wohl die letzte Chance, seinen Ruf aufzubessern. Mit einem Sieg in Dortmund würde er wieder gefeiert auf Schalke - er, den die Fans dort zum Trainer ihrer "Jahrhundertelf" wählten. Ein letztes Mal wäre er der große Retter.

Sollte es - wie von den kritischen Fans erwartet - schiefgehen, muss Schalke auf die Konkurrenz schielen. Derzeit retten den Retter wieder die schwachen Ergebnisse der Konkurrenz.

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