ISL-Zahlungen Die geheime Liste der Bestechung im Weltsport

Fifa-Boss Blatter: "Der meistgehasste Funktionär"
Foto: Steffen Schmidt/ dpaJahrelang lag er wie eine riesige Spinne über dem internationalen Sport: der frühere Marketingriese ISL und sein Bestechungsnetzwerk - von dem vor allem Spitzenfunktionäre des Weltfußballverbandes Fifa profitierten. Mit Spannung wird daher in diesen Tagen das Urteil der Fifa-Ethikkommission zur ISL-Korruption erwartet. Mehrere ehemals mächtige Fifa-Bosse sind als Bestechungsgeldempfänger enttarnt, konnten bislang jedoch Fifa-Pensionen und Ehrentitel erhalten. Werden sie nun belangt? Wie glaubwürdig ist der von vielen Korruptionsskandalen erschütterte Weltverband?
Die Ethikkommission besteht aus zwei Kammern, einer Ermittlungskammer, die vom ehemaligen US-Bundesstaatsanwalt Michael Garcia geleitet wird, und der Richterkammer, geführt vom Münchner Richter Hans-Joachim Eckert. Garcia hat Eckert Mitte März ein Aktenkonvolut von angeblich 4000 Seiten zukommen lassen.
Der Nachweis, dass mindestens vier aktuelle und ehemalige Mitglieder der Fifa-Exekutive Schmiergeld von der ISL-Gruppe kassiert haben, ist längst erbracht. Gerichtsfest dokumentiert sind folgende Zahlungen:
- 21,9 Millionen Schweizer Franken kassierten der langjährige Fifa-Präsident und heutige Ehrenpräsident João Havelange (Brasilien) und sein ehemaliger Schwiegersohn Ricardo Terra Teixeira.
- Rund 1,1 Millionen Franken kassierte Nicolás Leoz aus Paraguay, Präsident der südamerikanischen Fußball-Konföderation Conmebol.
- 24.700 Franken erhielt Issa Hayatou (Kamerun), Präsident der afrikanischen Konföderation CAF.
Doch die gesamte Liste der ISL-Zahlungen ist weltweit komplett noch nie veröffentlicht worden. SPIEGEL ONLINE tut dies hier exklusiv zum ersten Mal.
Rund 142 Millionen Franken Schmiergeld sind in dieser Liste dokumentiert - das ist aber wohl nur ein Teil der korrupten Geschäfte, die sich aus den Akten rekonstruieren lassen. Der tatsächliche Schmiergeldbetrag dürfte um ein Vielfaches höher gewesen sein. Insgesamt handelt es sich um 216 Transaktionen, wobei nur ein kleiner Teil der Empfänger bekannt ist: Neben den erwähnten vier langjährigen Mitgliedern des Fifa-Exekutivkomitees ist es unter anderem der Kuwaiti Abdul Muttaleb Ahmad, einst Generalsekretär der asiatischen Olympia-Dachorganisation OCA, der zumeist über eine Adresse in Liechtenstein bedient wurde.
Der Verbleib von mehr als 110 Millionen Franken ist weiter unklar. Ermittlungen der Schweizer Staatsanwaltschaft in mehreren Ländern zu Tarnfirmen und Stiftungen wie Monarde, Wando, Seprocom, Kishingchand und anderen blieben erfolglos.
Havelange und Teixeira haben die 21,9 Millionen über Teixeiras Stiftung (Sanud), eine gemeinsame Firma (Renford Investments) und eine Direktüberweisung (an Havelange) erhalten. Die Zahlungen sind unstrittig, weitere Zahlungen gab es sehr wahrscheinlich, sie konnten aber nicht zugeordnet werden. Beide verneinen lediglich eine strafrechtliche Verantwortung.
Korruption damals kein Straftatbestand
In der Tat war Korruption von Sportfunktionären in jenen Jahren nicht strafbar, auch war das ISL-Schmiergeldsystem mit Wirtschaftsprüfern (KPMG), renommierten Zürcher Anwaltskanzleien und der eidgenössischen Steuerverwaltung abgestimmt. Indes hätten Havelange und Teixeira wegen Unterschlagung und ungetreuer Geschäftsbesorgung durchaus mit Zuchthausstrafen rechnen müssen.
Nach einem Deal mit der Staatsanwaltschaft des Kantons Zug wurde im Sommer 2010 das Verfahren gegen Havelange und Teixeira allerdings eingestellt. Auch die Fifa beteiligte sich daran. Teixeira zahlte 2,5 Millionen Franken Wiedergutmachung, die Fifa ebenfalls 2,5 Millionen, Havelange 500.000 Franken. Der Deal wurde in einer sogenannten Einstellungsverfügung besiegelt. Das Schweizer Bundesgericht ordnete im Juli 2012 die Veröffentlichung dieses Deals an.
Blatter wusste von Zahlungen an seinen Vorgänger
Havelange war von 1974 bis 1998 Fifa-Präsident. ISL-Schmiergeldbote Jean-Marie Weber war lange Jahre sein Berater und zählt bis heute zu seinen Vertrauten. Havelange, der im Mai 97 Jahre alt wird und nach dem das Olympiastadion in Rio de Janeiro benannt ist, trat wegen der ISL-Affäre im Dezember 2011 aus dem IOC zurück, um einem Urteil der IOC-Ethikkommission zu entgehen. Sein Nachfolger Blatter hat öffentlich erklärt, der Fifa-Kongress solle Havelange die Ehrenpräsidentschaft entziehen.
Dabei hat Blatter, von 1981 bis 1998 Fifa-Generalsekretär und seither Präsident, nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft vom Schmiergeldsystem gewusst und in einem Fall sogar daran mitgewirkt, dass eine irrtümlich auf einem Fifa-Konto eingegangene Millionensumme unverzüglich auf Havelanges Privatkonto weitergeleitet wurde.
Ricardo Teixeira trat vor einem Jahr unter großem öffentlichem Druck als Präsident des brasilianischen Fußballverbands CBF, Organisationschef der Fußball-WM 2014 und Fifa-Exekutivmitglied zurück. Er ist in zahlreiche andere spektakuläre Korruptionsaffären verwickelt, lebt derzeit im Exil in Miami, soll aber noch immer ins Tagesgeschäft des CDF involviert sein.
24.700 Franken für eine Geburtstagsfeier
Der 84-jährige Nicolás Leoz, seit 27 Jahren Südamerikas Fußball-Pate, hat zu den ISL-Zahlungen stets geschwiegen. Für ihn stehen zwischen 1997 und 2000 fünf Tranchen von insgesamt 1.075.625 Schweizer Franken in den Akten. Leoz, der sich gerade erst auf Lebenszeit zum Conmebol-Boss gekürt hatte, trat am 23. April aus dem Exekutivkomitee zurück. Laut Fifa waren "persönliche und gesundheitliche Gründe" ausschlaggebend. Tatsächlich wollte Leoz, wie zuvor Havelange und Teixeira, nur einer Bestrafung durch Eckerts Ethikkammer entgehen.
Für Issa Hayatou (66), der seit 26 Jahren Afrikas Konföderation Caf führt und sich gerade wieder im Amt bestätigen ließ, stehen vergleichsweise bescheidene 24.700 Franken zur Disposition. Hayatou hat dieses Geld im Februar 1995 von Weber erhalten und will es für die Feierlichkeiten zum 40. Caf-Geburtstag verwendet haben. Dies hat er, selbst IOC-Mitglied, vor zwei Jahren der IOC-Ethikkommission erklärt.
Barzahlungen seien zu dieser Zeit in vielen Ländern "gängige Praxis" gewesen, schrieb Hayatou. Das IOC-Exekutivkomitee sprach gegen ihn im Dezember 2011 eine Verwarnung aus. Hayatou beschäftigt den damaligen Schmiergeldboten Weber in der CAF immer noch als Berater für verschiedene Projekte.
Blatter trägt die Hauptverantwortung
Wie wird nun also die Fifa-Ethikkommission gegen Havelange, Teixeira, Leoz und Hayatou entscheiden? Es geht nicht nur um Schmiergeld, sondern auch darum, dass diese Funktionäre für ihr angebliches Ehrenamt fürstlich entlohnt und mit hohen Pensionen bedacht werden. Spannend ist zudem die Frage, wie Ethikchef Eckert, der als Richter in München unter anderem mit dem spektakulären Siemens-Korruptionssystem befasst war, den Fall Joseph Blatter beurteilt.
Blatter trägt als Generalsekretär und Präsident die Hauptverantwortung für die "mangelnde Organisation des Unternehmens" Fifa und die "Unterlassung strikter interner Reglementierungen", wie die Staatsanwaltschaft in der Einstellungsverfügung formulierte. Dadurch wurde "verhindert, die Täter zu eruieren".
Zur ISL-Korruption hat er allerdings mehrfach öffentlich die Unwahrheit gesagt und in Interviews beispielsweise behauptet, er habe von der Millionenzahlung an Havelange auf ein Fifa-Konto nichts gewusst.
Aber mittlerweile verkauft sich Blatter als der Reformer und Saubermann des Weltfußballs. Hochinteressant, dass rund um die erste Wahl Blatters im Juni 1998 auf dem Fifa-Kongress in Paris mehr als acht Millionen Schweizer Franken von der ISL verteilt wurden. Außerdem hat der langjährige Fifa-Vizepräsident Jack Warner aus Trinidad und Tobago gerade enthüllt, dass er damals vom scheidenden Fifa-Chef Havelange sechs Millionen Dollar erhalten hat, um 30 Stimmen aus Nordamerika und der Karibik für Blatters Wahl zu liefern. Neues Material für den Fifa-Ethikchef Hans-Joachim Eckert.
Blatter sei der "meistgehasste Funktionär der Fifa" gewesen, erklärte Warner süffisant.
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Lesen Sie im zweiten Teil: Wie das Schmiergeldsystem der ISL funktionierte - und wer profitierte.