
Fifa-Entscheid Russland bejubelt sein WM-Wintermärchen
- • 2018 und 2022: Fußball-WM kommt nach Russland und Katar
- • Favoritensterben bei der EM: Russland schießt Niederlande aus dem Turnier
Kaum hat die Fifa ihre Entscheidung bekannt gegeben, da stürmen auch schon Grüppchen jubelnder Moskauer über die Twerskaja-Straße, die Prachtmeile im Herzen der russischen Hauptstadt. "Endlich haben wir es geschafft", ruft Konstantin Dmitrijew und schwenkt eine weiß-blau-rote Fahne, Russlands Trikolore. Die Mütze hat der 19-Jährige bei 20 Grad Frost zu Hause vergessen, die Fahne aber am Morgen eingepackt.
Dmitrijew hatte gehofft, dass sein Land am Nachmittag im fernen Zürich wirklich den Zuschlag bekommt. Seine Hoffnung hat sich erfüllt. Dmitrijew strahlt, trotz der Kälte, dann läuft er weiter, in Richtung des Roten Platzes und des Kreml.
Russland darf die Fußball-Weltmeisterschaft 2018 ausrichten. Fast drei Jahrzehnte nach dem Fall des Eisernen Vorhangs wird das wichtigste Turnier der Welt erstmals in Osteuropa ausgetragen. Es ist ein Sieg für eine leidgeprüfte Fußballnation: Zwei Mal erst hat Russland an einer WM teilnehmen können, 1994 und 2002, zwei Mal scheiterte die "Sbornaja" bereits in der Vorrunde.
Bei der Europameisterschaft 2008 brillierten Andrej Arschawin und Co. zwar mit modernem Angriffsfußball und schlugen im Viertelfinale die favorisierten Niederländer 3:1 nach Verlängerung. Weitere Großtaten bei der Weltmeisterschaft in Südafrika in diesem Sommer aber verhinderten die Deutschen, die das entscheidende Qualifikationsspiel in Moskau knapp 1:0 für sich entschieden.
"Heldentat" titelt jetzt der "Sport-Express", die größte Fußball-Fachzeitschrift, tägliche Lieblingslektüre von mehreren Hunderttausend Lesern. Nun gelte es "nicht nur die Stadien zu modernisieren, sondern das ganze Land", schreibt das Blatt. "Zum Glück liegen noch acht Jahre vor uns."
Immerhin, Deutschlands einziger Fußball-Legionär in Russland sieht den Sport in seiner neuen Wahlheimat schon auf dem Vormarsch: Seit dem Sommer spielt Kevin Kuranyi für Dynamo Moskau, neun Tore hat der frühere Nationalspieler in 16 Spielen erzielt. "Die WM wird noch mal eine richtige Schubkraft entwickeln", sagt Kurayni, "das Turnier wird in der Bevölkerung große Euphorie auslösen." Der ehemalige Schalker musste oftmals bei Dynamo-Heimspielen vor gerade einmal 6000 Zuschauern auflaufen.
In der Moskauer Sport-Kneipe "Probka" ("Stöpsel") wird schon jetzt gefeiert. Hier, in der Nähe des Kiewer Bahnhofs, treffen sich die Fußballbegeisterten der russischen Hauptstadt bei Warsteiner Pils und tschechischem Krusovice-Bier. Auf einer schwarzen Tafel in der Mitte des Saals aus rotem Ziegelstein stehen die Paarungen, die auf zwei großen Leinwänden übertragen werden: russische Meisterschaft an den Wochenenden, unter der Woche meist englische Premier-League-Spiele oder Europapokal.
Kellner Michail, 21, hastet zwischen Ledersesseln und den bereits geschmückten Weihnachtsbäumen umher. Die Vergabe der WM sei "wie ein Geschenk" für sein Land, sagt er. "Das wird dem Fußball bei uns Auftrieb geben, so wie 2006 in Deutschland. Noch mehr Menschen werden sich für den Sport interessieren - und wir bekommen neue Kunden."
Russland sei an diesem Tag überglücklich, schwärmt der frühere russische Nationalspieler Sergej Kirjakow, viele Jahre in der Bundesliga aktiv. Für viele Fans ist der Rotschopf noch heute das Gesicht des russischen Fußballs. "Die Fifa hat eine weise Entscheidung getroffen", freut sich Kirjakow, "wir brauchten dieses Turnier doch viel dringender als England. Die haben doch sowieso schon wundervolle Stadien und eine gute Infrastruktur."
Knapp vier Milliarden Dollar für den Bau der Stadien
Mit 16 Stadien hat sich Russland bei der Fifa beworben, 13 davon existieren noch gar nicht, die anderen drei Arenen müssen renoviert werden. Knapp vier Milliarden Dollar will sich der russische Staat allein den Bau der Spielstätten kosten lassen.
Es ist nicht das einzige Spektakel in den kommenden Jahren, für das der Kreml tief in die Taschen greift. Russland richtet 2012 das Gipfeltreffen der Staatschefs der Asiatisch-Pazifischen Organisation für Zusammenarbeit aus - und betoniert zu diesem Zwecke einen komplett neuen Stadtteil auf eine Pazifikinsel vor der Stadt Wladiwostok, Eliteuniversität und Kraftwerk inklusive. Kostenpunkt: 15 Milliarden Dollar.
Im darauf folgenden Jahr gastiert die Leichtathletik-WM in Russland, 2014 folgen die Olympischen Winterspiele in Sotschi. Am Schwarzen Meer werden danach auch schnelle Boliden starten, so haben es Premierminister Wladimir Putin und Formel-1-Boss Bernie Ecclestone verabredet. Den passenden Rennparcours muss Russland natürlich erst noch bauen.
Auch für die Fußball-WM 2018 hat sich Putin sehr engagiert und fast jedes Mitglied der Fifa-Kommission selbst getroffen. Für Moskaus starken Mann sind solche Großprojekte ein einigendes Band für ein Land, das auch zwei Jahrzehnte nach dem Ende der Sowjetunion noch immer auf der Suche nach seiner Identität ist.
Selbst während der Blockade von Leningrad, dem heutigen St. Petersburg, durch deutsche Truppen im Zweiten Weltkrieg hätten die Menschen in der Stadt noch Fußball gespielt, so ein überglücklicher Putin nach der Entscheidung. "Das sagt alles über das Verhältnis der Russen zum Fußball."
Trotz aller Begeisterung: Bis 2018 muss Russland auch seine massiven Infrastrukturprobleme in den Griff bekommen. So leidet Moskau unter scheinbar endlosen Autokolonnen. Staus sind alltäglich. Zudem fehlt es an Trassen für Hochgeschwindigkeitszüge und in vielen der 14 Spielorte an Hotelzimmern.
Immerhin wird Russlands berüchtigte Bürokratie den Fans aus dem Ausland 2018 wohl nicht die Einreise erschweren, sie sollen ihr Visum gleich mit dem Stadionticket bekommen. "Die meisten Deutschen kennen mein Land nur aus der Zeitung oder dem Fernsehen", sagt Kirjakow. "Ich will die Fans aus Deutschland einladen. Sie werden dann ein aufstrebendes, sympathisches Land kennenlernen, das die Chance nutzt, die ihm die WM bietet. Es wird ihnen gefallen."
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Gratulation: Fifa-Präsident Blatter beglückwünscht den stellvertretenden russischen Premierminister Igor Schuwalow zur Wahl
Ausgelassene Freude: Die russische Delegation jubelt nach der Bekanntgabe der Wahl.
Feierstimmung in einer Sportkneipe in Moskau: Die Vergabe an Russland wird von Fans begeistert begrüßt.
Auf den Straßen Moskaus brach umgehend Jubel aus. Die Menschen schwenken weiß-blau-rote Fahnen ...
... und lassen Laternen in den Abendhimmel steigen.
Die Freude ist riesig - aber die Aufgabe, die vor Russland liegt, auch: Mit 16 Stadien hat sich das Land bei der Fifa beworben, 13 davon existieren noch gar nicht, die anderen drei Arenen müssen renoviert werden.
Russland stehen sportliche Jahre bevor. 2013 gastiert die Leichtathletik-WM hier, 2014 die Olympischen Winterspiele in Sotschi. Am Schwarzen Meer werden danach die Boliden der Formel-1 ihre Runden drehen. Und 2018 nun also die Fußball-WM.
Freude über die Entscheidung auch vor den Fernsehern in Russland. Premier Wladimir Putin setzt darauf, dass solche Großprojekte ein einigendes Band für ein Land bilden, dass auch zwei Jahrzehnte nach dem Ende der Sowjetunion noch immer auf der Suche nach seiner Identität ist.
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