
Beckenbauer-Film Eine Lichtgestalt. Nur wo sind die Schatten?
- • Tod mit 46 Jahren: Trauer um Stephan Beckenbauer
- • WM-Vergabe an Deutschland 2006: Best of Ungereimtheiten
Die Szene zeigt den jungen Fußballer Franz Beckenbauer im München der Sechzigerjahre. Er wird gefragt, was er später, nach der Sportlerkarriere, mal machen wolle. Auf jeden Fall nichts mit Fußball, versichert Beckenbauer mit ernster Miene, "der Trainerberuf kommt für mich nicht in Frage".
Was für ein Fund, diese Aufnahme. Entstanden mehr als 20 Jahre bevor Beckenbauer die deutsche Nationalmannschaft in Italien als Teamchef zum WM-Titel führte. Die Sequenz von Beckenbauer, als er nach dem WM-Finale 1990 allein über den Rasen des Römer Olympiastadions schreitet, darf anschließend natürlich nicht fehlen.
Rom, München, dazu Salzburg, London und New York: Ein Jahr lang hat Regisseur Thomas Schadt für seinen Film "Fußball - ein Leben: Franz Beckenbauer" den berühmtesten deutschen Fußballer der Geschichte an die Originalschauplätze seines Lebens begleitet (weil die Dreharbeiten im Mai 2015 abgeschlossen wurden, behandelt der Film nicht den Tod von Beckenbauers Sohn Stephan). Herausgekommen ist ein 90-minütiges Porträt, das die ARD am Sonntagabend um 21.45 Uhr anlässlich von Beckenbauers 70. Geburtstag zeigt. Es ist ein sehenswerter Film geworden.
Charmeur mit einem Hang zur Cholerik
Die Herausforderung bei so einem Projekt besteht ja nicht darin, genügend Material zusammenzubekommen. Von Beckenbauer gibt es schließlich ungezählte Interviews, Spielszenen, Werbeclips und Anekdoten. Die Schwierigkeit ist, zu sichten, auszuwählen und alles mit dem neu gefilmten Material zu arrangieren und zu komponieren. Das ist Schadt gelungen.
Der Film zeichnet das Bild eines charmanten, witzigen, mitunter ungeduldigen Menschen mit einem Hang zur Cholerik. Schadts Wechsel zwischen damals und heute sind stimmig, etwa wenn er Beckenbauers Ankunft bei New York Cosmos 1977 zeigt und in der nächsten Szene mit ihm im Central Park dreht. Und auch dort: Beckenbauer wird erkannt, überall, ständig.
Vor allem die jüngeren Zuschauer dürften darüber staunen, was für ein herausragender Fußballer der "Kaiser" war. "Er hat bestimmt, was der Ball macht und nicht umgekehrt", sagt Uli Hoeneß, einer von vielen Weggefährten, die im Film zu Wort kommen. Ein anderer ist Günter Netzer. Dessen erzählerisches Talent kombiniert mit seinem Hang zur Selbstironie gehört zu den Highlights des Films.
Ungereimtheiten um die Vergabe der WM 2006
Regisseur Schadt geht in seiner Arbeit chronologisch vor. Nach dem Fußballer Beckenbauer kommt der Teamchef Beckenbauer, es folgt der Funktionär Beckenbauer. Dieser Abschnitt ist die Schwäche des Films, der die Kontroversen und die Schatten, die es seit Jahren im Leben der Lichtgestalt gibt, ausblendet und unerwähnt lässt.
Beckenbauer, Chef des Organisationskomitees für die Weltmeisterschaft 2006, wird als Vielflieger inszeniert, der die Welt bereiste, um die Stimmen für die deutsche Bewerbung einzusammeln und das Turnier nach Deutschland zu holen. Dass es auch Ungereimtheiten rund um die WM-Vergabe gab, kommt nicht zur Sprache.
Dafür, und das ist dann überaus unglücklich, darf der heutige DFB-Präsident Wolfgang Niersbach den damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder loben, dieser hätte 100 Millionen Euro für die Stadien in Berlin und Leipzig besorgt. Schröder war es aber auch, der dafür sorgte, dass Deutschland im Vorfeld der WM-Vergabe 1200 Panzerfäuste nach Saudi-Arabien lieferte. Dem Fifa-Exekutivkomitee, das Deutschland zum Ausrichter machte, gehörte damals auch der Saudi Abdullah Khalid Al Dabal an.
Gazprom und Sklaven bleiben unerwähnt
Beckenbauer selbst durfte später als Fifa-Exekutiv-Mitglied über die Vergabe der WM-Turniere 2018 und 2022, die an Russland beziehungsweise Katar gingen, mit abstimmen. Bis heute hat Beckenbauer nicht verraten, wem er seine Stimme gegeben hat, auch der Film liefert in dieser Sache nichts Neues. Er erwähnt auch nicht, dass Beckenbauer später Botschafter des umstrittenen russischen Energieriesen Gazprom wurde. Und Beckenbauers skandalöses Statement, er habe bei einem Besuch in Katar keine Arbeitssklaven gesehen? Ausgespart.
Zu all dem habe Beckenbauer bei den Dreharbeiten nichts Neues gesagt, für den Zuschauer wäre "der Erkenntniswert 0,0", verteidigt Produzent Nico Hoffmann die Auswahl des Materials. Man kenne doch die Antworten, das "kann man sich tausendfach bei YouTube ansehen". Der Protagonist darf aber erklären, warum er einen Fragenkatalog der Fifa nicht beantwortet hatte und daraufhin gesperrt wurde. Eine Beantwortung "erschien ihm unlogisch", verteidigt Marcus Höfl. Er ist Beckenbauers Manager.
Am Ende bleibt das Gefühl, einen beeindruckenden Film gesehen zu haben, bei dem etwas fehlt. Es hätte nicht fehlen müssen, denn die Bilder von den Erfolgen sind so stark, die Person Beckenbauer so groß, dass sie kritische Szenen und Worte ausgehalten hätten.
"Es wird zu seinem 70. Geburtstage ja ein umfassendes Bild von Franz Beckenbauer geben", sagt Produzent Hofmann. Nur der Film liefert das nicht. Schade.
"Fußball - ein Leben: Franz Beckenbauer", Sonntag, 21.45 Uhr, ARD
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Der junge Franz Beckenbauer im Trikot des FC Bayern. Als 13-Jähriger war er vom SC 1906 München zum FCB gewechselt. Beckenbauer debütierte mit 18 Jahren in der ersten Mannschaft der Bayern. Das war am 6. Juni 1964 am ersten Spieltag der Aufstiegsrunde zur Bundesliga. Im Spiel gegen den FC St. Pauli (4:0) erzielte Beckenbauer auch gleich sein erstes Pflichtspieltor.
Beckenbauers Stern ging bei der WM 1966 in England auf, wo er als 20-Jähriger groß aufspielte. In dieser Szene schirmt er den Ball im Finale vor Jack Charlton (Nummer 9) ab. Deutschland verlor das Endspiel 2:4 nach Verlängerung, der dritte englische Treffer durch Geoff Hurst war das berühmte Wembley-Tor. Beckenbauer wurde mit vier Treffern Dritter der Torschützenliste.
Bei der WM 1970 verletzte sich Beckenbauer im Halbfinale gegen Italien an der Schulter. Weil das Auswechselkontingent jedoch erschöpft war, musste er mit verbundener Schulter das sogenannte "Jahrhundertspiel" zu Ende bringen. Deutschland verlor 3:4 nach Verlängerung.
Mit den Bayern war Beckenbauer 1969, 1972 und 1973 Deutscher Meister geworden, 1974 folgte Titel Nummer vier. Es war jenes Jahr, als die Münchner auch erstmals den Europapokal der Landesmeister gewannen. Zum Team gehörten damals: (hinten v.l.) Franz Beckenbauer, Viggo Jensen, Rainer Zobel, Georg Schwarzenbeck, Franz Roth, Gerd Müller, Paul Breitner, Uli Hoeneß und Trainer Udo Lattek. Kniend (v.l.): Jupp Kapellmann, Bernd Dürnberger, Sepp Maier und Johnny Hansen.
WM-Finale 1974: In München traf Gastgeber Deutschland auf die Niederlande. In dieser Szene rettete Torwart Sepp Maier vor Johan Cruyff, Beckenbauer (l.) muss nicht mehr eingreifen.
Deutschland gewann das Endspiel 2:1, anschließend durfte Kapitän Beckenbauer den WM-Pokal in die Höhe stemmen.
Beckenbauer in seiner letzten Saison bei den Bayern 1976/1977. National hatte Borussia Mönchengladbach den Münchnern den Rang abgelaufen. Der Sieg im Landesmeister-Wettbewerb 1976 und der Weltpokalsieg im selben Jahr waren die letzten Titel, die Beckenbauer mit den Bayern gewann.
Der 30-jährige Beckenbauer wechselte in die US-Liga zu New York Cosmos, wo er unter anderem mit Pelé spielte. Dreimal wurde er mit dem Klub Meister (1977, 1978 und 1980).
1980 kehrte Beckenbauer in die Bundesliga zurück und spielte noch zwei Jahre für den Hamburger SV, mit dem er 1982 seinen fünften Meistertitel holte. Anschließend spielte er noch ein Jahr für Cosmos, ehe er im September 1983 seine Karriere beendete. Ein Jahr später wurde Beckenbauer dann Teamchef der deutschen Nationalmannschaft. Trainer durfte er sich aufgrund des fehlenden Scheins nicht nennen.
Und das war der Kader für Beckenbauers erstes großes Turnier als Teamchef: die WM 1986 in Mexiko. Allerdings musste der Torwart mit dem gelben Trikot vorzeitig nach Hause. Nachdem Uli Stein vom HSV Beckenbauer als "Suppenkasper" bezeichnet hatte, schmiss der Teamchef den Ersatzkeeper aus dem Team.
WM 1990, Mailand, Giuseppe-Meazza-Stadion: Beckenbauer vor dem Anpfiff des ersten Gruppenspiels gegen Jugoslawien. Deutschland gewann 4:1 und war spätestens nach diesem Auftakt Turnierfavorit.
Am Ende holte das deutsche Team dann den Titel, Kapitän Lothar Matthäus bekam den Pokal überreicht. Links hinter ihm Beckenbauer.
Hier freut sich Beckenbauer mit Wolfgang Niersbach nach dem WM-Gewinn im römischen Olympiastadion. Niersbach war damals Pressechef des DFB, heute ist er Präsident des Verbandes.
Beim FC Bayern trafen sich Beckenbauer und Matthäus später wieder. Zweimal sprang der "Kaiser" als Interimstrainer bei den Münchnern ein, 1994 und 1996 (Foto).
Ab 1994 war Beckenbauer Präsident des FC Bayern und bekleidete dieses Amt bis 2009. Zusammen mit Manager Uli Hoeneß (l.) und Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge bildete er das Dreigestirn der Bayern. 2003 präsentierten sie die Meisterschale.
Nach dem WM-Gewinn als Spieler und Teamchef nahm Beckenbauer um die Jahrtausendwende sein drittes Weltmeisterschafts-Projekt in Angriff: Das Turnier 2006 nach Deutschland holen. Dafür reiste er um die Welt und traf hochrangige Funktionäre, unter anderem im Jahr 2000 den damaligen Fifa-Vizepräsidenten Mohammed bin Hammam, der später in Affären um Schmiergeldzahlungen verwickelt war.
Deutschland bekam tatsächlich den Zuschlag für die WM, allerdings gibt es bis heute Ungereimtheiten rund um die Vergabe. Vor allem Wirtschaftsdeals von Deutschland mit anderen Ländern werfen die Frage auf, ob es dafür die Stimmen im Fifa-Exekutivkomitee gab.
Um bei der WM möglichst viele Spiel live zu sehen, reiste Beckenbauer im Helikopter durch die Republik.
Er war am 8. Juli 2006 auch in Stuttgart, wo Deutschland das Spiel um Platz drei gegen Portugal gewann (3:1). Beckenbauer gratulierte Bundestrainer Jürgen Klinsmann, der unter dem "Kaiser" 1990 Weltmeister geworden war.
Beckenbauer war bedingt durch seine sportliche Popularität immer auch eine Figur des gesellschaftlichen Lebens. Auf diesem Foto posiert er 2007 in der Dresdner Semperoper mit dem mittlerweile verstorbenen Schauspieler Maximilian Schell (Mitte) und dem früheren Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher.
Beckenbauer und Hoeneß 2013: In jenem Jahr wurde publik, dass Hoeneß Steuern in Millionenhöhe hinterzogen hat. Er wurde später angeklagt. Vor dem Urteil sagte Beckenbauer über seinen jahrzehntelangen Weggefährten: "Ich kann nur hoffen, dass es gut für ihn ausgeht und das Gericht sich von seiner menschlichen Seite zeigt. Der Uli ist ein wunderbarer Mensch." Hoeneß wurde aber zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Als TV-Experte bei Sky ist Beckenbauer dem Fußball weiter verbunden. Dieser Job lässt ihm aber genügend Zeit, sich anderweitig zu engagieren, etwa für die Bewerbung Münchens für die Olympischen Winterspiele 2022 (Aufnahme von 2013 mit der damaligen Staatskanzleiministerin Christine Haderthauer).
Nun feiert Franz Beckenbauer, der am 11. September 1945 geboren wurde, seinen 70. Geburtstag.
Trotz seines runden Geburtstages ist 2015 für Beckenbauer ein trauriges Jahr. Sein Sohn Stephan starb mit 46 Jahren an den Folgen eines Gehirntumors.
Nach dem WM-Gewinn als Spieler und Teamchef nahm Beckenbauer um die Jahrtausendwende sein drittes Weltmeisterschafts-Projekt in Angriff: Das Turnier 2006 nach Deutschland holen. Dafür reiste er um die Welt und traf hochrangige Funktionäre, unter anderem im Jahr 2000 den damaligen Fifa-Vizepräsidenten Mohammed bin Hammam, der später in Affären um Schmiergeldzahlungen verwickelt war.
Foto: AFPMelden Sie sich an und diskutieren Sie mit
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