Beckenbauer und der DFB Kaiserdämmerung


Es ist nur ein kurzes Statement, aber es steckt sehr viel mehr dahinter: "Ich hätte es mir nie vorstellen können. Ich habe immer daran geglaubt, dass wir die WM 2006 auf saubere Art bekommen haben." Das schreibt der Chef der "Sport Bild", Alfred Draxler, in seiner neuen Kolumne.
Es ist eine Art Abschiedsbrief. Nicht nur von einem Journalisten, der bis zuletzt treu zu seinem "langjährigen Freund" Franz Beckenbauer gestanden hat. Es ist ein Abschiedsbrief: Der Fußball in Deutschland und Franz Beckenbauer, über 50 Jahre eine schier unauflösliche Verbindung, geben ihre Scheidung bekannt.
Der Weltmeisterspieler, der Weltmeistertrainer, der Mann, der die WM nach Deutschland holte, der Kaiser, der Schorsch Aigner, die Lichtgestalt, der "Bild"-Kolumnist - Franz Beckenbauer ist die gelebte Sozialgeschichte des deutschen Fußballs. Er hat den Fußball in Deutschland verkörpert, er hat ihn repräsentiert wie kein zweiter. Und zwar in allen Grundierungen, hell wie dunkel. Der Kaiser war eben auch derjenige, der in Katar keine Sklaven gesehen hat, der Skandale einfach weglächelte. Gelebte Nonchalance. Was nicht passt, wird passend gemacht. Trainerschein als Bundestrainer? Braucht er doch nicht. Verziehen hat man ihm das alles. Er war ja der Kaiser. Er ist der Franz. Einer wie ich. So hieß seine Autobiografie in den Siebzigerjahren.
Viele Karrieren in Beckenbauers Schatten
Viele im deutschen Fußball haben ihre Karriere in seinem Schatten gemacht. Draxler gehört sicher dazu - die "Bild"-Zeitung ohne Beckenbauer, das war nicht vorstellbar - , aber auch Wolfgang Niersbach, bis zum Montag der DFB-Präsident. Mediendirektor, als Beckenbauer bei der Nationalmannschaft das Sagen hatte, Vizepräsident im Organisationskomitee unter Beckenbauer. Eine Karriere von des Kaisers Gnaden.
Das Wort von der Seilschaft mag zu böse sein, aber das Bild ist nicht falsch: Der Bergführer Beckenbauer, der sie zum Gipfel geführt hat, hat sie jetzt abstürzen lassen. Niersbach ist seinen DFB-Job los und seine internationalen Karriereambitionen auch, Draxlers totaler Einsatz für den Franz in der publizistischen Auseinandersetzung mit dem SPIEGEL hat ihm journalistisch geschadet. Am Dienstag hat sich Draxler via Twitter beim SPIEGEL entschuldigt.
Die Versuchung, den Helden des Sports auch anschließend zu folgen, ihnen zu vertrauen, komme, was wolle, ist groß. Beckenbauer, seine Eleganz auf dem Platz, sein natürlicher Führungsanspruch, seine Ausnahmestellung, sein Gespür als Teamchef - diesen Bonus hat er sein Leben lang behalten. Wie andere auch.
Beckenbauer, Platini, Coe - ein Muster
Michel Platini, der Künstler auf dem Feld, der Europameister 1984, ein Charmeur wie Beckenbauer - und doch hat er als Uefa-Chef getrickst ohne Ende. Sebastian Coe, wie geschmeidig lief er über die Mittelstrecke, welch große Duelle hat er sich mit seinem Landsmann Steve Ovett geleistet. Jetzt als Verbandsboss tut er, als habe er nie gewusst, wie in der Wurzel verdorben die organisierte Leichtathletik geworden ist.
Manchmal sind es vielleicht doch eher die "graugesichtigen Verwalter", wie die "FAZ" es nennt, die den Sport weiterbringen. Die kleinen Funktionäre, die sich gar nicht erst trauen, die großen Tricksereien anzufangen, weil sie viel zu viel Angst um ihre Karriere haben. Beckenbauer, Platini und die anderen haben im Sport so viel Anerkennung, Bewunderung, gar Liebe erfahren - irgendwann glauben sie, sie können sich daher mehr erlauben als andere. Und bisher sind sie damit auch durchgekommen.
Das könnte sich jetzt ändern. Dieses Jahr 2015, das die Fifa, die Uefa und jetzt auch den DFB in ihren alten Strukturen erschüttert hat, könnte eine Zäsur sein. Vielleicht ist der Status der Götter des Sports doch nicht unendlich. Beckenbauer wird immer ein großer Spieler bleiben, einer der Größten, er wird immer der bleiben, der über den Rasen des Römer Olympiastadions spaziert, aber sein Name wird jetzt auch in Zusammenhang mit den schmutzigen Tricks der WM-Vergabe haften bleiben.
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Der junge Franz Beckenbauer im Trikot des FC Bayern. Als 13-Jähriger war er vom SC 1906 München zum FCB gewechselt. Beckenbauer debütierte mit 18 Jahren in der ersten Mannschaft der Bayern. Das war am 6. Juni 1964 am ersten Spieltag der Aufstiegsrunde zur Bundesliga. Im Spiel gegen den FC St. Pauli (4:0) erzielte Beckenbauer auch gleich sein erstes Pflichtspieltor.
Beckenbauers Stern ging bei der WM 1966 in England auf, wo er als 20-Jähriger groß aufspielte. In dieser Szene schirmt er den Ball im Finale vor Jack Charlton (Nummer 9) ab. Deutschland verlor das Endspiel 2:4 nach Verlängerung, der dritte englische Treffer durch Geoff Hurst war das berühmte Wembley-Tor. Beckenbauer wurde mit vier Treffern Dritter der Torschützenliste.
Bei der WM 1970 verletzte sich Beckenbauer im Halbfinale gegen Italien an der Schulter. Weil das Auswechselkontingent jedoch erschöpft war, musste er mit verbundener Schulter das sogenannte "Jahrhundertspiel" zu Ende bringen. Deutschland verlor 3:4 nach Verlängerung.
Mit den Bayern war Beckenbauer 1969, 1972 und 1973 Deutscher Meister geworden, 1974 folgte Titel Nummer vier. Es war jenes Jahr, als die Münchner auch erstmals den Europapokal der Landesmeister gewannen. Zum Team gehörten damals: (hinten v.l.) Franz Beckenbauer, Viggo Jensen, Rainer Zobel, Georg Schwarzenbeck, Franz Roth, Gerd Müller, Paul Breitner, Uli Hoeneß und Trainer Udo Lattek. Kniend (v.l.): Jupp Kapellmann, Bernd Dürnberger, Sepp Maier und Johnny Hansen.
WM-Finale 1974: In München traf Gastgeber Deutschland auf die Niederlande. In dieser Szene rettete Torwart Sepp Maier vor Johan Cruyff, Beckenbauer (l.) muss nicht mehr eingreifen.
Deutschland gewann das Endspiel 2:1, anschließend durfte Kapitän Beckenbauer den WM-Pokal in die Höhe stemmen.
Beckenbauer in seiner letzten Saison bei den Bayern 1976/1977. National hatte Borussia Mönchengladbach den Münchnern den Rang abgelaufen. Der Sieg im Landesmeister-Wettbewerb 1976 und der Weltpokalsieg im selben Jahr waren die letzten Titel, die Beckenbauer mit den Bayern gewann.
Der 30-jährige Beckenbauer wechselte in die US-Liga zu New York Cosmos, wo er unter anderem mit Pelé spielte. Dreimal wurde er mit dem Klub Meister (1977, 1978 und 1980).
1980 kehrte Beckenbauer in die Bundesliga zurück und spielte noch zwei Jahre für den Hamburger SV, mit dem er 1982 seinen fünften Meistertitel holte. Anschließend spielte er noch ein Jahr für Cosmos, ehe er im September 1983 seine Karriere beendete. Ein Jahr später wurde Beckenbauer dann Teamchef der deutschen Nationalmannschaft. Trainer durfte er sich aufgrund des fehlenden Scheins nicht nennen.
Und das war der Kader für Beckenbauers erstes großes Turnier als Teamchef: die WM 1986 in Mexiko. Allerdings musste der Torwart mit dem gelben Trikot vorzeitig nach Hause. Nachdem Uli Stein vom HSV Beckenbauer als "Suppenkasper" bezeichnet hatte, schmiss der Teamchef den Ersatzkeeper aus dem Team.
WM 1990, Mailand, Giuseppe-Meazza-Stadion: Beckenbauer vor dem Anpfiff des ersten Gruppenspiels gegen Jugoslawien. Deutschland gewann 4:1 und war spätestens nach diesem Auftakt Turnierfavorit.
Am Ende holte das deutsche Team dann den Titel, Kapitän Lothar Matthäus bekam den Pokal überreicht. Links hinter ihm Beckenbauer.
Hier freut sich Beckenbauer mit Wolfgang Niersbach nach dem WM-Gewinn im Olympiastadion in Rom. Niersbach war damals Pressechef des DFB, heute ist er Präsident des Verbandes.
Beim FC Bayern trafen sich Beckenbauer und Matthäus später wieder. Zweimal sprang der "Kaiser" als Interimstrainer bei den Münchnern ein, 1994 und 1996 (Foto).
Ab 1994 war Beckenbauer Präsident des FC Bayern und bekleidete dieses Amt bis 2009. Zusammen mit Manager Uli Hoeneß (l.) und Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge bildete er das Dreigestirn der Bayern. 2003 präsentierten sie die Meisterschale.
Nach dem WM-Gewinn als Spieler und Teamchef nahm Beckenbauer um die Jahrtausendwende sein drittes Weltmeisterschafts-Projekt in Angriff: Das Turnier 2006 nach Deutschland holen. Dafür reiste er um die Welt und traf hochrangige Funktionäre, unter anderem im Jahr 2000 den damaligen Fifa-Vizepräsidenten Mohammed bin Hammam, der später in Affären um Schmiergeldzahlungen verwickelt war.
Deutschland bekam tatsächlich den Zuschlag für die WM, allerdings gibt es bis heute Ungereimtheiten rund um die Vergabe. Vor allem Wirtschaftsdeals von Deutschland mit anderen Ländern werfen die Frage auf, ob es dafür die Stimmen im Fifa-Exekutivkomitee gab.
Um bei der WM möglichst viele Spiele live zu sehen, reiste Beckenbauer im Helikopter durch die Republik.
Er war am 8. Juli 2006 auch in Stuttgart, wo Deutschland das Spiel um Platz drei gegen Portugal gewann (3:1). Beckenbauer gratulierte Bundestrainer Jürgen Klinsmann, der unter dem "Kaiser" 1990 Weltmeister geworden war.
Beckenbauer war bedingt durch seine sportliche Popularität immer auch eine Figur des gesellschaftlichen Lebens. Auf diesem Foto posiert er 2007 in der Dresdner Semperoper mit dem mittlerweile verstorbenen Schauspieler Maximilian Schell (M.) und dem früheren Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher.
Beckenbauer und Hoeneß 2013: In jenem Jahr wurde publik, dass Hoeneß Steuern in Millionenhöhe hinterzogen hat. Er wurde später angeklagt. Vor dem Urteil sagte Beckenbauer über seinen jahrzehntelangen Weggefährten: "Ich kann nur hoffen, dass es gut für ihn ausgeht und das Gericht sich von seiner menschlichen Seite zeigt. Der Uli ist ein wunderbarer Mensch." Hoeneß wurde aber zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Als TV-Experte bei Sky ist Beckenbauer dem Fußball weiter verbunden. Dieser Job lässt ihm aber genügend Zeit, sich anderweitig zu engagieren, etwa für die Bewerbung Münchens für die Olympischen Winterspiele 2022 (Aufnahme von 2013 mit der damaligen Staatskanzleiministerin Christine Haderthauer).
Am 11. September feierte Franz Beckenbauer seinen 70. Geburtstag.
Trotz seines runden Geburtstages ist 2015 für Beckenbauer ein trauriges Jahr. Sein Sohn Stephan starb mit 46 Jahren an den Folgen eines Gehirntumors.
Nach dem WM-Gewinn als Spieler und Teamchef nahm Beckenbauer um die Jahrtausendwende sein drittes Weltmeisterschafts-Projekt in Angriff: Das Turnier 2006 nach Deutschland holen. Dafür reiste er um die Welt und traf hochrangige Funktionäre, unter anderem im Jahr 2000 den damaligen Fifa-Vizepräsidenten Mohammed bin Hammam, der später in Affären um Schmiergeldzahlungen verwickelt war.
Foto: AFP"Das Fifa-Märchen: Fragen an Schorsch Aigner": Der WDR hat für die ARD ein Exklusivinterview mit Olli Dittrich in seiner Rolle als Beckenbauer-Double Schorsch Aigner geführt. Thema war, natürlich, der Skandal um die mutmaßlich gekaufte WM 2006. Dittrich und sein Co-Autor Tom Theunissen haben dieses Mal als Kulisse einen Learjet gewählt, in dem sich Aigner alias Beckenbauer dem Interview stellt.
Was hat es mit den 6,7 Millionen auf sich? Wie war das damals in Katar mit dem Scheich? Schorsch Aigner klärt auf.
Der echte Franz Beckenbauer gibt sich im Skandal weiterhin schweigsam - also muss Schorsch Aigner ran. Er gesteht unter anderem: "Der Einzige, der wirklich gar nichts damit zu tun hat, ist der Franz."
Es ist Dittrichs zweiter Auftritt als erfundener Beckenbauer-Doppelgänger. "Schorsch Aigner -der Mann, der Franz Beckenbauer war" war bereits im Juni zu sehen.
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