WM-Vergabe 2018 und 2022 Die Dokumente, die Russlands Geheimdienst übersehen hat

Die Vergabe der Fußballweltmeisterschaften 2018 und 2022 ist eine Skandalgeschichte. Die nun geleakten Dokumente zeigen mögliche Verstrickungen Beckenbauers im korrupten System der Fifa.
Franz Beckenbauer bei einer Gala im April 2019: "Die Möglichkeit einer Stimmabgabe für Russland"

Franz Beckenbauer bei einer Gala im April 2019: "Die Möglichkeit einer Stimmabgabe für Russland"

Foto: Ina Fassbender/ AFP

Es war das Jahr 2012 und Franz Beckenbauer noch eine Ikone des Fußballs: Weltmeister als Spieler, Weltmeister als Trainer, Weltmeisterschafts-Chef für Deutschland 2006.

Dass damals die Russen mit ihrem Faible für Ikonen auch den deutschen Fußball-Kaiser unter Vertrag nahmen, erschien da nur logisch.

Der Verband der russischen Gasproduzenten heuerte Beckenbauer als Sportbotschafter an. Er sollte für viel Geld - genaue Summen kamen nie ans Licht - künftige russische Sport-Großveranstaltungen mit seiner kaiserlichen Aura ins beste Licht rücken.

Es sah aus wie ein angenehmer Deal für den Lebensabend - Renommee gegen Geld.

Nun aber deuten geleakte Mails auf einer russischen Enthüllungsplattform darauf hin, dass die Gegenleistung nicht nur in der Zukunft lag, sondern möglicherweise schon längst erbracht war: nämlich mit dem Verkauf der Stimme von Franz Beckenbauer zwei Jahre vorher bei der Vergabe der WM 2018 an Russland.

Die Geschäfte Beckenbauers stehen damit einmal mehr in einem fragwürdigen Licht. Die von der russischen Webseite "The Insider"  veröffentlichten Unterlagen aus dem einstigen Bewerbungskomitee für die Fußball-WM 2018 legen nahe, dass Beckenbauer als damaliges Mitglied des Fifa-Exekutivkomitees über seinen Berater Radmann Millionen für seine Stimme erhalten haben könnte.

Vergabe der WM 2018 an Russland

Vergabe der WM 2018 an Russland

Foto: Christian Hartmann/ REUTERS

Wörtlich heißt es in dem Papier: "Beckenbauers Berater Fedor Radmann bietet dessen Stimme an gegen großzügige Bezahlung seiner Beraterdienste - 3 Millionen." Weitere 1,5 Millionen Euro sollte Radmann für den Fall kassieren, dass Russland den Zuschlag bekäme. Für das Geld verspreche Radmann sogar "8 - 9 Stimmen" für Russland im Exekutivkomitee.

Beckenbauer hat Käuflichkeit stets bestritten, auch die im Zusammenhang mit der WM 2018. Auf eine aktuelle Anfrage des SPIEGEL reagierte er nicht. Radmanns Anwalt Norbert Scharf erklärte, die Behauptungen seien "unzutreffend. Herr Radmann weist dies entschieden zurück." Auch Andreas Abold, ein Vertrauter von Beckenbauer und Radmann aus der Bewerbungszeit, hatte schon in der Vergangenheit jedes Fehlverhalten bestritten.

Der Fußball-Weltverband Fifa hatte die Weltmeisterschaften 2018 und 2022 an Russland und Katar am 2. Dezember 2010 vergeben. Einige Nationen hatten sich zunächst für beide Weltmeisterschaften (2018 und 2022) beworben. Am Ende boten die europäischen Nationen für 2018, die nicht-europäischen Länder für 2022. Russland gewann die WM 2018 mit 13 der 22 Fifa-Stimmen in Runde zwei. Katar erhielt in der vierten Runde 14 Stimmen und gewann gegen die USA (8) - Australien war in der ersten Wahlrunde mit nur einer Stimme abgeschlagen Letzter, noch hinter Südkorea und Japan.

Beckenbauer soll "wohlwollend" gewesen sein

Wenn die nun aufgetauchten russischen Mails echt sind, stammen sie aus einem offenbar gehackten Mail-Account von Sergej Kapkow, damals Duma-Abgeordneter. Sie kursierten demnach zwischen Kapkow und zwei hochrangigen Politikberatern mit engen Verbindungen zum ehemaligen russischen Präsidenten Dmitrij Medwedjew und dem Ersten Vizepremier Igor Schuwalow. Premier war damals Wladimir Putin. Schuwalow war zugleich Präsident des Bewerbungskomitees.

In dem Konvolut finden sich Dossiers über alle damaligen Fifa-Exekutivkomitee-Mitglieder. Darin heißt es etwa zu Beckenbauer: "Nach unseren Kontakten mit den Beratern der australischen Bewerbung bekamen wir die Information über die Bereitschaft von FB, die Bewerbung Russlands zu unterstützen. Gewünscht ist ein Treffen in Moskau mit den höchsten Führern der Bewerbung." In einem anderen, als "vertraulich" gekennzeichneten Papier, beklagen sich die Russen, dass Beckenbauer zwar "wohlwollend" sei, es aber vorziehe, über seinen "Vertrauten Radmann zu kommunizieren". Er sei bereit, "die Möglichkeit einer Stimmabgabe für Russland zu erwägen", allerdings seien dazu "zusätzliche Anstrengungen in dieser Richtung nötig".

Auch andere Fifa-Vorständler werden in den Unterlagen als käuflich beschrieben. Zum Beispiel ein schwerreicher Unternehmer aus dem Exekutivkomitee, der seinerzeit prächtige Geschäfte mit Katar machte und ein halbes Jahr nach seiner Stimmabgabe für das Emirat ein bescheidenes Stück Land für mehr als 30 Millionen Euro an den katarischen Staatsfond verkaufte.

18 von 24 Fifa-Exko-Mitgliedern von damals sind belastet oder gesperrt

Von den 24 Mitgliedern des damaligen Fifa-Exekutivkomitees wurden zwei wegen Bestechlichkeit schon kurz vor der Wahl Ende 2010 suspendiert. 18 weitere wurden in den Jahren danach teilweise lebenslang gesperrt, im Rahmen des spektakulären Fifa-Prozesses in den USA verurteilt oder sind anderweitig in unsaubere Machenschaften verwickelt.

Gezeichnet sind die geleakten Dokumente auch von Alexej Sorokin, seinerzeit Geschäftsführer des Bewerbungskomitees, später Organisationschef der WM 2018. Sorokin gehört seit 2017 als Uefa-Abgesandter dem Fifa-Council an, dem Nachfolger des Exekutivkomitees. Eigentlich müssten nun Ethik-Verfahren in Uefa und Fifa gegen ihn eingeleitet werden. Sorokin wies alle mit den Dokumenten verbundenen Vorwürfe zurück. Er sprach von Fälschungen und behauptete, Russland habe sich umfangreich dazu geäußert - damit meinte er offenbar die hausinternen Fifa-Ermittlungen vor einigen Jahren.

In einem vertraulichen Grundsatzpapier der Russen vom November 2009 heißt es, man müsse größere finanzielle Ressourcen bereitstellen, die nicht den Formalien des offiziellen Haushalts unterliegen - dafür müssten Oligarchen aufkommen. Tatsächlich engagierten sich fortan Milliardäre wie Roman Abramowitsch oder Alisher Usmanow verstärkt im WM-Projekt.

Dass diese Dokumente aufgetaucht sind, ist eine kleine Sensation

Erstmals überhaupt sind derlei Dokumente aus dem russischen Bewerbungskomitee aufgetaucht. Das ist beinahe eine Sensation. Denn bislang galt es unter Ermittlern als ausgemacht, dass die russischen Geheimdienste, die die Bewerbung auf Schritt und Tritt begleiteten, nahezu alle Spuren verwischt hätten.

Die Russen hatten dem ehemaligen amerikanischen Staatsanwalt Michael Garcia, der einst im Auftrag der Fifa an einem Dossier zu den WM-Vergaben werkelte, die Einreise verweigert. Garcias Mitarbeiter aus der sogenannten Ermittlungskammer der Fifa-Ethikkommission notierten im Abschlussbericht lapidar, die Computer des Bewerbungskomitees seien vernichtet worden, Korruption sei nicht nachzuweisen. Sorokin sagt nun, Russland hätte vollumfänglich kooperiert.

Dagegen hatten Geheimdienstler, die damals vom englischen WM-Bewerbungskomitee verpflichtet worden waren, zu Protokoll gegeben, Staaten hätten Fifa-Offizielle bestochen - gemeint waren Russland und Katar. Einer der Geheimdienstquellen war Christopher Steele, der als Offizier des MI6 lange Jahre in Moskau verbrachte und später als Verfasser eines Dossiers zum US-Präsidenten Donald Trump weltweit Berühmtheit erlangte. Unter den vielen korrupten Fifa-Exekutivmitgliedern sei Franz Beckenbauer "der korrupteste", so steht es seit 2014 in den Unterlagen einer Anhörung des britischen Parlaments. Damals wurde Beckenbauer von der Fifa-Ethikkommission suspendiert, weil er nicht mit Garcia kooperiert hatte. Die Fifa ließ mitteilen, es gebe dem Garcia-Report nichts hinzuzufügen. Jeder, der Beweise für "unethisches Verhalten" habe, könne diese der Fifa übermitteln.

Inhaltlich passen die Details aus den russischen Dokumenten perfekt zu anderen, gut belegten Indizien aus jenen wilden Jahren der doppelten WM-Bewerbungen. So war Fedor Radmann eigentlich als Berater der australischen WM-Bewerbung verpflichtet worden, im Paket mit seinem langjährigen Kompagnon Andreas Abold - und damit auch Beckenbauer. Das war Bestandteil eines Deals des DFB mit dem australischen Verband, der dafür auf die Bewerbung für die Frauen-WM 2011 verzichtete, die nach Deutschland ging.

Fußball-Whistleblowerin Bonita Mersiades

Fußball-Whistleblowerin Bonita Mersiades

Foto: Martin Hoffmann/ imago images

"Australiens Bewerbungschef Frank Lowy hat dann ab Mitte 2009 einen Deal mit den Russen eingeleitet", erinnert sich Bonita Mersiades, die damalige Marketingchefin der australischen Bewerbung. "Lowy sagte, Australien könne die WM nur in Kooperation mit den Russen gewinnen." Deshalb heuerte Radmann quasi im australischen Auftrag bei den Russen an, sagt Mersiades. Sie selbst wurde von Radmann und einem anderen Berater, Peter Hargitay, aus dem Bewerbungsteam verdrängt, weil sie das dubiose Treiben der Berater nicht akzeptierte. Sie wurde zur Whistleblowerin und hat ein atemraubendes Enthüllungsbuch vorgelegt: "Whatever it takes" erschien Anfang 2018.

Radmann erhielt in Australien mindestens 3,63 Millionen Dollar - das ist auch durch eine externe Untersuchung belegt. Hargitay kassierte 1,45 Millionen in Australien und arbeitete parallel im australischen Auftrag, wie Radmann, auch für Russland. Insgesamt erhielten die europäischen Berater, die eine Fifa-Stimme akquirierten, mehr als 15 Millionen australische Dollar - finanziert aus Steuermitteln.

Die Whistleblowerin Mersiades hat für ihr Buch auch mit dem einstigen Fifa-Präsidenten Blatter gesprochen. Dieser gab Erstaunliches und seither Unwidersprochenes zu Protokoll: "Ich weiß, dass Radmann und Beckenbauer eine Menge Geld verdient haben."

Allerdings habe Beckenbauer am Ende nicht mal für Australien gestimmt. "Die eine Stimme, die Australien erhalten hat, kam von mir", behauptete Blatter.

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