EM-Aus der DFB-Frauen Raus ohne Applaus

Die DFB-Frauen haben bei der EM historisch schlecht abgeschnitten und sind ausgeschieden. Womit lässt sich die schwache Leistung erklären? Neun Gründe, warum Deutschland nicht reif für den Titel war.
Mandy Islacker

Mandy Islacker

Foto: TOBIAS SCHWARZ/ AFP

Nun steht es fest. Auf dem Siegerpodest wird es eine Premiere geben. Mit Deutschland ist das letzte Team bei der EM ausgeschieden, das sich schon in der Vergangenheit mit dem Gewinn des Titels hat schmücken können. Zweimal gewann Norwegen, einmal Schweden und achtmal Deutschland. Zuletzt sechsmal in Folge.

Als die Deutschen zuletzt vergleichbar schlecht abgeschnitten hatten, belegten sie den vierten von vier Plätzen bei der Endrunde. 1993 war das, vor 24 Jahren. Am Verletzungspech und dem schlechtem Wetter lässt es sich nicht festmachen. Denn auch die Däninnen mussten zweimal zu diesem Viertelfinale antreten - ohne die verletzte Kapitänin Johanna Rasmussen.

Wie lässt sich das historisch schlechte Abschneiden des deutschen Teams dann erklären? Neun Gründe für das frühe EM-Aus.

1. Andere Mannschaften haben aufgeholt: Viele Jahre profitierte Deutschland von der Professionalität des Deutschen Fußballbundes und der Bundesliga. Auch in anderen Ländern gab es Talent, doch wurde es nicht so konsequent und flächendeckend gefördert. Ein Blick nach Holland, Österreich, Frankreich oder England zeigt: Wer es nachhaltig angeht, kann die Lücke zügig schließen.

2. Die Deutschen gingen mit einem unerfahrenen Team ins Rennen: Die Frauennationalmannschaft hatte nach dem Olympiagold von Rio im letzten Jahr einen massiven Umbruch zu verkraften. Saskia Bartusiak, Annike Krahn und Melanie Behringer beendeten ihre DFB-Karrieren. Simone Laudehr, Alexandra Popp und Melanie Leupolz fehlten verletzungsbedingt in den Niederlanden. Ein Erfahrungsschatz von 588 Länderspielen ging somit verloren.

An Feldspielerinnen kamen Kathrin Hendrich, Kristin Demann, Carolin Simon, Anna Blässe, Hasret Kayikci, Lina Magull, Lena Petermann, Linda Dallmann und Sara Doorsoun neu dazu. Sie bringen es zusammen auf 108 Spiele im Dress des DFB. Die EM ist da schon eingerechnet.

Die Neulinge zeigten zum Teil gute Leistungen und lassen hoffnungsvoll in die Zukunft blicken. Die fehlende Abgeklärtheit und Souveränität auf dem Platz machte sich gegen Dänemark dennoch bemerkbar, als das deutsche Team trotz Führung und ohne Druck einen Fehlpass an den nächsten reihte.

3. Cheftrainerin ohne Trainererfahrung: Der DFB machte Steffi Jones zur Nachfolgerin von Silvia Neid als Bundestrainerin, obwohl sich rein sportlich gesehen Maren Meinert aufgedrängt hätte. Meinert hatte zunächst dreimal die U19 der Frauen zum EM-Titel gecoacht und anschließend die U20 zweimal in Folge zum Weltmeister gemacht.

Dass sich Jones hervorragend in Großprojekte einarbeiten kann, bewies sie als Cheforganisatorin der Frauen-WM 2011. Auch den - im Jobprofil des Trainers längst essenziell gewordenen - entspannten Umgang mit den Medien bringt sie mit. Gepaart mit fachkundigem Beistand an ihrer Seite hatte dieses "Modell Klinsmann" durchaus Aussicht auf Erfolg. Doch es ist noch kein Jogi Löw vom Himmel gefallen und so musste Jones ihre ersten bitteren Erfahrungen gleich auf der größtmöglichen Bühne machen.

4. Riskantes, neues Spielsystem: Als eine der zentralen Aufgaben für die EM machte das deutsche Trainerteam das Bespielen von kompakten Viererketten aus. Während Deutschland in der Defensive dünn besetzt war, konnte man bei technisch starken, kreativen Offensivspielerinnen aus dem Vollen schöpfen. Daher nahm Jones das Risiko in Kauf, hinten das ein oder andere Gegentor zu kassieren, um dafür vorne maximale Torgefahr zu entfachen.

Das ist konsequent und hätte funktionieren können. Doch aus ihren Klubs bringen die Spielerinnen die Erfahrung mit, meist allein oder mit einer fixen Partnerin für die kreativen Impulse verantwortlich zu sein. Im Überangebot der Nationalmannschaft beraubten sie sich manchmal gegenseitig ihrer Stärken.

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5. Chancenverwertung: Das erwähnte System kann zudem nur funktionieren, wenn aus den herausgespielten Chancen auch Tore entstehen. Schon in der Gruppenphase fehlte das Quäntchen Glück zum Torerfolg. Im Viertelfinale gegen Dänemark ging es mit dem frühen Tor von Isabel Kerschowski gut los. Doch insgesamt machten die Deutschen zu wenig aus ihren Möglichkeiten.

6. Zuviel der Rotation: Um die Offensive in Fahrt zu bringen, hätte es der Eingespieltheit bedurft. Jones setzte alle Feldspielerinnen mindestens einmal ein. Das sorgte für gute Laune im Team. Alle durften sich gebraucht fühlen. Das Mood-Management ging allerdings zu Lasten der Automatismen. Gerade diesem jungen Team mit den neuen Abläufen, den zahlreichen Missverständnissen im Passspiel und der Verunsicherung vor dem Tor hätte mehr Übung und Konstanz zur stützenden Säule werden können.

7. Falsche Taktik gegen Dänemark: Mag sein, dass man sich die richtige Taktik vorgenommen hatte. Auf dem Platz war davon jedenfalls nichts zu sehen. Von den Däninnen wusste man vorher, dass sie ihre Abwehrketten zentral vor dem Tor zusammenziehen würden.

Daher wäre das Mittel der Wahl gewesen, über außen anzugreifen. Und zwar nicht nur bis zum Strafraum, sondern bis zur Grundlinie hinter die Abwehr, um von dort in den Rückraum zu passen oder ins Dribbling zu gehen. Sollte sich daraus nichts ergeben, hätten man mit Tempo den Angriff auf die andere Seite verlagern müssen, um Dänemark in Bewegung zu versetzen und Lücken aufzureißen. Dennoch versuchten es die Deutschen häufig durch die Zentrale. Dort standen nicht nur die Däninnen, sondern auch die komplette deutsche Offensive verbarrikadierte dort den Weg zum Tor.

8. Schwaches Defensivverhalten: Im Gegensatz zu anderen Turnierteilnehmern konnte Deutschland zwar auf eine erstklassige Torhüterin zählen und auch ihre Vorderleute lösten einige knifflige Szenen gut. In der Summe ließ sich die DFB-Elf aber zu leicht düpieren.

Schon gegen Italien führten zwei Stellungsfehler zum Gegentreffer. Dänemark verschaffte sich ohne viel Aufwand Überzahl im deutschen Strafraum. Mal ließ man die Ballführende gewähren, ein anderes Mal wurde auf körperliche Nähe zu deren Anspielstation verzichtet. So verpasste es die deutsche Elf, sich über Zweikampfhärte zurück in die Partie zu arbeiten.

Im Angriff positionierten sich die vielen deutschen Offensivkräfte häufig auf derselben Höhe. So verringerten sich die Passoptionen und auch für das Zurückerobern von verloren gegangenen Bällen war man in dieser Formation schlecht aufgestellt. In der Folge lief das deutsche Team in zahlreiche überflüssige Konter.

9. Fehlende Anpassungen im Spiel: Das dürfte auch Jones von außen gesehen haben. Kerschowski hatte zunehmend mit den dänischen Angriffen über ihre Seite zu kämpfen. Hier hätte Däbritz konsequenter nach hinten mitarbeiten müssen. Doch von der Bank blieb ein entsprechendes Signal aus. Stattdessen ersetzte Jones die eine Position, die für ein Gleichgewicht zwischen Angriff und Verteidigung zu sorgen hat - Kristin Demann im defensiven Mittelfeld - mit einer weiteren Offensivkraft. Noch mehr Angreifer vorne, noch weniger konstruktives Aufbauspiel, noch weniger Passoptionen für Seitenverlagerungen und noch höhere Anfälligkeit für Konter.

Keiner dieser Gründe musste für sich genommen zwangsläufig zum Ausscheiden führen. Trotz aller Probleme gelang es den Deutschen, ihre Gruppe zu gewinnen. Dänemark ließ es soweit kommen, dass sich Deutschland in der vierten Minute der Nachspielzeit fast in die Verlängerung gerettet hätte. In der Summe war man aber zu sehr von glücklichen Fügungen abhängig und versäumte es, das Potenzial des hoch talentierten Teams auszuschöpfen.

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