Frauenfußball-Team bei WM 2015 Mehr als nur ein Kack-Gefühl

Nicht einmal Platz drei: Deutschlands Fußball-Frauen offenbarten bei der WM in Kanada in vielen Bereichen Schwächen, andere Nationen haben aufgeholt. Die scheidende Bundestrainerin Silvia Neid liefert sich Verbalgefechte mit ihren Kritikern.
Nationalspielerin Popp: "Jetzt fahren wir mit einem Kack-Gefühl nach Hause"

Nationalspielerin Popp: "Jetzt fahren wir mit einem Kack-Gefühl nach Hause"

Foto: Jason Franson/ AP/dpa

Mordecai Richler aus Montreal hatte eine kritische Einstellung in Bezug auf Edmonton. "Eine Stadt, aus der man stammt, aber nicht eine Stadt, die man besichtigt", so lautete das Fazit des kanadischen Schriftstellers, Drehbuchautors und Essayisten. Und so unschön die hässliche Betonschüssel des Commonwealth Stadium in der Provinzhauptstadt von Alberta tatsächlich ist, so unschön endete dort die Mission der deutschen Frauen-Nationalmannschaft bei der WM in Kanada.

Bei der 0:2-Halbfinalniederlage gegen die USA platzte bereits der Titeltraum, mit der 0:1-Niederlage nach Verlängerung in Edmonton gegen England misslang nun auch noch die versöhnliche Geste.

"Wir sind kritisch. Bei uns wird nichts schöngeredet", versicherte Nadine Angerer nach ihrem 146. und letzten Länderspiel. Dass ausgerechnet die Kapitänin feststellte, man habe ein gutes Turnier gespielt, verwundert jedoch. Für die Torhüterin mag das gelten, aber nicht für die Feldspielerinnen. Bundestrainerin Silvia Neid: "Letztlich müssen wir festhalten: je besser der Gegner, desto schwerer haben wir uns getan."

"Es ist nicht unsere WM gewesen"

Am Samstagabend gab es ein gemeinsames Essen im Hotel Fairmont, für den weiteren Verlauf hatten sich Spielerinnen und Betreuerstab eine Location für die Abschlussfeier ausgesucht. "Ich werde schon dafür sorgen, dass Stimmung aufkommt", hatte Angerer trotzig versprochen. Es gab allerdings auch andere Töne. "Zum Ende ist es nicht unsere WM gewesen", gestand Alexandra Popp.

Bundestrainerin Neid: "Frankreich, die USA und teilweise auch England einen Tick besser"

Bundestrainerin Neid: "Frankreich, die USA und teilweise auch England einen Tick besser"

Foto: DPA

Deutschlands Fußballerin des Jahres presste zwei Sätze heraus, die für den ganzen Frust standen: "Wir machen das verflixte Tor nicht und kriegen dann wieder ein Eierding rein. Jetzt fahren wir mit einem Kack-Gefühl nach Hause." Und Abwehrchefin Annike Krahn räumte ein: "Es bleibt hängen, was am Ende steht. Wir haben großes Potenzial, aber das haben wir nicht immer so umgesetzt."

Es ist beinahe bezeichnend, dass es am Sonntag nach einem kurzen Flug um 12 Uhr kanadischer Zeit (Sonntag 20 Uhr MESZ) von Edmonton nach Vancouver zu einer kuriosen Konstellation kommt: Am Airport muss die deutsche Delegation auf den Weiterflug warten, während keine 20 Kilometer Luftlinie entfernt der finale Showdown zwischen Japan und den USA (Montag 1 Uhr MESZ, Liveticker SPIEGEL ONLINE) steigt.

Kritik aus der Bundesliga

Deutschland, Titelträger 2003 und 2007, ist dann genau wie 2011 nicht mehr dabei. "Wenn wir uns mal freigespielt haben, haben wir zu einfache Fehlpässe gespielt, der letzte Pass kam oft nicht durch. Auch im Zweikampfverhalten fand ich Frankreich, die USA und teilweise auch England einen Tick besser als uns", sagte Neid.

Deutschland, der achtfache Europameister, hat bei dem Turnier nur mit den vielen Toren in der Vorrunde für Aufsehen gesorgt. Aber es war die mit Abstand schwächste Gruppe, in der Deutschland mit seinem Powerstil durchkam. Der reichte noch für das Achtelfinale gegen Schweden (4:1) - gegen einen allerdings desolaten Gegner, wie die Bundesliga-Trainer Ralf Kellermann (VfL Wolfsburg) und Colin Bell (1. FFC Frankfurt) angemerkt hatten.

Wolfsburgs Trainer Kellermann: Kritik an Neid

Wolfsburgs Trainer Kellermann: Kritik an Neid

Foto: Peter Steffen/ dpa

Beide bemängelten zu Recht, dass andere Nationen variantenreicher und flexibler agiert haben. Und auch wenn Welttrainer Kellermann nun von der Kritik des Frankfurter Trainer-Kollegen im "Kicker" abgerückt ist, so bleibt doch die Erkenntnis: Der deutsche Frauenfußball droht den Anschluss zu verlieren. "Wir haben immer gesagt, dass wir alle über den Tellerrand schauen müssen", sagte Neid: "Ich finde es gut, dass sich die Trainer wie Colin Bell Gedanken machen. Nur man muss auch dafür sorgen, dass die Spielerinnen sich weiterentwickeln, zum Beispiel im Spielaufbau."

Deswegen wundere sie sich umso mehr, "dass während eines laufenden Turniers Kritik kommt, bevor wir um Platz drei spielen." Und dann rollte die 51-Jährige, die das Team noch bis zu den Olympischen Spielen 2016 betreuen wird, den Ball zu den Vereinstrainern, die ihr angeblich keine Spielerinnen zur Verfügung gestellt haben, mit denen sich ein dritter WM-Titel holen ließe.

"Ich hoffe, dass jeder seinen Teil zur Weiterentwicklung der Spielerinnen beiträgt, weil wir sie in der Nationalmannschaft nicht das ganze Jahr haben. Wir hatten sie zehn Tage in der WM-Vorbereitung und das war eine Regeneration, weil die Spielerinnen in einem katastrophalen Zustand zu uns kamen. Wir mussten erst mal schauen, dass wir die Blessuren hinkriegen, sodass wir einigermaßen trainieren konnten. Dafür können wir froh sein, dass wir so weit gekommen sind." Das Pingpong-Spiel um die Schuld am Abschneiden der deutschen Frauen läuft.

Deutschland - England 0:1 (0:0) n.V.
0:1 Williams (108. Foulelfmeter)
Deutschland: Angerer - Schmidt, Peter, Bartusiak, Kemme - Goeßling (101. Popp), Behringer (46. Leupolz) - Laudehr, Däbritz - Petermann, Sasic (73. Mittag)
England: Bardsley - Houghton, Bassett, Potter - Bronze, J. Scott, Williams (112. Stoney), Chapman (80. Sanderson), Greenwood - White (61. Aluko), Carney.
Schiedsrichterin: Ri Hyang Ok (Nordkorea)
Zuschauer: 21.483
Gelbe Karten: - Chapman, Bardsley, Bassett

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren