Fan der deutschen Fußballerinnen "10.000 Euro dürften im Jahr für Fußballreisen schon draufgehen"

Lutz Reichenbach fährt seit Jahren zu den Spielen der DFB-Frauen, auch bei der WM in Frankreich ist er dabei. Beim Vergleich zum Männerfußball sieht der 67-Jährige einen entscheidenden Vorteil.
Ein Interview von Jan Göbel, Valenciennes
Lutz Reichenbach in Valenciennes vor dem Spiel Deutschland gegen Spanien

Lutz Reichenbach in Valenciennes vor dem Spiel Deutschland gegen Spanien

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SPIEGEL ONLINE

SPIEGEL ONLINE: Herr Reichenbach, wenn am Montag die deutschen Fußballerinnen in Montpellier auf Südafrika treffen, drohen 30 Grad. Ist das nicht ein bisschen zu heiß für Sie in Ihrer Kutte?

Lutz Reichenbach: Ja, das wird zu heiß in der Kutte! Ich binde sie mir dann um den Bauch und trage mein DFB-Trikot. Ich bin vorbereitet.

SPIEGEL ONLINE: Welche Spielerin steht denn dort aktuell hinten drauf?

Reichenbach: Keine natürlich. Ich bin ja nicht Fan von Alexandra Popp oder Dzsenifer Marozsán, sondern vom ganzen Team. Ich stehe hinter Nummer eins bis 23.

SPIEGEL ONLNE: Ihr wievielter Länderspieleinsatz als Fan im Stadion wird das?

Reichenbach: Leichte Frage: Nummer 52.

SPIEGEL ONLNE: Was fasziniert Sie am Fußball der Frauen?

Reichenbach: Die Fannähe ist schön, ich komme noch an die Spielerinnen heran und kann mich auch mal mit ihnen unterhalten. Das ist bei den Männern leider nicht so. Den Fußball finde ich bei den Frauen auch interessanter, weil er etwas langsamer ist und so für mich übersichtlicher. Ich kann die Spielzüge besser verstehen und live mitdenken.

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SPIEGEL ONLINE: Was hat Ihr Interesse geweckt?

Reichenbach: Die erste Übertragung im Fernsehen, das müsste in den Achtzigerjahren gewesen sein. Aber so richtig übergesprungen ist der Funke mit dem Eröffnungsspiel in Berlin bei der Heim-WM 2011. Ich war im Olympiastadion, insgesamt 76.000 Zuschauer, 2:1-Sieg gegen Kanada, was für eine Stimmung! Unvergesslich.

SPIEGEL ONLINE: Seitdem besuchen Sie jedes Länderspiel im Stadion?

Reichenbach: Es steigerte sich. Zuerst war ich pro Jahr bei zwei bis drei Länderspielen dabei und ab 2014 eigentlich bei fast jedem Heimspiel. Mittlerweile reise ich auch auswärts oft dem Team hinterher. Ich war in Island, auf den Färöer oder bei der Europameisterschaft 2017 in Holland.

Auch bei der Europameisterschaft 2017 in den Niederlanden war Reichenbach dabei

Auch bei der Europameisterschaft 2017 in den Niederlanden war Reichenbach dabei

Foto: privat

SPIEGEL ONLINE: Das klingt nach einem teuren Spaß.

Reichenbach: 10.000 Euro dürften im Jahr für Fußballreisen schon draufgehen. Manchmal lassen sich die Kosten etwas kleiner halten: Bei der Europameisterschaft waren wir mit einer Truppe von sieben Leuten unterwegs, da haben wir uns dann ein Häuschen gemietet und sind von dort immer zum Spielort gefahren. Das war preislich in Ordnung. Aber so eine Weltmeisterschaft in Frankreich, wo die Wege weiter sind, das haut natürlich rein.

SPIEGEL ONLINE: Sie verfolgen hier alle Länderspiele des deutschen Teams in den Stadien.

Reichenbach: Genau. Diesmal bin ich allein unterwegs und fahre von Stadt zu Stadt. Das Auto ist als Van ausgelegt, ich schlafe also im Wagen und spare zumindest die Hotelkosten. Für die morgendliche Katzenwäsche ist Wasser und ein Waschbecken mit an Bord, Duschen auf Campingplätzen und Raststätten.

SPIEGEL ONLINE: Das wiederum klingt nicht sehr komfortabel. Lohnen sich die Reisen wenigstens?

Reichenbach: Die Island- und Färöer-Reise im vergangenen Jahr war schon etwas Besonderes, und nach der feststehenden WM-Qualifikation gegen die Färöer durften wir Fans mit aufs Feld, knapp 40 waren wir. Ich bin mir nicht mehr sicher, aber ich glaube das hatte Horst Hrubesch (ehemaliger Interimscoach der DFB-Frauen, Anm. d. Redaktion) organisiert. Das war schon sehr schön mit den Spielerinnen einmal abzuklatschen.

"Mittlerweile reise ich auch auswärts oft dem Team hinterher" - Rechenbach bei der EM 2017

"Mittlerweile reise ich auch auswärts oft dem Team hinterher" - Rechenbach bei der EM 2017

Foto: privat

SPIEGEL ONLINE: Da floss dann sicher der Alkohol.

Reichenbach: Nein, es wird eigentlich nicht gesoffen, zumal es in den meisten Stadien eh nur alkoholfreies Bier gibt. Nein, in den Gruppen, mit denen ich unterwegs bin, gibt es keine Leute, die eine besondere Lust auf Alkohol beim Fußball verspüren. Das ist schon sehr gesittet, keine alkoholischen Abstürze, keine Pöbeleien. Wir wollen letztlich einfach nur das Fußballspiel verfolgen, und haben nicht dieses Fanatische, was die Anhänger beim Männerfußball haben. Klar, der harte Kern bei uns stimmt auch mal ein Lied an: "Ecke, Ecke" oder "Deutschland vor". Bei den Bundesligaspielen ist das etwas anders: Da wird von Anfang an getrommelt und gesungen. Aber da sind die Fangruppen auch besser miteinander bekannt.

SPIEGEL ONLINE: Welchen Bundesligaklub drücken Sie denn die Daumen?

Reichenbach: Dem VfL Wolfsburg.

SPIEGEL ONLINE: Bei den Männern würde es jetzt Sticheleien geben. Wie ist das bei den Frauen?

Reichenbach: Dort gibt es selbstverständlich auch welche. Unsere Wolfsburgerinnen werden schon mal als Radkappen-Truppe bezeichnet. Auch die Bayern müssen sich einiges anhören. Diese beiden Klubs haben einfach das meiste Geld, während die ehemaligen Größen aus Potsdam und Frankfurt den Anschluss verloren haben. Deswegen gibt es natürlich enttäuschte Fans, die schon mal einen blöden Spruch auf Facebook schreiben. Aber da antworte ich dann auch drauf!

SPIEGEL ONLINE: Dann mal Klartext. Wie fällt Ihr Zwischenfazit zu den Leistungen der deutschen Mannschaft bei der WM aus?

Reichenbach: Deutschland ist eine Turniermannschaft und steigert sich von Spiel zu Spiel. Und ohne Plattitüden: Das Team muss sich gewaltig steigern, sonst ist im Viertelfinale Schluss. So wie sie bisher gespielt haben, gefällt mir das als Fan nicht. Das Team reagiert nur, zieht nie das eigene Spiel auf. Ich bin nicht vermessen und sage, dass diese junge Mannschaft Weltmeister werden muss. Aber es wäre schön, wenn sie unter die besten drei europäischen Teams kämen - dann wären sie bei den Olympischen Spielen 2020 dabei.

SPIEGEL ONLINE: Die sind in Tokio, Japan. Fahren Sie hin?

Reichenbach: Ich überlege und habe schon mal die Kosten überschlagen: 1500 Euro für Hotel und Flug, das Turnier geht ja nur zwei Wochen. Es wäre meine erste Fanreise ins nicht-europäische Ausland.

Reichenbach in seiner Fan-Jacke beim Algarve Cup 2014

Reichenbach in seiner Fan-Jacke beim Algarve Cup 2014

Foto: privat

SPIEGEL ONLINE: Darf ich ehrlich mit Ihnen sein?

Reichenbach: Bitte.

SPIEGEL ONLINE: Die Stimmung bei den deutschen Spielen in Frankreich wirkt verhalten. Woran liegt das?

Reichenbach: Ich weiß nicht genau, wie viele deutsche Fans in Frankreich sind, aber ich schätze es müssten 500 sein. Wir könnten laut sein, aber wir sitzen in den Stadien kreuz und quer über die Blöcke verstreut. So können wir nicht laut werden. Das ist ärgerlich.

SPIEGEL ONLINE: Warum ist das so?

Reichenbach: Leider gab es für die WM keine Möglichkeit, dass wir Fans uns über den DFB Karten für einen Block im Stadion besorgen konnten, also hat jeder privat bestellt - und nun sitzen wir verstreut. Bei den Länderspielen der Männer wird viel mehr organsiert: Choreos und gesammelte Kartenbestellungen für einzelne Blöcke. Ich hoffe sehr, dass es das bei Turnieren in der Zukunft auch bei den Frauen geben wird.

SPIEGEL ONLINE: Wenn die Weltmeisterschaft vorbei ist, wie geht Ihr normales Leben dann weiter?

Reichenbach: Zu Hause kümmere ich mich um meine 99-jährige Mutter, die im Heim lebt. Außerdem fängt die Bundesliga bald wieder an, dann spielt wieder mein Klub Wolfsburg. Da bin ich bei jedem Heim- und Auswärtsspiel dabei. Fußball geht eigentlich gleich weiter.

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