Protest von Hamburger Amateur-Klub Wir spielen nicht gegen Nazis
Es ist nichts Ungewöhnliches, wenn im Amateur-Fußball ein Spiel abgesetzt wird. Vereiste Plätze, zu wenige Spieler oder auch mal ein Schiedsrichter, der verschlafen hat - das sind meist die Ursachen.
Doch dass am kommenden Sonntag um 11 Uhr die Ligapartie des SC Sternschanze gegen den SC Osterbek nicht angepfiffen werden wird, hat einen anderen Grund. Zum ersten Mal wurde vom Hamburger Fußballverband (HFV) ein Punktspiel wegen des Verdachts von rechtsradikalen Äußerungen innerhalb einer Mannschaft abgesagt.
Der HFV war am Montag einer der Empfänger eines acht Seiten langen Briefes, ebenso wie alle Mannschaften der Amateurliga Untere Herren B3 (zehnthöchste Klasse). Der Absender des Briefes ist die fünfte Herrenmannschaft des SC Sternschanze, die am Sonntag gegen das dritte Herren-Team des SC Osterbek hätte antreten sollen. Doch der traditionell linksaktive SCS weigert sich, Grund ist die offenbar rechtsextreme Gesinnung einiger Spieler der Osterbek-Mannschaft.
In dem offenen Brief begründen die Spieler ihren teamintern einstimmig gefassten Beschluss mit Vorkommnissen in der vergangenen Saison. Ein Osterbeker Spieler habe damals vor dem Liga-Duell gegen Sternschanze die erste Strophe des Deutschlandliedes gesungen, andere seien durch szenetypische Tätowierungen und Kleidungsstücke aufgefallen. "Eine Aneinanderreihung von Indizien" habe man zunächst gehabt, sagt SCS-Kapitän Gunnar Ebmeyer. Dann, so heißt es in dem Brief, der SPIEGEL ONLINE vorliegt, habe man "wissen wollen, mit wem wir es da eigentlich zu tun haben": Das Team recherchierte in sozialen Netzwerken - und wurde schnell fündig. Dokumentiert sind öffentlich einsehbare, rechtsextreme Inhalte auf den Facebook-Seiten der Kicker.
"Wir sind rückwärts vom Stuhl gefallen"
"Der Brief hat mich erstaunt", sagt HFV-Geschäftsführer Karsten Marschner: Weil er "sehr, sehr fundiert" verfasst gewesen sei und "trotz der hohen Emotionalität des Themas ein großes Maß an Sachlichkeit beinhaltet." Der Verband handelte umgehend und setzte das Spiel ab. Am 18. September soll in einer Präsidiumssitzung der weitere Fortgang besprochen werden, vorher werden die Teams in keinem Fall gegeneinander antreten.
"Wir sind rückwärts vom Stuhl gefallen", sagt Osterbek-Präsident Jürgen Lehmann. Denn auch wenn die im Brief gezeigten Facebook-Fotos überdeutlich sind, im Verein seien die fünf Spieler nicht auffällig gewesen. Lehmann vermutet, sie hätten "ihre Gesinnung flach halten und einfach Fußball spielen wollen". Von den Teamkollegen, viele mit Migrationshintergrund, seien nie Klagen gekommen.
Auch wenn es verwundert, dass selbst deutliche Zeichen wie eine Halstätowierung mit dem Symbol einer Band, die rechtsextremistisches Gedankengut verbreitet, nicht aufgefallen sind - reagiert hat der Verein schnell. Die fünf Fußballer wurden umgehend aus dem Verein ausgeschlossen, die Spielerpässe eingezogen. "Die Mannschaft und der Verein distanzieren sich von diesen Spielern", sagt Lehmann.
Es ist nicht das erste Mal, dass die fünf Spieler aus einem Verein geworfen werden. Vor einigen Jahren spielten sie gemeinsam beim Meiendorfer Sportverein im Nordosten Hamburgs. Die fünfte Mannschaft des MSV soll selbst im eigenen Verein durch die oft überharte Spielweise aufgefallen sein, heißt es aus dem Umfeld des Klubs, der das Team daher komplett auflöste.
Im aktuellen Fall strengt der HFV nun eine Untersuchung an. Möglich ist ein Sportgerichtsverfahren mit dem Ziel, die gesamte 3. Herrenmannschaft aus Osterbek vom Spielbetrieb der Leistungsklasse B, Staffel III, auszuschließen. Die Darstellung der Spieler in sozialen Netzwerken habe die Vermutung rechtsextremistischen Gedankenguts genährt, heißt es beim Verband.
Das Grundgesetz steht über den Verbandssatzungen
Der Fall könnte den Fußball und die Gerichte auch über die HFV-Präsidiumssitzung am 18. September hinaus beschäftigen, der Hamburger Verband hat ihn an den DFB gemeldet, auch an den Verfassungsschutz wurden die Informationen weitergegeben, so HFV-Geschäftsführer Marschner. DFB-Generalsekretär Helmut Sandrock sagt auf Nachfrage: "Wir haben Kenntnis von der Angelegenheit und stehen diesbezüglich mit dem Hamburger Fußball-Verband in Kontakt. Der HFV hat unsere volle Unterstützung. Wir, der DFB und seine Landesverbände, verfolgen eine klare Linie und treten ein gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Diskriminierung jeglicher Art."
Der auf Sportrecht spezialisierte Rechtsanwalt Felix Holzhäuser erwartet keine unmittelbaren Sanktionen gegen den SC Sternschanze, da der Hamburger Verband die Aktion gutheißt. "Dies ist auch konsequent", so Holzhäuser, "schließlich gibt schon die Verbandssatzung vor, rassistischen, verfassungsfeindlichen und fremdenfeindlichen Bestrebungen entschieden entgegenzutreten". Der Anwalt sieht aber auch "ein Dilemma" auf den Verband zukommen: "Um den Wettbewerb nicht zu verzerren, muss das Spiel irgendwie gewertet werden." Möglich ist, dass das Spiel mit einem fiktiven Torergebnis von 0:3 als verloren und für den Gegner mit 3 Punkten und 3:0 Toren gewertet wird. Auch eine Neu-Ansetzung ist denkbar.
Der SC Sternschanze setzt sich mit seinem Nicht-Antritt laut des Hamburger Rechtsanwalts Karsten Klug der Gefahr aus, "dass das Spiel doch noch gegen ihn als verloren gewertet beziehungsweise dass er im Wiederholungsfalle vom Spielbetrieb ausgeschlossen wird."
Allerdings steht das Grundgesetz über den Verbandssatzungen. "Zur Wahrung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung muss niemand Straftaten durch rechtsradikale Bekundungen tolerieren", sagt Klug. Verband und Verein würden sich demnach in einem Spannungsfeld bewegen, für das es "zum einen noch keine umfassenden Erfahrungswerte gibt und zum anderen jeweils der konkrete Einzelfall bewertet werden muss". Klug glaubt nicht, dass eine Spielabsetzung in solchen Fällen in Zukunft ein Automatismus ist.
Die Entscheidung des Sportgerichts steht noch aus, die fünfte Herren des SC Sternschanze haben ihre schon getroffen.
Anmerkung: Einer der Autoren ist Mitglied des SC Sternschanze. Er spielt weder in einer der betroffenen Mannschaft noch hat er jemals dort gespielt.