Erkenntnisse des Bundesliga-Spieltags 90 Minuten zeigen, warum Bielefeld den Trainer gewechselt hat

Frank Kramer inmitten seiner Spieler
Foto:Stuart Franklin / Getty Images
Vergangene Woche wurde Arminia Bielefeld schlagartig zu einem der brisantesten Themen in der Fußball-Bundesliga. Die Trennung von Trainer Uwe Neuhaus erregte große Aufmerksamkeit. Den Aufstiegstrainer ersetzen, obwohl er mit dem größten Außenseiter der Liga auf dem Relegationsplatz stand?
Waren Sie denn verrückt geworden in Bielefeld?
Beim 0:0 gegen Union Berlin zeigte sich nun, dass Neuhaus' Entlassung nicht gänzlich ohne Grund kam. Dass Nachfolger Frank Kramer ganz andere Ideen hat als sein Vorgänger. Und dass das möglicherweise trotzdem nicht genügen wird, um den Klub in der Bundesliga zu halten.
Neuhaus, der Defensivpapst
Das Unverständnis für Bielefelds Trainerwechsel rührt vor allem aus vergangenen Erfolgen. Neuhaus hatte den Verein im Niemandsland der zweiten Liga übernommen und binnen eineinhalb Jahren zum Aufstieg geführt. In der Aufstiegssaison war seine Bielefelder Elf ein Alleskönner: Sie beherrschten den gepflegten Spielaufbau genauso wie das rustikale Verteidigen. Die Bielefelder schossen die meisten Tore, kassierten die wenigsten und wurden souverän Erster.
Neuhaus wollte die Arminia mit diesen Stärken auch in der Bundesliga etablieren. Im Kern war sein Stil defensiv ausgerichtet: Bei gegnerischem Ballbesitz konnte seine Mannschaft den Gegner zwar früh anlaufen, gerade gegen spielstarke Teams zog sie sich aber weit zurück.

In Bielefeld abgelöst: Uwe Neuhaus
Foto:Marius Becker / dpa
Sogar bei eigenem Ballbesitz überwog das defensive Element: Bielefeld ließ den Ball zwischen Verteidigern und Torhüter laufen. Damit sollte der Gegner gelockt werden. Anschließend folgten lange Bälle auf Stürmer Fabian Klos hinter die gestreckte Formation des Gegners. Kein Bundesligist schlug in dieser Saison mehr lange Bälle als die Arminia.
In der ersten Saisonhälfte konnte Bielefeld mit diesem Stil gerade gegen die Konkurrenz im Abstiegskampf punkten. Zuletzt schien die Mannschaft die Vorgaben des Trainerteams aber bloß noch halbherzig umzusetzen. Die Defensive offenbarte Lücken, im Aufbauspiel unterliefen dem Team teils krasse Fehler. Obwohl die gesamte Taktik auf Stabilität angelegt war, kassierte Bielefeld im Kalenderjahr 2021 durchschnittlich zwei Gegentore pro Spiel. Nur Schalkes Defensive war im selben Zeitraum schlechter.
Hinzu kamen wohl zwischenmenschliche Verwerfungen. Die Lokalpresse berichtete von einem schwierigen Verhältnis zwischen Neuhaus und Sportchef Samir Arabi. Die »Sport Bild« schrieb, Neuhaus‹ rauer Ton hätte die Spieler verschreckt.
Kramers Ansatz: klassischer RB-Fußball
Der Neue, Kramer, war nach Engagements bei der TSG Hoffenheim, Fortuna Düsseldorf und dem DFB als U-Nationaltrainer im Jugendfußball verschwunden. Vergangene Saison führte er die U19 von RB Salzburg in der Youth League ins Halbfinale. Mittelfristig soll er die Startelf der Arminia verjüngen. Kurzfristig soll er den Ligaverbleib schaffen.
Bei seinem Debüt gegen Union zeigte sich, wie anders Kramer Fußball spielen lassen will. Seine Bielefelder rückten besonders in der ersten Halbzeit weiter vor, die Viererkette rückte immer wieder nach bis auf die Höhe der Mittellinie. Mit einer offensiven Raute wollten die Arminia Unions Spielaufbau stören. In der zweiten Halbzeit wählte Kramer ein etwas defensiveres 4-4-2, noch immer aber pressten seine Bielefelder früh.
Auch bei Ballbesitz sah man Veränderungen im Vergleich zu Neuhaus. Das geduldige Spiel über Torhüter Stefan Ortega scheint der Vergangenheit anzugehören. Bielefeld möchte vertikaler spielen, der Ball soll früher in Richtung Angriff gepasst werden. Attacke statt Abwarten.
Verschieben zum Ball, hohes Pressing, schnelles Vertikalspiel: All das sind Elemente jenes Spielstils, den Ralf Rangnick bei den RB-Klubs etabliert hat. Etliche Bundesligatrainer haben in den vergangenen Jahren nach jenem Konzept gearbeitet. Mit dem Ex-Salzburger Kramer agiert nun ein weiterer Vertreter dieses Stils in der Liga.
Eine Frage der Qualität
Die Spieler scheinen gewillt, seinen Weg mitzugehen. Mit knapp 134 gelaufenen Kilometern stellte Bielefeld einen Saisonrekord auf. Die Lust auf einen aktiveren Verteidigungsstil war der Mannschaft anzumerken.
Zugleich war deutlich zu erkennen, dass auch Kramer die Limitationen des Kaders nicht auffangen kann. Die Arminia hat den kleinsten Etat aller Bundesligisten. Das spiegelt sich speziell in der Offensive wider: Weder verfügt die Arminia über Präsenz im offensiven Mittelfeld noch über starke Flankengeber. Viele der vertikalen Angriffe landeten entsprechend in den Füßen des Gegners. Ganze vier Schüsse brachte das Team gegen Union zustande. Kramer muss sich etwas einfallen lassen, um die zweitschwächste Offensive der Liga (nur 18 Saisontore) zu stärken.
So bleibt die Frage, wie clever der Trainerwechsel, der auch einen Strategiewechsel im Abstiegskampf bedeutet, mit Blick auf die laufende Saison tatsächlich gewesen ist. Ob Kramer mit diesen neuen Tugenden die Arminia eher zum Klassenerhalt führen kann, als Neuhaus dies mit seinem Stil vermocht hätte, der zwar nicht begeisterte, das Team aber zumindest im Rennen hielt? Die Antwort auf die Frage geben die kommenden Wochen.