BVB-Niederlage in Berlin Das Schweigen des Lucien Favre

Lucien Favre hatte mit der Leistung seiner Mannschaft sichtlich zu kämpfen
Foto: Andreas Gora/DPA
Lucien Favre hatte mit der Leistung seiner Mannschaft sichtlich zu kämpfen
Foto: Andreas Gora/DPADie Hitze spielte Borussia Dortmund in der Berliner Alten Försterei in die Karten. Mitte der zweiten Hälfte im Spiel gegen Union Berlin gab es die Chance, den Spielern ins Gewissen zu reden. Eine Trinkpause bot die Gelegenheit, zu mahnen, zu warnen, zu fordern, zu raten, zu helfen, vielleicht sogar ein bisschen die Stimme zu heben. So wie Bayern München gegen Mainz erst nach einer Trinkpause in das Spiel fand.
Aber Dortmund-Trainer Lucien Favre blieb Lucien Favre. Er bereitete mit seinen Assistenten einen Wechsel vor. Die Spieler, die so dringend aus ihrer Lethargie hätten geweckt werden müssen, tranken nur. Sie blieben allein. Nur Sebastian Kehl, Leiter der Lizenzspielerabteilung, wagte sich einen Schritt nach vorne, klatschte in die Hände, weil er wusste, dass es in die ganz falsche Richtung lief.
Der Trainer aber blieb stumm.
Als Favre gefragt wurde, warum er die Chance, die ihm in den meisten anderen Spielen verwehrt bleibt, nicht nutzte, zuckte er mit den Schultern. Er habe die Fragen nicht richtig verstanden, sagte er in der Pressekonferenz nach der 1:3-Niederlage, glaube aber, das Richtige getan zu haben: In einem Moment, in dem Emotionen gefragt gewesen wären, um das Emotionsmonster Union Berlin zu bändigen, bereitete Favre eine Auswechslung vor und stellte auf ein 4-3-3-System um. Der Dortmunder Trainer blieb in seiner Haut.
Kontrollverlust bei Rückschlägen
Es gibt Abende, an denen alles in die falsche Richtung läuft. Wie an diesem Samstagabend, als die Verteidigung bei einem Eckstoß schlief wie beim 0:1, als einzelnen Spielern schlimme Fehler unterliefen, wie Manuel Akanji beim 1:2.
Dass Borussia Dortmund mit nervenden äußeren Umständen große Probleme hat, kommt so häufig vor, dass die Gegner schon darauf zählen können - und es auch tun. Bereits in der vergangenen Saison, besser gesagt: der Rückrunde, verlor der BVB bei den geringsten Rückschlägen wie etwa dem Ausgleich im Derby gegen Schalke im eigenen Stadion die Kontrolle, die Nerven und meistens auch die Punkte.
Am Samstag verlor der BVB nach dem 1:2 in der 50. Minute alles, was nötig gewesen wäre, um eine Niederlage des Meisterschaftskandidaten beim Aufsteiger zu verhindern. Das Tempo, von dem schon vorher wenig vorhanden gewesen war, ging abhanden, die Präzision sowieso, ein Plan blieb verborgen. "Wir waren zu überhastet. Wir hätten die Geduld behalten sollen", sagte Favre.
"Gedacht, dass es wie in Köln wird"
Tatsächlich war die Geduld das Problem an diesem Abend. Das Konzept, die Kontrolle über den Ball haben zu wollen, den Gegner bei Hitze laufen zu lassen, war angesichts der technischen und spielerischen Überlegenheit sicher richtig. Irgendwann müssten sich doch Möglichkeiten ergeben.
Doch Union hielt stand, wehrte sich, pushte sich, ließ sich pushen, nutzte einen Faktor, der dem kühlen Schweizer Favre fremd ist. Der Dortmunder Trainer bemängelte: "Ich denke, wir haben ein bisschen gedacht, dass es wie in Köln wird. Aber das war nicht der Fall." In der Vorwoche hatte Dortmund nach schwacher Leistung und Rückstand noch 3:1 gewonnen.
Zu glauben, dass es schon irgendwie gehen wird, weil die Spieler doch alle besser sind als die des Gegners, hatte fatale Auswirkungen. Auch Kapitän Marco Reus bemängelte im Interview mit dem Fernsehsender "Sky": "Wir müssen aufhören, daran zu glauben, dass wir nur mit Qualität die Spiele gewinnen." Das war sicher nicht an die Adresse von Favre gerichtet. Wenn er es dennoch als konstruktive Kritik annehmen würde, wäre dem selbst ernannten Meisterschaftsanwärter Borussia aber sicher geholfen.
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Dortmunds Trainer Lucien Favre sieht nach dem 1:3-Debakel gegen Aufsteiger Union Berlin nur bedingt glücklich aus. Der Vizemeister hatte wie bereits in der vergangenen Saison große Probleme, Rückschläge zu verkraften, und verlor verdient an der Alten Försterei.
Das wohl anrührendste Bild des Spiels im Stadion an der Alten Försterei: Der ehemalige Dortmunder Neven Subotic (Mitte) tröstet seine alten Teamkollegen Raphael Guerreiro und Jacob Bruun Larsen. Mit Unterbrechung hatte Subotic zwischen 2008 und 2018 für den BVB gespielt - und unter anderem zwei Meisterschaften gewonnen.
Doch von vorn: Zunächst brachte Marius Bülter (links) den selbst ernannten Titelkandidaten aus Dortmund mit dem ersten Bundesliga-Heimtor für Union (22. Minute) in Zugzwang. Das kannte man indes schon, war der BVB doch bisher in allen seinen Ligaspielen zunächst in Rückstand geraten. Paco Alcácer (Mitte) glich wenige Minuten später aus (25.).
Es war Alcácers 25. Treffer im 37. Pflichtspiel für Borussia Dortmund.
Nicht genug für die Partie in Berlin: Bülter (Mitte) legte nach und brachte Union wieder in Führung (50.)
Berlins Torhüter Rafal Gikiewicz parierte unter anderem einen Schuss von Marco Reus und rettete seinem Team vor der Pause die Führung - allzu viel sollte er nach Wiederanpfiff allerdings nicht zu tun bekommen.
Julian Brandt gab gegen Berlin sein Startelfdebüt für die Dortmunder. Nach seiner Einwechselung in der letzten Partie des BVB gegen Köln fielen drei Treffer.
In Berlin fiel dagegen nur noch einer - und zwar für die Gastgeber. Sebastian Andersson (2.v.l.) machte mit dem Tor zum 3:1 die Sensation perfekt.
"Wir waren eklig." Das war die Zusammenfassung von Unions Trainer Urs Fischer (Mitte) nach dem ersten Bundesligasieg seines Teams.
Und Dortmunds Kapitän Marco Reus? Der bilanzierte wie folgt: "Wir haben uns einfach im gesamten Spiel komplett dumm angestellt." Dies bezahlten er und seine Teamkollegen mit der ersten Saisonniederlage. Berlin steigerte sich von einer 0:4-Niederlage gegen RB Leipzig über ein Remis gegen Augsburg bis zum Sieg über den Vizemeister.
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