Erkenntnisse des 8. Bundesliga-Spieltags
Die Erschöpften
Manche Teams in der Bundesliga zeigen bereits nach acht Spieltagen größere Ermüdungserscheinungen. Und es wird noch schlimmer. Außerdem: Ist Union plötzlich ein Spitzenteam?
Auf Gladbachs Nico Elvedi warten jetzt neun Spiele in viereinhalb Wochen
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Eine Saison unter solchen Bedingungen hat es noch nie gegeben. Aufgrund der Corona-Pandemie erfolgte der Saisonstart erst im September. Trotzdem peitschen die Verbände sämtliche nationalen wie internationalen Wettbewerbe bis Ende Mai durch; da wartet die Europameisterschaft.
Den vollen Terminkalender müssen die Spieler ausbaden: Die Nationalspieler der Spitzenklubs hetzen von Partie zu Partie. Am achten Spieltag der Saison war deutlich zu erkennen, wie sich die Belastung auf die Topklubs auswirkt. Angesichts einiger schwächelnder Spitzenteams befindet sich plötzlich ein Berliner Klub auf Rang fünf – und es ist nicht die Hertha! Das sind die Erkenntnisse des achten Bundesliga-Spieltags:
1. Der straffe Terminplan wirft erste Schatten
Julian Nagelsmann testete beim 1:1 gegen Frankfurt eine neue Form der Arbeitsteilung aus. Bereits vor dem Spiel hatte Leipzigs Trainer beschlossen, in der Halbzeitpause Innenverteidiger Dayot Upamecano auszuwechseln. Der 22-jährige Franzose war gerade erst nach einer Muskelverletzung wieder fit geworden. Vor seiner Verletzung hatte er dreizehn Spiele in sieben Wochen bestritten. Eine Pause hätte Upamecano nicht geschadet. Er musste trotzdem ran – und patzte just vor dem Treffer zum zwischenzeitlichen 0:1.
Der Eindruck erhärtet sich: In der Bundesliga zeigen sich erste Verschleißerscheinungen nach kräftezehrenden Wochen. Dafür gibt es ein paar Indizien:
RB Leipzig tat sich gegen kompakt stehende Frankfurter schwer. Gerade in den ersten Partien der Saison hatte Rasenballsport mit schnellen Kombinationen und einem starken Zentrum überzeugt. Gegen Frankfurt prallten sie am körperlich wuchtigen Mittelfeld des Gegners ab. Leipzig schoss seltener aufs Tor als je zuvor in dieser Saison.
Auch Bayern München vergab Punkte im Titelkampf. Beim 1:1 gegen Werder Bremen ging die Taktik-Rochade von Trainer Hansi Flick nicht auf. Mit Sechser Javi Martínez und neu besetzten Außen-Positionen blieben die Bayern offensiv blass. Die Nationalspieler Leon Goretzka, Leroy Sané und Serge Gnarby sollten eigentlich geschont werden – und mussten doch noch ran, um irgendwie Druck aufzubauen gegen tapfer verteidigende Bremer.
Spiele von Borussia Mönchengladbach folgen diese Saison oft einem Muster: Über weite Strecken der Partien sind die Gladbacher überlegen und vergeben beste Torchancen, nur um dann kurz vor Schluss den bitteren Ausgleichstreffer zu kassieren. Gegen Augsburg fingen sie in der 88. Minute den Treffer zum 1:1 – und das trotz Überzahl. In den Schlussminuten fehlt dem Team die Konzentration – kein Wunder angesichts der Vielzahl an Spielen. Es war bereits die fünfte Führung, die Gladbach in der Schlussviertelstunde verspielt hat.
In den kommenden Wochen wird es keine Erholungspause geben. Wer europäisch spielt und sich für die zweite Runde des DFB-Pokals qualifiziert hat, darf in den viereinhalb Wochen bis Weihnachten neun Spiele bestreiten. (Die Bayern sind hier die Ausnahme; ihr Pokalspiel gegen Holstein Kiel wurde in den Januar verlegt.) Nach einer Woche »Winterpause« geht es direkt weiter. Angesichts dieses Terminplans werden die Spitzenteams selten Traumfußball zeigen. Weitere Patzer der Titelfavoriten sind zu erwarten.
Zu den Spitzenteams dieser jungen Saison muss man auch Berlin zählen. Damit ist wohlgemerkt nicht die Hertha gemeint, die vor der Saison mit Millionen-Transfers aufgepäppelt wurde. Auf Rang fünf steht überraschend Union Berlin. Auch gegen den 1. FC Köln hielt Unions Siegesserie. Der 2:1-Erfolg war der dritte Sieg in Folge, seit nunmehr sieben Partien ist Union ungeschlagen.
Nicht nur Unions Ergebnisse überraschen, sondern auch die Leistungen. Gegen Köln war das Team über weite Strecken feldüberlegen. Defensiv verteidigten die beiden Viererketten kompakt und aggressiv, gerade das Verhalten beim Herausrücken aus der Abwehrkette stimmte. Nach dem zwischenzeitlichen Kölner Ausgleich nahm Union das Spiel selbst in die Hand, sammelte 60 Prozent Ballbesitz und kombinierte sich zum Sieg. Max Kruses Serie an verwandelten Elfmetern riss zwar. Aber im Nachschuss besorgte er Unions Siegtreffer.
Union ist die Nummer eins in der Hauptstadt
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Und der andere Berliner Klub? Sucht weiterhin nach defensiver Stabilität. Diese war beim 2:5 gegen Borussia Dortmund gerade einmal eine Halbzeit lang gegeben, ehe die Berliner Innenverteidigung an Vierfachschütze Erling Haaland verzweifelte. Während Union die viertbeste Abwehr der Liga stellt, steht Hertha bei den kassierten Gegentoren auf dem viertletzten Rang.
Herthas Abstand auf Union vergrößerte sich damit auf acht Zähler. Damit ist auch klar: Wenn es am Freitag in zwei Wochen zum Berliner Derby kommt, wird Union tabellarisch vor der Hertha stehen.
3. Bielefeld kurios: ohne Torschuss zum Tor
Arminia Bielefeld gegen Bayer Leverkusen war ein Spiel für die Ewigkeit. Das lag sicher nicht an Glanzleistungen beider Teams: Leverkusen sammelte 70 Prozent Ballbesitz, fand aber selten Lösungen gegen das tief stehende 4-1-4-1 der Bielefelder. Wer das Spiel im TV einschaltete, bekamen doppelt so viele Foulspiele zu sehen wie Torschüsse.
Dann kam die 47. Minute. Ein lasch getretener Rückpass kullert zu Bayers Torhüter Lukáš Hrádecký. Dem Finnen versprang der Ball bei der Annahme – und der landete im Tor. Um in die Mottenkiste der TV-Kommentatoren zu greifen: Dieses Eigentor wird in keinem Jahresrückblick fehlen.
Lukáš Hrádecký sorgte für einen ganz speziellen Treffer
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Das Tor war aber noch aus anderer Sicht kurios: Es bescherte Bielefeld einen Treffer, obwohl sie über die gesamten neunzig Minuten hinweg nicht ein einziges Mal aufs Tor geschossen haben. Richtig gelesen: Leverkusens Verteidiger mussten keinen Querschläger abblocken, nicht einmal eine Verzweiflungstat aus dreißig Metern wagten Bielefelds Angreifer.
Diese kuriose Statistik steht sinnbildlich für die Bielefelder Saison. Der Spielstil von Trainer Uwe Neuhaus ist ganz auf die Defensive ausgerichtet. Die Arminia verteidigt tief, selbst ihr Ballbesitzspiel ist auf Ballhalten und nicht auf Raumgewinn ausgelegt; der Ball könnte schließlich verloren gehen. So fehlt es ihnen an Torgefahr. Nur Augsburg gab so wenige Torschüsse ab wie die Bielefelder (59). Angesichts von nur fünf Treffern in acht Spielen wird Bielefelds Weg zum Klassenerhalt ein steiniger.