Umstrittene Regel beim Fußball War das jetzt Handspiel - oder nicht?

Die Handspielregel hat am Bundesliga-Wochenende für Ärger gesorgt, mal wieder. Das Problem: Sie wird immer wieder unterschiedlich ausgelegt. Dabei gäbe es Möglichkeiten, sie einfacher und klarer zu machen.
Von Alex Feuerherdt
Schiedsrichter Manuel Gräfe zeigt an, worum es geht

Schiedsrichter Manuel Gräfe zeigt an, worum es geht

Foto: Bongarts/Getty Images

Nun tobt sie wieder, die Diskussion über das Dauerthema Handspiel. Er habe "das Gefühl, dass die Regelung Woche für Woche anders definiert ist", beschwerte sich der Mainzer Trainer Sandro Schwarz. Leipzig-Kapitän Willi Orban, gegen den in Stuttgart ein umstrittener Handelfmeter gepfiffen wurde , sagte: "Für alle Beteiligten wäre es einfacher, wenn man eine klarere Linie reinbringt."

Selbst der frühere Bundesliga-Schiedsrichter Thorsten Kinhöfer ist "genervt", wie er in einer Kolumne der "Bild am Sonntag" schrieb: "Absichtlich oder unabsichtlich, aktiv oder passiv, Hand geht zum Ball oder nicht - wer blickt da noch durch?"

Dabei liest sich der Regeltext so einfach. "Ein Handspiel liegt vor, wenn ein Spieler den Ball absichtlich mit der Hand oder dem Arm berührt", heißt es lapidar in der Regel 12 (Fouls und unsportliches Betragen). Absicht - das ist das einzige Kriterium für die Strafbarkeit, und zwar schon seit dem Jahr 1902. Damals wurde es von den Regelhütern des International Football Association Board (Ifab) so festgelegt und seitdem nicht mehr geändert.

Zur Person
Foto: Stefanie Fiebrig

Der Publizist Alex Feuerherdt ist Mitgründer und -betreiber von »Collinas Erben«, einem Podcast, der sich mit der Schiedsrichterei beschäftigt. Zudem ist er seit 1985 selbst Schiedsrichter und hat Spiele bis zur Oberliga geleitet. Er ist seit Jahren verantwortlich für die Aus- und Fortbildung der Referees in Köln sowie Schiedsrichter-Coach im Fußballverband Mittelrhein. Als Experte tritt er regelmäßig in Radio- und TV-Sendungen auf.

Das Problem besteht darin, zu bestimmen, wann Absicht vorliegt. Schließlich ist das ein ausgesprochen subjektives Kriterium, und die Schiedsrichter können nicht die Gedanken der Spieler lesen. Deshalb nennt das Regelwerk Anhaltspunkte, die der Unparteiische bei der Beurteilung berücksichtigen soll: "die Bewegung der Hand zum Ball (nicht des Balls zur Hand), die Entfernung zwischen Gegner und Ball (unerwarteter Ball), die Position der Hand (das Berühren des Balls an sich ist noch kein Vergehen)".

Der Graubereich ist groß

Das heißt, der Schiedsrichter muss bei jedem Handspiel in Sekundenbruchteilen eine Reihe von Fragen beantworten, bevor er entscheidet: Wie und aus welcher Distanz kam der Ball auf den Spieler zu? Konnte er mit ihm rechnen? War seine Armhaltung oder -bewegung fußballtypisch, also normal für diesen Sport? Oder hat er womöglich versucht, sich mit den Armen größer zu machen, um den Ball aufzuhalten? Natürlich lässt sich all dies nicht immer eindeutig bestimmen. Der Graubereich ist groß.

Manchmal unterscheiden sich Szenen nur durch Details, die den Unterschied zwischen "strafbar" und "nicht strafbar" begründen. Hinzu kommt der Faktor Mensch. Zwar agieren auf den Fußballplätzen sehr gut geschulte Unparteiische, doch auch diese können sich irren - vor allem, wenn sie unter Zeitdruck zu entscheiden haben. Und damit klarkommen müssen, dass die Verbände ihre Vorgaben, was als strafbares Handspiel zu gelten hat, in kurzen Abständen modifizieren. "In meiner Karriere ist bestimmt fünfmal die Auslegung verändert worden, was Handspiel ist", sagte Schiedsrichter Felix Brych im "11 Freunde"-Interview.

Zu wenig transparent gemacht

Diese Änderungen, zu denen es teilweise während einer Saison kommt, sind oft eine Reaktion auf Kritik, die sich an der konkreten Regelauslegung entzündet. Allerdings werden sie öffentlich zu wenig transparent gemacht. Das führt zu Verwirrung bei Spielern, Trainern, Fans und Medien. Zudem bleibt das Problem der 50:50-Situationen bestehen, "die Grenze ist fließend", wie Brych sagt, "eine Seite verärgern wir immer".

In der aktuell gültigen Regelauslegung spielt es nur noch eine untergeordnete Rolle, ob ein Spieler den Ball aus kurzer Entfernung an seinen Arm bekommt. Konnte er einen Spielzug nach Ansicht des Schiedsrichters vorhersehen und bewegte er sich mit seinem Körper zum Ball, dann soll ein Handspiel geahndet werden, selbst wenn die Distanz gering war. Besonders stark ins Gewicht fällt seit einiger Zeit die Armhaltung. "Je weiter der Arm vom Körper weg ist, umso mehr ist es Handspiel", erklärt Brych. Deshalb gab es am Samstag den Elfmeter gegen Orban, während der Strafstoß gegen den Schalker Omar Mascarell, der bei seiner Grätsche beim 0:0 gegen Freiburg den Arm eng am Körper geführt hatte, vom Schiedsrichter auf Anraten des Video-Assistenten zurückgenommen wurde.

Stuttgarter Handelfmeter gegen Leipzig am Wochenende

Stuttgarter Handelfmeter gegen Leipzig am Wochenende

Foto: Sebastian Gollnow/ dpa

Das Problem: Beim Sprung zum Kopfball oder bei einem Tackling lässt es sich kaum vermeiden, die Arme vom Körper abzuspreizen. Wenn es dann zum Handspiel kommt, dann kaum mit Absicht. Trotzdem wird der Spieler dafür bestraft.

Wie eine Reform aussehen könnte

Es ist und bleibt also kompliziert. Viele wünschen sich deshalb eine Vereinfachung, mehr Klarheit. Aber wie sollte eine Regelung aussehen, die keine Spielräume mehr kennt?

Die einfachste Möglichkeit bestünde darin, jedes Handspiel zu ahnden, ohne Ausnahme. Das aber würde mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass die Spieler bewusst auf die Arme und Hände ihrer Gegner zielen würden, um Freistöße und Strafstöße herauszuholen.

Denkbar wäre ein Vorschlag, der den Ermessensspielraum verengen und das subjektive Kriterium der Absicht außer Kraft setzen würde. Für ihn wäre allerdings ein massiver Eingriff ins Regelwerk erforderlich, denn nach den derzeit gültigen Regeln wäre er nicht umzusetzen.

  • Grundsätzlich gibt es nur noch einen indirekten Freistoß, wo das Handspiel stattfand - auch im gegnerischen Strafraum -, gleichgültig, ob es absichtlich erfolgt ist oder nicht. Bei einem Handspiel im Torraum gibt es den indirekten Freistoß auf der Torraumlinie. Von dieser Regelung gibt es drei klar definierte Ausnahmen.
  • Ausnahme 1: Ein Handspiel, mit dem eine offensichtliche Torchance verhindert wird, führt zu einem Strafstoß, selbst wenn es außerhalb des Strafraums geschieht. Denn in diesem Fall wäre ein indirekter Freistoß zu wenig, weil der Gegner dann eine Mauer stellen dürfte. Durch den Elfmeter wird die klare Torchance wiederhergestellt.
  • Ausnahme 2: Bei einem Handspiel, durch das ein klares Tor verhindert wird - etwa durch einen Spieler auf der Torlinie -, gibt es ein "technisches Tor" wie beim Eishockey. Denn ein Strafstoß könnte auch verschossen werden. Es wäre die konsequente Steigerung zum Strafstoß bei der Verhinderung einer offensichtlichen Torchance.
  • Ausnahme 3: Wenn der Arm oder die Hand eines Abwehrspielers klar erkennbar gezielt vom Angreifer angeschossen wird, geht das Spiel weiter - so wie beim Handball, wenn der Ball absichtlich auf den Fuß eines Gegners geworfen wird.

Ein Graubereich würde dann immer noch existieren. Aber er wäre deutlich kleiner. Die Berechenbarkeit wäre besser, die Entscheidung für die Schiedsrichter einfacher. Zu Härtefällen käme es seltener als jetzt - und damit auch zu weniger nervtötenden Debatten.

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