Zusammenprall von Luthe und Ryerson »Man hätte beide Spieler vom Platz runternehmen müssen«

Julian Ryerson und Andreas Luthe wurden minutenlang behandelt
Foto: Friso Gentsch / dpaAndreas Luthe und Julian Ryerson stießen mit den Köpfen zusammen, mussten minutenlang behandelt werden und spielten anschließend weiter. Nach dem heftigen Zusammenprall der beiden Bundesligaprofis von Union Berlin wird der Umgang des Profifußballs mit dem Thema Kopfverletzungen wieder kritisch hinterfragt. »Aus gesundheitlicher Perspektive hätte man beide Spieler vom Platz runternehmen müssen«, sagte Ingo Helmich, der in der Sporthochschule Köln in der Abteilung Neurologie zu sportbedingten Gehirnerschütterungen forscht.
Die Berliner Luthe und Ryerson waren beim Auswärtsspiel am Sonntag bei Arminia Bielefeld (0:0) nach einer Flanke mit den Köpfen aneinandergestoßen und benommen zu Boden gestürzt. Nach einer achtminütigen Behandlungspause spielten Ryerson (mit Kopfverband) und Luthe (mit Nasenpflaster wegen eines Cuts) bis zum Ende durch.
»Es gibt gewisse kognitive Tests, die man in so einer Situation auf dem Platz anwenden kann, um eine mögliche Gehirnerschütterung festzustellen«, sagte Helmich: »Doch manchmal treten die Symptome erst nach Stunden auf.«
Luthe und Ryerson gaben nach dem Spiel Entwarnung
Unmittelbar nach dem Abpfiff hatten die betroffenen Spieler in Sky-Interviews selbst Entwarnung gegeben. »Ich wusste, wo ich bin und welcher Spielstand war. Von daher: kein Thema«, sagte Torwart Luthe. Ryerson sagte, dass ihm in den ersten Minuten nach dem Unfall »etwas schummrig« gewesen sei, »aber das war schnell wieder normal«.
Am Montag sagte Union-Trainer Urs Fischer, es gehe den Spielern gut. «Es ist alles okay. Sie konnten das Regenerationstraining absolvieren«, so Fischer. Der Zusammenprall sei heftig gewesen. »Die Jungs zeigen aber auch heute keine Reaktionen. Da haben die Jungs noch mal Glück gehabt.« Er lobte die Untersuchung durch die Mannschaftsärzte. »Ich glaube, dass wir sensibler mit dem Thema umgehen. Zum Schluss geht es um die Gesundheit der Spieler«, sagte Fischer.
Luthe war Ende Januar in der Partie gegen Borussia Mönchengladbach (1:1) wegen einer Kopfverletzung nach einem Zusammenprall ausgewechselt worden.
Kein Concussion Protocol wie in der NFL
Anders als beispielsweise in der US-Football-Liga NFL gibt es in der Fußball-Bundesliga kein einheitlich geregeltes Vorgehen bei Kopfverletzungen. Im American Football dagegen wurde ein sogenanntes Concussion Protocol eingeführt. Spieler, die eine Gehirnerschütterung erlitten haben könnten, müssen mehrere Tests durchlaufen, ehe sie weiterspielen dürfen. Beim American Football war es ein jahrelanger Kampf, bis anerkannt wurde, dass die Kopfverletzungen infolge von Zusammenstößen verantwortlich für die schwere Hirnerkrankung CTE und darauffolgende Symptome wie Depressionen, Aggressivität bis hin zu Mord und Suizid sind.
Die Deutsche Fußball Liga (DFL) hatte 2019 für die Profis der 36 Erst- und Zweitligaklubs Tests zur Diagnose möglicher Hirnschäden verpflichtend gemacht. Bei der Überprüfung im Vorfeld der Saison sollen verschiedene Teilbereiche der Hirnfunktion untersucht werden wie die Balance und die Merkfähigkeit. Mit diesen Erkenntnissen soll für jeden Spieler ein »Normalzustand« definiert werden. Verletzt sich dann ein Spieler auf dem Feld am Kopf, kann der Mannschaftsarzt durch die Messung eventueller Abweichungen, dem sogenannten Baseline-Screening, zu einer genaueren Diagnose kommen.
Die Regelhüter des International Football Association Board (Ifab) haben zudem im vergangenen Dezember eine Testphase für einen zusätzlichen Spielerwechsel bei Kopfverletzungen erlaubt. Daran nimmt die englische Premier League teil. Die DFL entschied sich gegen die Teilnahme und begründete das mit dem wegen der Corona-Pandemie ohnehin ausgeweiteten Wechselkontingent auf fünf Wechsel pro Spiel.