
Chinas U20 in der Regionalliga: Flaggenstreit auf den Rängen
Eklat um Chinas U20 in der Regionalliga Unter falscher Flagge
Der ältere Mann mit dem schwäbischen Akzent wusste sehr genau, dass er in diesem Augenblick alle Trümpfe in der Hand hielt. "Wir sind in Deutschland, nicht in China", sagte er in eine Fernsehkamera, noch immer in eine Tibetflagge gehüllt. Das Duell zwischen dem Fußball-Regionalligisten TSV Schott Mainz und der chinesischen U20-Auswahl war seit Minuten unterbrochen. Die Gäste weigerten sich, das Spiel fortzusetzen, so lange diese politische Provokation andauere.
Die Rechtslage war jedoch eindeutig. Die sechs Aktivisten der Tibet-Initiative Stuttgart , vier von ihnen tibetische Flüchtlinge, durften dort mit ihren vier Flaggen stehen. Die Premiere der chinesischen U20 in der Regionalliga Südwest war kurz vor einem Abbruch, nach nur 25 Minuten.
Dabei hatte das Spiel doch eigentlich eine ganz andere Sollbruchstelle. Eigentlich hätte in Mainz am Samstagnachmittag der aktuelle Stand der Kommerzialisierung des Fußballs verhandelt werden sollen.
China soll nicht nur weiter zuschauen
In der Südwest-Staffel der Regionalliga spielen aktuell 19 Teams. Das heißt: In jeder Runde hat ein Team spielfrei, zum Auftakt der zweiten Saisonhälfte war es der Tabellenvorletzte TSV Schott Mainz. In diese Spielplanlücke springen nun die besten chinesischen Nachwuchskicker. Die chinesische U20 wird in der Rückrunde gegen 16 der 19 Teams antreten - ohne dabei allerdings in die Regionalliga integriert zu werden. Offiziell sind es Freundschaftsspiele, auch in der Tabelle werden die Asiaten nicht geführt. 15.000 Euro bekommt jeder Klub für seine Teilnahme an der fußballerischen Entwicklungshilfe.
Die A-Nationalmannschaft der Volksrepublik ist wieder einmal in der WM-Qualifikation gescheitert, Fußball aber ist auf dem kompletten Planeten eine riesige Sache - und die Chinesen sollen dabei nicht weiter nur aus der zweiten Reihe zuschauen.
Da es in der Volksrepublik zwar jede Menge Talente, aber keine anspruchsvolle Struktur unterhalb der Super League gibt, vermittelte der DFB. Über den Austausch von Fußball-Know-how wollen die Verbände, die Staaten - und natürlich auch die beiden Wirtschaftsmächte - weiter zusammenrücken. "Die Mannschaft soll sich verbessern, und die jungen Spieler sollen die deutsche Fußballkultur kennenlernen", sagte Shao Jiayi, einst Profi bei 1860 und Energie Cottbus.

Chinas U20 in der Regionalliga: Flaggenstreit auf den Rängen
Nicht jeder Klub war begeistert, zu unterschiedlich sind die Interessenlagen. Waldhof Mannheim, die Stuttgarter Kickers und die TuS Koblenz lehnten ab, vorgeblich, weil sie bei Teilen der Fans "ein Unbehagen wahrgenommen" hatten. Ein Staat, der sich mit einer Auswahlmannschaft in eine ausländische Liga einkauft? Das kann Fußballromantikern nicht gefallen.
"Das ist für uns ein mittelgroßer Sponsor"
Das Projekt begann am Wochenende auf der Bezirkssportanlage Mombach in Mainz. Wenige Kilometer südlich trugen am selben Tag Mainz 05 und der 1. FC Köln ein Bundesligaspiel aus. Kaum einer der daran beteiligten Spieler dort dürfte ein Jahressalär beziehen, das unterhalb des Etats des TSV Schott liegt. "Eine sehr niedrige sechsstellige Summe", sagte Kevin Schwarz, der bei den Mainzern die Pressearbeit organisiert. "Wenn uns jemand 15.000 Euro gibt, dann nehmen wir die. Das ist für uns ein mittelgroßer Sponsor." Fanproteste wurden erwartet, Ausschreitungen befürchtet. Es kamen aber in erster Linie: Medienvertreter.
70 Akkreditierungen wurden für dieses Spiel vergeben, bei einem normalen Schott-Regionalliga-Heimspiel sind es acht. Doch niemand kam, um kapitalismuskritische Sprechchöre anzustimmen.
Stattdessen gab es Regionalliga-Alltag: Alte Männer ohne ersichtliche Funktion standen rauchend vor dem Eingang zu den Umkleidekabinen. Die Chinesen bauten ihr Videoequipment auf, direkt dahinter biss ein Mann in einer mittelgrauen Jacke herzhaft in sein Wurstbrötchen. In anderen Worten: Wenn Shao Jiayis Kicker irgendwo die deutsche Fußballkultur kennenlernen, dann in Mombach.
"Gegen den modernen Fußball" musste diesmal niemand protestieren
Trotz Verletzungssorgen standen beim TSV Schott ausschließlich Spieler aus dem Regionalliga-Kader auf dem Feld, so war es vereinbart worden, kein Gemauschel mit Jugendspielern. Das Spiel plätscherte auf beruhigende Art vor sich hin, nicht einmal die vier tibetischen Flaggen, die in der Nordwestecke des Feldes hingen, schienen ein Problem zu sein. Bis zur 25. Minute.
Plötzlich gestikulierte ein Funktionär wild. Alle Spieler verließen unverzüglich das Feld. Es gab ein kleines Handgemenge, als ein Mann versuchte, der Gruppe die Flagge zu entreißen. Dann stand man sich gegenüber. Womit wir wieder beim zu Beginn dieses Textes beschriebenen Dilemma wären: den blau-rot-gelb-weißen Trümpfen in den Händen der Tibet-Initiative.
Der Mann mit dem schwäbischen Akzent hielt seinen Vortrag nicht zum ersten Mal. Er beklagte die "unrechtmäßige und gewaltsame Besetzung Tibets und die Unterdrückung der fundamentalen Menschenrechte". Die Aufmerksamkeit war ihm sicher. "Wir könnten hier jetzt einen Spielabbruch provozieren." Aber man wolle anderen nicht das Fußballvergnügen nehmen. Nach 20 Minuten im Rampenlicht falteten sie ihre Flaggen friedlich zusammen und das Spiel ging weiter.
Was passiert am kommenden Samstag beim FSV Frankfurt?
Die Regionalliga-Kicker gewannen das Duell übrigens 3:0. Gegen technisch starke, aber wenig robuste und noch weniger zielstrebige Chinesen. Doch eine Frage blieb: Was, wenn sie ihre Flaggen nicht entfernt hätten? Was wenn am kommenden Samstag auf der Anlage des FSV Frankfurt weniger kompromissbereite Zaungäste auftauchen?
Die DFB-Funktionäre versicherten im Anschluss, man werde nun ganz sicher nicht anfangen, zu kontrollieren, ob Besucher rechtlich nicht zu beanstandende Nationalflaggen mit ins Stadion schmuggelten. Die Meinungsfreiheit steht nun einmal sehr weit vorn im Grundgesetz, auch 15.000 Euro können daran nicht rütteln. So etwas auszuhalten, das ist dann auch Teil der Fußballkultur.
Trainer Sun Jihai, nach seinen Jahren als Spieler bei Manchester City einer der populärsten Sportler seines Landes, kommentierte: "Wir hoffen, dass es in der Folge wieder nur um Sport geht." Es wäre allerdings verwunderlich, wenn am kommenden Wochenende die tibetische Flagge nicht zum Bestseller avancieren würde. Der DFB hat recht: Der Ball liegt bei den Gästen aus China.