Ungarn nach dem Aus gegen Belgien Die besten Verlierer der EM

Die Ungarn haben die höchste Niederlage des bisherigen Turniers erlitten - und gleichzeitig zwei der attraktivsten EM-Spiele abgeliefert. Das ist auch dem deutschen Trainerteam zu verdanken.
Kapitän Balázs Dzudzsák und die ungarische Mannschaft

Kapitän Balázs Dzudzsák und die ungarische Mannschaft

Foto: Tibor Illyes/ dpa

Es war Marc Wilmots hinterher ein wichtiges Anliegen, nicht nur Bernd Storck oder Andreas Möller für diesen unterhaltsamen Abend im Stade Municipal von Toulouse zu gratulieren. Speziell mit dem ungarischen Torwarttrainer Holger Gehrke wollte der belgische Nationalcoach auch noch sprechen - man kennt sich halt aus gemeinsamen Schalker Zeiten zu gut, um einfach so auseinanderzugehen. Der Smalltalk am Spielfeldrand endete mit einer herzlichen Umarmung zwischen dem mittlerweile etwas beleibteren Wilmots und dem immer noch baumlangen Gehrke.

Chef-, Assistenz- und Torwarttrainer der ungarischen Nationalmannschaft wussten natürlich schon, dass sie bei diesem Turnier ziemlich viel richtig gemacht hatten. Und dass die 0:4 (0:1)-Niederlage gegen den Mitfavoriten Belgien in einem sehenswerten Achtelfinale leider verdeckte, wie tapfer sich die Ungarn gewehrt hatten. "Riesenkompliment an meine Mannschaft. Erste Halbzeit hatten wir zu viel Respekt, da waren wir nicht so mutig wie sonst, da fehlten Courage und Selbstvertrauen", sagte Storck hinterher. "Aber zweite Halbzeit waren wir dem Unentschieden nahe. Erst mit dem 0:2 war die Messe gelesen."

Tatsächlich war seine Mannschaft in der ersten Hälfte nach dem frühen 0:1 von Toby Alderweireld (10. Minute), den die gesamte Abwehr bei einem Freistoß von Kevin de Bruyne aus den Augen verlor, völlig chancenlos. Im zweiten Durchgang ließ sie sich dann auf einen offenen Schlagabtausch ein. Kein Achtelfinale verlief so unterhaltsam wie diese Partie, zu der der Außenseiter mit seiner offenen Grundausrichtung seinen Teil beitrug.

kicker.tv

Storcks Motto: Wenn, dann bitte mit fliegenden Fahnen untergehen. Tatsächlich lag beim abgefälschten Schuss von Ádám Pintér (69.) der Ausgleich in der Luft, ehe die belgischen Tempofußballer einen Gang höher schalteten und angetrieben vom überragenden Eden Hazard durch Michy Batshuayi (78.), Hazard selbst (80.) und Yannick Carrasco (90.) zum klaren Erfolg kamen. "Das sind alles Weltklassespieler, wir haben nie gegen solch eine Mannschaft gespielt", gab Storck zu bedenken. "Das war ein großer Schritt. Wir sind zurück. Wir kommen aus dem Nichts."

Tatsächlich hat der Nachfolger von Pál Dárdai die ungarische Nationalmannschaft mit seinem authentischen Arbeiterstil auf ein neues Niveau gehoben. Und endlich kann sich Ungarn wieder mit dieser Auswahl identifizieren: Die mitgereisten Anhänger baten Spieler und Betreuerteam nach dem Spiel noch einmal zum gemeinsamen Singen der Nationalhymne vor die Kurve.

Für Storck ist nun wichtig, sich nicht nur auf die Schulter zu klopfen: "Die Arbeit in den Klubs muss weitergehen." Internationale Erfahrung sei unverzichtbar. "Wenn der eine oder andere Verein schon mal in der Europa League mitspielt, würde das helfen. Von der Champions League will ich gar nicht reden. Großes Ziel ist die Qualifikation für die WM 2018 in Russland, was in einer Gruppe mit Portugal und der Schweiz nicht einfach wird, auch wenn die weiteren Gegner mit Lettland, den Färöer-Inseln und Andorra schlagbar erscheinen. Und spätestens zur EM 2020, wo Budapest als ein Spielort bestimmt ist, soll auch das neue Nationalstadion fertig sein.

Genügend Ziele also für die Ungarn, bei denen nicht nur die Spieler in Frankreich viel dazugelernt haben. "Früher als Spieler habe ich mir nur auf dem Flipchart den Tagesablauf abgeschaut, jetzt war ich für alles mitverantwortlich. Das war für mich eine tolle Erfahrung, weil ich Einblicke in alle Facetten bekommen habe", sagte Storcks Assistent Möller. Dem 48-Jährigen war wichtig, dass wir "erhobenen Hauptes" gehen können. Um Belgien zu schlagen, "hätten wir einen absoluten Sahnetag haben müssen".

Fotostrecke

EM 2016: Belgien schlägt tapfere Ungarn

Foto: imago/Belga

So wie der tadellose Torhüter Gábor Király. Famos, was der 40-Jährige noch an Paraden und Reflexen zeigte. "Ich denke, wir waren vom Kopf ein bisschen müde. Aber für uns ist so ein Turnier eine ganz neue Erfahrung gewesen", sagte der langjährige Bundesligaprofi hinterher. Mit leuchtenden Augen berichtete er, dass er bei diesem tollen Erlebnis jede Minute genossen habe. "Für das ungarische Volk und den ungarischen Fußball ist das ein toller Erfolg."

Nächste Saison hütet Király weiter das Tor bei seinem Heimatverein Haladás Szombathelyi - und wohl auch in der Nationalmannschaft. "Das entscheide ich noch. Wir werden sehen", sagte er mit einem verschmitzten Grinsen. Für den heutigen Montag ist der Rückflug nach Budapest geplant. Nicht nur Storck rechnet in der ungarischen Hauptstadt mit einer überaus freundlichen Begrüßung durch die Fans. "Ich glaube, es ist sogar noch mehr geplant." Bei einer Umarmung wie zwischen Wilmots und Gehrke dürfte es dann kaum bleiben.

Mehr lesen über

Verwandte Artikel

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren