Sensationssieg im Elfmeterschießen gegen Frankreich Die Schweiz, ein Sommer-Märchen

Auge in Auge mit Kylian Mbappé behielt Yann Sommer die Nerven – und parierte die Schweiz sensationell ins Viertelfinale. Weltmeister Frankreich gelang neben zweieinhalb Traumtoren wenig.
Die Schweiz in Ekstase: Nach Yann Sommers gehaltenem Elfmeter gegen Kylian Mbappé gab es kein Halten mehr

Die Schweiz in Ekstase: Nach Yann Sommers gehaltenem Elfmeter gegen Kylian Mbappé gab es kein Halten mehr

Foto: DANIEL MIHAILESCU / AFP

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Held des Spiels: Für Yann Sommer wäre es in jedem Fall ein besonderer Tag geworden. Sein 65. Spiel im Trikot der Nati hatte den Gladbacher Keeper zum Rekordtorhüter der Schweiz gemacht. Doch das wahnwitzige Drehbuch dieser so spektakulären Partie hatte Größeres für Sommer vorgesehen. Plötzlich fand er sich im Elfmeterschießen gegen Frankreich wieder. Neun Spieler hatten bereits getroffen, fünf Schweizer, vier Franzosen. Nur Superstar Kylian Mbappé – bei dieser EM noch torlos – stand noch bereit. Mbappé wählte einen kurzen Anlauf, schoss hart halbhoch in die linke Ecke – und traf nicht. Sommer hatte die Ecke geahnt, seine 1,83 Meter zur richtigen Seite geworfen und mit der linken Pranke den Ball abgewehrt. Sekunden vergingen, bis sich jeder sicher war, dass alles auch mit rechten Dingen zuging. Dann stürmten entfesselt jubelnde Schweizer über den EM-Rasen von Bukarest – und ins erste Viertelfinale bei einem großen Turnier seit der WM 1954.

Das Ergebnis: In einem spektakulären Duell war es die Schweiz, die Weltmeister Frankreich aus dem Turnier warf. 3:3 nach 90 Minuten, 3:3 nach 120 Minuten. Dann: 5:4 im Elfmeterschießen. Es war die zweite Überraschung des EM-Achtelfinales nach dem Aus der Niederlande gegen Tschechien – und die erste echte Sensation. Hier geht es zur Spielmeldung.

Déjà-vu: Die Rollen waren vor der Partie auf dem Papier klar verteilt: Für Weltmeister Frankreich wäre ein Erfolg ein Pflichtsieg, für die Schweiz ein fast historisches Ereignis. Doch wie schon in den letzten Gruppenspielen, als den Franzosen gegen Ungarn und Portugal nur ein Remis gelang, fand das Geschehen auf dem Platz bemerkenswert nah an der Augenhöhe statt. Und wie schon gegen Ungarn und Portugal geriet Frankreich in Rückstand: Haris Seferović setzte sich im Luftduell gegen Clément Lenglet durch und köpfte zum 1:0 für die Schweiz ein (15.).

Zuberkräfte: Zum Vorlagengeber für den Ex-Frankfurter Seferović wurde einer, der seit der letzten Saison bei der Eintracht spielt: Steven Zuber eroberte im Turnierverlauf erst die linke Außenbahn des in die Dreierkette zurückgerutschten Ricardo Rodríguez – und mit der Flanke auf Seferović nun auch den alleinigen Spitzenplatz der EM-Assist-Rangliste: Gegen die Türkei hatte Zuber bereits stolze drei Treffer aufgelegt.

In der Bundesliga Ergänzungsspieler, bei der EM ein Star: Steven Zuber im Zweikampf mit Benjamin Pavard

In der Bundesliga Ergänzungsspieler, bei der EM ein Star: Steven Zuber im Zweikampf mit Benjamin Pavard

Foto: MARKO DJURICA / AFP

Flügellahm: Apropos linke Außenbahn: Auch Frankreich hatte sich notgedrungen im 3-5-2 aufgestellt, nachdem mit Lucas Hernández und Lucas Digne beide nominellen Linksverteidiger nicht spielfit waren. Vertreter Adrien Rabiot hatte manchen (ertraglosen) Vorstoß, doch der nominelle zentrale Mittelfeldspieler fühlte sich so weit draußen sichtlich unwohl. So unwohl, dass Didier Deschamps noch vor der Pause zurück zur Viererkette wechselte und Innenverteidiger Presnel Kimpembe auf links beorderte.

Generalprobe: Wirklich Freude am Spiel seiner Mannschaft hatte Deschamps immer noch nicht. Also blieb Lenglet, einer der drei Innenverteidiger, zur Pause in der Kabine. Neu in die Partie kam Flügelstürmer Kingsley Coman, Rabiot ging wieder nach hinten. Statt offensiven Glanzlichtern der Franzosen aber gab es Elfmeter für die Schweiz: Pavard hatte Zuber gefoult, Rodriguez trat an – doch Hugo Lloris ahnte die Ecke, hechtete nach links unten und wehrte den Ball ab (55.). Es war der vierte vergebene Länderspiel-Elfmeter der Eidgenossen in Serie. Frankreichs Kapitän ballte die Faust: Das Momentum lag nun bei der Équipe Tricolore.

Auf Knopfdruck: Und wie gut die Franzosen sein konnten, wenn sie denn wollten und mussten, zeigten sie in den Minuten nach der Initialzündung. Karim Benzema nahm zunächst ein Mbappé-Zuspiel kunstvoll mit und schoss den Ausgleich (57.), zwei Minuten später veredelte er einen traumhaften Spielzug – Mbappé spielte per Hacke den Doppelpass mit Antoine Griezmann, der noch einmal quer lupfte – Zentimeter vor der Torlinie per Kopf (59.). Frankreich, bislang so öde, so bieder, schien bloß die Katze gewesen sein, die mit der Maus spielte.

Der Spaß bin ich: Und es schien noch schlimmer zu kommen für die Schweizer. Paul Pogba, immer dann, wenn er das Manchester-United-Trikot gegen das der Franzosen tauschte, einer der größten Ballvirtuosen der Welt, zirkelte das 3:1 aus knapp 25 Metern genau rechts oben in den Torwinkel. Danach zelebrierte der Weltmeister sein Traumtor mit einem Freudentanz. Noch ahnte Frankreich nicht, dass Pogba sich zu früh gefreut hatte.

Paul Pogba bittet nach seinem Traumtor zum Tänzchen, auch Presnel Kimpembe hat Spaß

Paul Pogba bittet nach seinem Traumtor zum Tänzchen, auch Presnel Kimpembe hat Spaß

Foto: Vadim Ghirda / POOL / EPA

Top, Schwiiz!: Doch die goldene Generation der Schweizer hatte sich nicht aufgegeben. Vielleicht war es auch einfach ein Tag für den Wahnsinn, schon im ersten Achtelfinale des Abends hatte Kroatien gegen Spanien in den Schlussminuten aus einem 1:3 noch ein 3:3 gebastelt. Couragierte Schweizer taten es ihnen nun gleich: Seferović nutzte eine Flanke von Kevin Mbabu zum zweiten Kopfballtor des Tages (81.), Joker Mario Gavranović umkurvte nach einem Steilpass Granit Xhakas Kimpembe und brachte die Mannschaft von Vladimir Petković in die Verlängerung (90.). Daran änderte auch Comans später Kunstschuss an die Latte nichts mehr (90.+4).

Auf zum nächsten Giganten: Der Rest der Geschichte ist bekannt: In der Verlängerung musste Sommer nur noch gegen Pavard (95.) und den eingewechselten Giroud (119.) retten, ehe er nach drei Pleiten bei Großturnieren in der Runde der letzten 16 in Serie den Schweizer Achtelfinal-Fluch brach. Im ZDF zeigte Sommer sich später glücksselig, wenngleich immer noch überwältigt vom Skript des Abends. »Ich ruf nachher mal Robert de Niro an, ob er Bock hat, die Rolle zu spielen«, sagte der Keeper. Im Sequel unter dem Namen »EM-Viertelfinale Schweiz gegen Spanien« wird Sommer am Freitag (18 Uhr, TV: ARD oder ZDF, Stream: MagentaTV, Liveticker: SPIEGEL.de) allerdings selbst zu sehen sein.

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