Emotionen im Fußball Warum Werder-Fans dem HSV nicht den Abstieg wünschen

Nordderby Werder Bremen gegen HSV
Foto: Stuart Franklin/ Bongarts/Getty Images
Dr. Johannes Berendt, Jahrgang 1981, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sportökonomie und Sportmanagement der Deutschen Sporthochschule Köln. In seiner Promotion untersuchte er Marken- und Konsumentenrivalitäten in und außerhalb der Sportwelt. Zuvor arbeitete er im Marketing- und PR-Bereich und begleitete u.a. die deutsche Fußballnationalmannschaft für die englische Nachrichtenagentur PA.
SPIEGEL ONLINE: Herr Berendt, Werder Bremen hat den ewigen Kontrahenten aus Hamburg zuletzt mit einem Sieg ein Stück näher Richtung zweite Liga geschickt. Falls der HSV absteigt - würden sich Bremer Anhänger darüber freuen?
Berendt: Wir haben Fußballfans gefragt, ob sie ihrem Erzrivalen den Abstieg wünschen. 80 Prozent haben das verneint. Außerdem baten wir Fans, eine fiktive Wunschtabelle für die Saison anzufertigen. Da war das eigene Team meist auf Platz eins. Interessanter war die Position des Rivalen.
SPIEGEL ONLINE: Der vermutlich schlecht abschnitt.
Berendt: Genau, aber er wurde in vielen Fällen auf den 15. Platz gesetzt. Der Platz, der das Leid maximiert, aber die Fortführung der Rivalität in einer Klasse sichert.
SPIEGEL ONLINE: Mit Rivalitäten unter Fans verbinden viele Ausschreitungen, auch Gewalt. Gibt es positive Aspekte?
Berendt: Rivalität ist ein zentraler Teil der Fan-Identität. Fans definieren sich nicht nur darüber, wer sie sind, sondern auch darüber, wer sie nicht sind. Gegenseitige Frotzeleien machen auch den Genuss des Fan-Seins aus.
SPIEGEL ONLINE: Demnach sind Derbys für Fans reizvoller?
Berendt: Rivalität verstärkt die Emotionen bei einem Fußballspiel, es ist spannender und aufregender für Zuschauer. Eine Partie von Dortmund gegen Wolfsburg ist schnell wieder vergessen. An Spiele gegen Schalke erinnern sich BVB-Fans noch nach Jahren. Dieses Potenzial, in die Geschichte einzugehen, bezeichnet man auch als "legacy concerns", also als Frage des Vermächtnisses. Man fühlt sich als Teil eines längeren Konflikts und hat die Chance, Historisches mitzuerleben.

Ein BVB-Fan unter Schalkern
Foto: imago/Moritz MüllerSPIEGEL ONLINE: Oft ist die Situation vor einem Derby emotional aufgeladen. Wie sollten sich Vereinsverantwortliche verhalten?
Berendt: Um die Fans zu beruhigen, kommen Verantwortliche vor großen Spielen oft mit Aussagen wie "Das Derby ist kein Krieg". Dieser Ansatz ist eher kontraproduktiv, denn er erzeugt bei Fans das Gefühl, dass der Verein den eigenen Konflikt nicht ernst nimmt. Für die Anhänger ist er aber der Höhepunkt der Saison. Wenn die eigene Identifikation mit diesem Konflikt nicht wertgeschätzt wird, reagieren Fans verärgert.
SPIEGEL ONLINE: Wie sollten Vereinsvertreter also besser vorgehen?
Berendt: Wir konnten in Vergleichsstudien nachweisen, dass Fans, denen ein beschwichtigendes Statement vorgesetzt wurde, einen signifikant höheren Grad an Aggressivität aufwiesen als jene, die gar kein Statement vorgelegt bekamen. Es ist sinnvoller, nichts zu sagen als etwas herunterzuspielen. Die Rivalität soll leben.
SPIEGEL ONLINE: Am kommenden Wochenende wird es zum Duell zwischen Borussia Dortmund und RB Leipzig kommen. Ein Spiel, das in der Vergangenheit viel Brisanz hatte. Wie kam diese zustande?
Berendt: Dortmund als Traditionsklub gegen den Neuling aus Leipzig - klare Gegensätze können Rivalität erzeugen. Ein weiterer Treiber ist sportliche Augenhöhe. Wenn beide dauerhaft an der Tabellenspitze konkurrieren, kann sich eine Rivalität entwickeln. Für den BVB wird der Erzrivale immer Schalke bleiben, aber Konflikte mit Leipzig können sich über die Jahre verstärken.
SPIEGEL ONLINE: Bleiben Rivalitäten bestehen?
Berendt: Hannover und Braunschweig haben lange Zeit nicht gegeneinander gespielt. Als es 2013 wieder zum Derby kam, ist die Rivalität sofort so hochgekocht, als wäre sie nie weg gewesen.

Fans von Eintracht Braunschweig
Foto: Peter Steffen/ dpaSPIEGEL ONLINE: Hat Wolfsburg eine Chance, sich als Rivale in Niedersachsen zu etablieren?
Berendt: Das ist schwierig. Der VfL wird in Hannover oder Braunschweig als Rivale nicht ernst genommen oder ignoriert. Rivalitäten leben aber davon, dass sie auf Gegenseitigkeit beruhen. Wenn niemand die Wolfsburger als Rivale akzeptiert, können sich die identitätssteigernden Effekte nicht entfalten. Nichts ist schlimmer, als ignoriert zu werden. Das kann das Identitätskonzept negativ beeinflussen.
SPIEGEL ONLINE: Sind Ihnen Fans begegnet, die keine Rivalität empfinden?
Berendt: Die meisten Fans wissen intuitiv, was Rivalität ist. Und fast jeder hat ein Verständnis davon, wer der Rivale des eigenen Vereins ist. Es gibt allerdings Fälle, wo der eigene Rivale nicht eindeutig bestimmt werden kann. Zum Beispiel in Hoffenheim.
SPIEGEL ONLINE: Was war bei Hoffenheimern die häufigste Antwort?
Berendt: Stuttgart oder Frankfurt, es gab keine Einigkeit. Das ist ein klassischer Fall, bei dem eigentlich kein Erzrivale vorliegt. Das ist schade für die TSG-Fans. Ohne Erzrivale fehlt einfach etwas.