Fußball im Osten Radikalisierung der Fans
In den achtziger Jahren wurden die Rivalitäten zwischen den Clubs immer größer. Die besten Spieler wurden wie Schachfiguren verschoben. In Leipzig landeten sie bei Lokomotive, der Stadtrivale BSG Chemie, heute FC Sachsen, ging leer aus. In Thüringen freute sich Carl Zeiss Jena, der Zorn beim Konkurrenten Rot-Weiß Erfurt schwoll an. Mit der sportlichen Dominanz des BFC Dynamo schwand indes das Interesse in Ost-Berlin, die Zuschauerzahlen sanken. Es brach eine Zeit an, in der sich die wenigen hart gesottenen BFC-Fans solidarisierten und radikalisierten. Viele sonnten sich in der Nische der Ungewollten.
Am 12. Mai 1984 griffen BFC-Fans in einem Zug "26 kubanische Werktätige an", wie die Stasi vermerkte. Im November 1989 überfielen Berliner in Jena eine Tankstelle. Später überfielen jugendliche BFC-Fans ein Asylbewerberheim in Greifswald. Auch am 3. November 1990, beim Spiel gegen Sachsen Leipzig, kam es zu schweren Krawallen. Die Polizisten waren überfordert, sie zogen ihre Waffen und erschossen den 18 Jahre alten BFC-Fan Mike Polley. Es war der schockierende Prolog einer traurigen Zeit. Das Vereinungsländerspiel zwischen BRD und DDR wurde aus Sicherheitsgründen abgesagt.
Anfang der neunziger Jahre waren die Strukturen der Polizei wenig gefestigt. Auch Hooligans aus dem Westen tauchten nun in den rechtsfreien Raum ein und nutzten die ostdeutschen Stadien als Spielwiese. Am 20. März 1991 fand die Gewaltarie eine Fortsetzung: Beim Viertelfinal-Rückspiel im Europapokal der Landesmeister zwischen Dresden und Roter Stern Belgrad randalierten hunderte Dynamo-Fans. Sie wollten sich für das rabiate Vorgehen der Belgrader Polizei während des Hinspiels rächen. Vor laufenden Fernsehkameras fuhren Wasserwerfer ins Rudolf-Harbig-Stadion ein, die Partie musste abgebrochen werden.
Doch die Gewalt im ostdeutschen Fußball ist kein reines Erbe der DDR. Die Vereine waren dem neuen Deutschland nicht gewachsen. Die Verantwortlichen stürzten sich Hals über Kopf in den Kapitalismus, gewaltbereite Fans waren ihnen egal. Sie hofften auf das schnelle Geld und sie bekamen es. Die besten Spieler wurden verscherbelt, die Einnahmen landeten auf dubiosen Konten. Wie Zirkusartisten auf dem Hochseil balancierten die Vereinsmanager am Abgrund entlang. Sportlich stürzte der BFC Dynamo bis in die fünftklassige Verbandsliga. Dynamo Dresden landete zeitweilig in der Oberliga und Lokomotive Leipzig gründete sich in der elften Liga neu. So bildeten sich im Schatten des Niedergangs düstere Abenteuerspielplätze. Auch beim BFC Dynamo.
"Die Last der Vergangenheit tragen wir noch immer", sagt Mario Weinkauf, der 2004 zum Präsidenten des BFC gewählt wurde und im Juni 2007 zurücktrat. Er streicht sich über seine Krawatte und blickt gedankenverloren zu Boden. Als Boss des DDR-Rekordmeisters muss er viel mit der Vergangenheit ringen. Dabei würde er so gern von der Zukunft reden. Weinkauf badet die Fehler seiner Vorgänger aus. Das Image des verhassten Störenfrieds wurde von vielen Anhängern kultiviert. Die meisten bekannten sich zur rechtsradikalen Szene. Verlierer der Wiedervereinigung, vor allem Jugendliche, die ihre Perspektive verloren hatten, suchten sich ein Ventil für ihren Frust.
Figuren mit zweifelhafter Vergangenheit übernahmen beim BFC wichtige Positionen. Andere Mitglieder unterstützten den Club finanziell, wo das Geld genau herkam, war den meisten in der Chefetage egal. Es folgten Randale und rassistische Äußerungen, Flaggen mit Hakenkreuzen und Reichskriegssymbolen. Einmal sprengte die Polizei eine Party, es wurde der "Tag der Germanen" gefeiert. Die Vermarktungsrechte des Vereinswappens sicherten sich die berüchtigten Hell's Angels.
Weinkauf wurde oft als Chef der Nazi-Kolonne beschimpft, seinen Kindern ging es nicht anders. Einmal kam ein Fremder auf ihn zu und bot ihm 50.000 Euro. Dessen Bedingung: Weinkauf müsse den BFC sterben lassen. Doch er wollte den BFC wieder gesellschaftsfähig machen und ihn von seinen finsteren Gönnern befreien. Gleichzeitig schloss Weinkauf die Augen und nahm das Geld an. Kein anderer Verein hat mit diesem Paradoxon zu kämpfen: Jene Anhänger, die dem BFC mit ihrer politischen Gesinnung und ihrer Vorliebe für Gewalt am meisten schaden, haben ihm mit Spenden am Leben erhalten.
So war es auch im Mai 2006. Im Heimspiel gegen den verhassten Stadtrivalen 1. FC Union stürmten Anhänger des BFC das Spielfeld des Sportforums in Hohenschönhausen. Die Partie musste abgebrochen werden. Wieder einmal hatten sich Krawalltouristen aus dem ganzen Land bei einem der brisanten Ostderbys versammelt. Selbst die szenekundigsten Fanbetreuer und Polizisten sind in Momenten wie diesen aufgeschmissen. Danach zogen sich wichtige Sponsoren zurück.
Ob es einen Ausweg aus diesem Dilemma gibt? "Wenn der BFC sich noch deutlicher von den Problemfans abwenden würde, kämen zwei Drittel weniger Zuschauer", vermutet Ralf Busch, der Leiter des Berliner Fanprojekts. Erschwerend kommt hinzu, dass das 1992 verabschiedete "Nationale Konzept Sport und Sicherheit" (NKSS), in dem die Richtlinien für sozialpädagogische Fanprojekte festgeschrieben worden sind, nur in den oberen Ligen greift. Manche Randalierer wünschen sich sogar, dass ihre Teams möglichst lange am Bodensatz des deutschen Fußballs verharren. Dort können sie weitgehend unbemerkt ihre Wut ausleben. Oft sind es dieselben Fans, die bei Auswärtsspielen der deutschen Nationalmannschaft in Osteuropa für Krawall sorgen, in Zabrze, Celje oder Bratislava.
Lesen Sie morgen im dritten und letzten Teil, bei welchen Ostclubs es Fortschritte in der Fanarbeit zu verzeichnen gibt.