Fußball in Afrika Wo man Spielern in den Hintern treten darf

Zaires Präsident Mobutu (l., 1984): Torgeiler Tyrann
Foto: GEORGES GOBET/ AFPKann der Fußball Afrika den Frieden bringen? In Liberia, im November 2005, wäre fast einer der großen afrikanischen Fußballheroen zum Präsidenten gewählt worden. Erst in der Stichwahl, kurz vor Abpfiff sozusagen, war an Ellen Johnson-Sirleaf gescheitert. Doch insbesondere der Jugend des Landes hatte Weah als großer Hoffnungsträger gegolten. Nach Jahren des Betrugs, des Kriegs, der Meuchelmorde schien ausgerechnet ein Fußballspieler geeignet, die Todfeinde zu versöhnen. Er hatte den Menschen durch sein Spiel Freude bereitet, er hatte das Land durch seinen Erfolg stolz gemacht, und er schien durch seinen persönlichen Reichtum immun gegenüber Bestechungsversuchen.
Schon früher, im Trikot der "Lone Stars", hatte er die Vertreter der verschiedenen Stämme und Klassen einen können. Wenn George am Ball war, herrschte für neunzig Minuten lang Frieden im Lande des Kriegs, da saß die Nation wenigstens eine Spielzeit vereint vor dem Fernseher. Ich traf in Monrovia, der Hauptstadt des Landes, auf eine Götzenverehrung, die allenfalls mit religiöser Inbrunst zu vergleichen ist. "Legt eure Waffen nieder und geht ins Stadion und genießt das Spiel", rief die zweite liberianische Fußball-Legende, der ehemalige Spieler und Trainer Josiah Johnson, den Kombattanten zu, "ihr werdet keine Millionäre, wenn ihr jemanden erschießt, aber vielleicht, wenn ihr gut Fußball spielen könnt."
Aber kann Liberias Fußball tatsächlich "ein kollektives Bewusstsein dafür schaffen, dass die Menschen glauben, das was sie eint, sei bedeutender als das, was sie trennt", wie der Sportwissenschaftler Gary Armstrong aus London fragt? Armstrong weist darauf hin, dass 1998 in Monrovia nur ein einziges Denkmal gestanden hatte, in der vielbefahrenen Broad-Street im Zentrum, und es war nicht das eines ehemaligen Präsidenten, Freiheits- oder Kriegshelden, sondern das des berühmten Fußballers gewesen, in Bronze gegossen, von wohlhabenden Anhängern gestiftet.
Fußball und Politik vertragen sich nicht
Es dürfte für alle Beteiligten wohl dennoch besser gewesen sein, dass der Fußballer am Ende nicht Präsident wurde - auch wenn er in Liberia nicht mehr viel hätte kaputtmachen können. Auch wenn die Autoren Marc Broere und Roy van der Drift meinen: "Der Einzige, der George Weah als populärstem Mann Afrikas Konkurrenz machen kann, ist Nelson Mandela" und einen liberianischen Sportjournalisten mit den Worten zitieren: "George Weah ist der Einzige, der unserem Land den Frieden bringen kann" - Fußball und Politik vertragen sich nicht gut. Nirgends.
"Guineas Diktator Sekou Touré, Präsident seines Landes von 1958 bis 1984, nahm den Fußball so ernst, dass er sogar Militärgerichten präsidierte, in denen erfolglose Kicker abgestraft wurden", sagt der Schweizer Soziologe Daniel Künzler. Und auch Kongos 1965 an die Macht gekommener Führer Joseph-Désiré Mobutu, der sich kurz darauf und den Kongo Zaïre nennen ließ, verstand, wenn es um die schönste Nebensache der Welt ging, wenig Spaß. Anfangs hatte er sogar Erfolg. Nachdem er seinen "Leoparden" großzügig alle erdenkliche Unterstützung zukommen ließ, gewann die Mannschaft 1968 in Äthiopien und 1974 in Ägypten den vom afrikanischen Fußballverband Caf ausgelobten Africa Cup of Nations und qualifizierte sich damit für die Tip- und Tap-WM in Deutschland.
"Der Hahn, der alle Hennen besteigt", wie eine der offiziellen Übersetzungen seines Titels lautet, versprach jedem Spieler 20.000 Dollar und noch allerhand andere Reichtümer wie Autos und Frauen und soll selbst an der Gestaltung der Spielkleidung mitgewirkt haben: "Gelb steht euch gut. Das kommt gut auf schwarzer Haut." Die Reise ins Wirtschaftswunderland geriet zum Fiasko. Selbst all die den Spielertross begleitenden Hexenmeister mit ihren Knollen und Knochen aus dem Kongobecken fanden kein Rezept gegen schottische Kraft, jugoslawischen Witz und brasilianische Spielkunst. 0:2, 0:9, 0:3 hieß es am Ende. Null Punkte, 0:14 Tore, letzter Platz in Gruppe 2 - obwohl Sportreporter Ernst Huberty sie "wie Katzen springen" und "wie Gazellen laufen" gesehen hatte.
Rauchende Reservespieler
Schottlands Trainer Willi Ormond schien der Wahrheit näher gekommen zu sein, als er vor der Weltmeisterschaft schon unkte: "Denen fällt es schwer, aus zehn Metern eine Pyramide zu treffen." Was für eine Blamage! Mobutu soll in seinem Palast in Kinshasa geschäumt ("Ihr habt Schande über unser Land gebracht! Ihr seid Abschaum und Hurensöhne!") und wüste Flüche ("Solltet ihr im letzten Spiel mehr als drei Tore zulassen, werdet ihr Zaïre nie wiedersehen!") ausgestoßen haben, und die Spieler bangten ihrer Heimkehr entgegen.
Später kam allerdings heraus, was zum desaströsen Auftreten zumindest mit beigetragen hatte. Nach dem achtbaren Spiel gegen die Schotten hatten die Kicker einen Teil der zuvor versprochenen Prämie eingeklagt, doch statt Geld nur den Rat erhalten, sich wie brave Sportsleute zu benehmen und das Hotelzimmer nicht zu verlassen. Da drohten sie mit Spielboykott, und einige praktizierten ihn wohl auch.
In der Halbzeitpause des Jugoslawienspiels jedenfalls konnte man drei Ersatzspieler beobachten, wie sie auf der Reservebank Zigarette rauchten, und viel gestresster wirkten auch einige Kollegen auf dem Rasen des Gelsenkirchener Parkstadions nicht. Jedenfalls blieb ihnen das Schlimmste erspart. Bei ihrer Ankunft wurden die Versager nicht am Flughafen in der Hauptstadt Kinshasa empfangen, das war alles. Einige mussten sich später als Hühnerhändler durchschlagen, andere lebten "wie die Landstreicher" - zumindest nach der Erinnerung des damaligen Rechtsverteidigers Ilunga Mwepu von TP Mazembe aus Lubumbashi.
Ein Entwicklungshelfer, der das Kabinett Ugandas über den Rasen jagen dufte

C'est la vie. Und Mobutu? Der hatte vom Treiben auf dem Rasen erst einmal die Nase gestrichen voll und widmete sich dem Boxsport. Kurz nach dem Reinfall der Fußballer lud der größenwahnsinnige Herrscher zum "Rumble in the Jungle" in Kinshasas Stade Tata Raphaél - zu jenem legendären Kampf zwischen George Foreman und Cassius Clay alias . Ali war ein Mann ganz nach Mobutus Geschmack. Vor seinem historischen Sieg, den die Massen mit dem furchteinflößenden Stakkato "Ali bomaye - Ali, töte ihn!" begleiteten, hatte er geprahlt: "Ich habe mit einem Alligator gerungen, mit einem Wal gerauft, dem Blitz Handschellen verpasst und den Donner eingekerkert!"
Seine Exzellenz Al Hadschi General Idi Amin Dada
Das musste Mobutu, dem "machtvollen Krieger, der wegen seiner Ausdauer und seines unbeugsamen Siegeswillens von Eroberung zu Eroberung schreitet" und selten ohne Leopardenfellmütze aus dem Haus ging, gefallen haben. Er war eben aus ähnlichem Tropenholz geschnitzt wie sein ugandischer Amtsbruder, . Der war jahrelang ugandischer Meister aller Klassen im Boxen gewesen und ein guter Freund des deutschen Fußballtrainers Burkhard Pape, der sechs Jahre lang die Kraniche, so der Name der ugandischen Nationalmannschaft, trainierte.
Er werde "nicht eher seine Augen schließen, bis der World Cup hier auf diesem Tische liegt", verkündete die Sportskanone, nebenbei noch passionierter Schwimmer und Rugbyspieler. Zwar gelang das Kunststück mit dem Welttitel natürlich nicht, aber immerhin schafften es die Ugander dreimal zur Teilnahme an der Endrunde des Afrikapokals, und Pape, "der nordische Athlet" aus dem Münsterland, erhielt "stets freien Zugang zum Präsidenten" und durfte zur Freude des Potentaten sogar ungestraft trainingsfaulen Spielern in den Hintern treten.
"Ihr seid elf, die sind elf. Also sucht sich jeder einen Gegenspieler"
"Pape hat den Deutschen mehr an Reputation eingetragen als die ganze übrige deutsche Entwicklungshilfe zusammen", schrieb der damalige Nairobi-Korrespondent des SPIEGEL, Erich Wiedemann, "einmal trieb ihm Big Daddy fast sein gesamtes Kabinett auf den Rasen und befahl ihm, die schwarzen Exzellenzen frischzumachen. Pape ließ sich nicht zweimal bitten. Die Trainingsstunde im Stadion war eine der bittersten im Leben einiger Minister."
Der "Herr über alle Tiere der Erde und Fische des Meeres und Eroberer des britischen Reiches in Afrika" trieb es dann allerdings doch irgendwann zu weit. 1979 verjagte ihn die Armee seines tansanischen Kollegen - ein Jahr nachdem die Kraniche zum ersten und bislang einzigen Mal das Finale des Afrika-Cups erreicht hatten. Ugandas Kicker fielen hernach zurück in die fußballerische Bedeutungslosigkeit, und Idi Amin kroch bei seinen Freunden in Libyen und später Saudi Arabien unter.
Und dann war da noch der dritte in diesem dämonischen Bunde, Jean-Bédel Bokassa, Kaiser und Kannibale aus der Zentralafrikanischen Republik. Er ließ sich auf einem Adlerthron krönen wie weiland Napoleon, er ließ seine Feinde aus offenen Flugzeugen werfen, er soll Kinder verspeist haben, und er glaubte, auch die Gesetze des Fußballspiels begriffen zu haben. Kurz vor einer Begegnung mit der Nationalmannschaft von Zaïre kam er in die Kabine und verkündete "mit der Überzeugung des Verirrten" (Jorge Valdano): "Ihr seid elf. Die sind elf. Also sucht sich jeder von euch seinen Gegenspieler, und dann los."
Fußball für die kollektive Seele unbezahlbar
"Erfolg im Fußball als Möglichkeit, kollektive Depressionen zu überwinden - das hat es in Deutschland doch auch gegeben", sagt Andreas Mehler, Direktor des Instituts für Afrika-Kunde, das in einem alten Kontorhaus direkt an Hamburgs Binnenalster residiert: "Denken Sie nur an das "Wunder von Bern" und das dadurch gewonnene neue Selbstbewusstsein der Deutschen nach dem verlorenen Krieg. Dass afrikanische Führer den Sport instrumentalisieren, ist an und für sich also nichts Besonderes. In Afrika kommt aber dazu, dass es neben dem Fußball kaum andere 'Exportartikel' gibt, auf die man stolz sein kann. Dadurch wird diese Sportart so wichtig. Volkswirtschaftlich mag der Fußballglanz also wenig Bedeutung für diese Länder haben, für die kollektive Seele ist er unbezahlbar."
Nigerias ehemaliger Militärdiktator habe auf diese Weise versucht, sein durch Folterungen und willkürliche Morde ramponiertes Image aufzupolieren, aber auch Senegals demokratisch gewählter Präsident Abdoulaye Wade "surfte auf dieser Welle" und nicht zuletzt Kameruns autokratischer Herrscher Paul Biya, der 1990 gegen den Willen des russischen Kamerun-Trainers Walerij Nepomniatschi den 38-jährigen Fußballrentner Roger Milla in die Nationalmannschaft beorderte und den Torwart Antoine Bell aus dem Kader und mit diesen beiden Entscheidungen einen Skandal provozierte. Im Nachhinein entpuppte sich die Einmischung des Laien dann doch als weise Entscheidung. Milla schoss vier Tore, und Kameruns Equipe verzauberte die Fußball- und Reporterwelt.
"Lauft, meine kleinen schwarzen Freunde, lauft!", schrie Marcel Reif in sein Mikro - und half ihrem Herrscher Paul Biya damit durch die schwerste innenpolitische Krise seiner bisherigen, damals achtjährigen, Amtszeit als Präsident. Im Jahre 2009 war Biya immer noch Kameruns Staatschef und mit Robert Mugabe (Simbabwe) einer der dienstältesten des Kontinents.