Fußball in Israel Eine Frage des Glaubens
Niko Kovac hat in seinen 42 Länderspielen für Kroatien schon viel erlebt und vor der Partie in Jerusalem hatte er mit vielem gerechnet. Aber was dann geschah, wird er wohl noch in 50 Jahren seinen Enkeln erzählen: Wie immer lief er aufs Feld, wie immer reihte er sich am Mittelkreis auf und wartete auf die Nationalhymnen. Die 22 Spieler warteten, die Unparteiischen warteten. Nach einer Weile blickten sie einander ratlos an. Die 5000 Zuschauer warteten, die Kameramänner warteten. Doch die Lautsprecher blieben stumm. Keine Hymnen, keine Durchsage. Die unendlichen Sekunden der Lähmung und der Stille beendete der beherzte Schiedsrichter. Er bat die Kapitäne zur Platzwahl und pfiff das Spiel kurzerhand ohne Nationalhymnen an. An diesem 9. Februar 2005 wurde also erstmals seit geschätzten 100 Jahren ein offizielles Länderspiel auf dem Fifa-Planeten ausgetragen, ohne vorher dem Liedgut der beteiligten Nationen gelauscht zu haben.
Schuld war die veraltete Lautsprecher-Anlage des Jerusalemer Teddy-Stadions, die CD war zwar da, aber nicht kompatibel. In der Halbzeitpause wurden die Hymnen doch noch abgespielt - auf einem Autoradio, das notdürftig an die Lautsprecher-Anlage angeschlossen worden war. Die Spieler bereiteten sich gerade auf die zweite Hälfte vor und waren über das gesamte Spielfeld verstreut, als plötzlich die Musik einsetzte. Und weil das noch nicht peinlich genug für die Gastgeber war, prangte auf den Eintrittskarten für VIPs und Journalisten ein fetter Druckfehler: "Isreal" statt "Israel".
Der größte Grund zur Scham war freilich das Verhalten zahlreicher israelischer Zuschauer, die ihren eigenen Nationalspieler Abas Suan von dessen erstem bis zum letzten Ballkontakt ausbuhten und mit Affengeräuschen verhöhnten. Einziger Grund der üblen Gesänge von den Rängen: Suans Eltern sind (eingebürgerte) Palästinenser.
All diese Vorkommnisse in der Hauptstadt vor den Augen der Weltöffentlichkeit bezeichnete selbst die rechtskonservative Tageszeitung "Jerusalem Post" als "eine kapitale Schande". Itche Menahem, der Präsident der Israel Football Association (Ifa), entschuldigte sich sogleich beim kroatischen Botschafter und kritisierte das "hässliche" Verhalten der Affen auf der Tribüne: "So etwas darf nicht passieren."
Einen kleinen Trost für die wahren Fußballfans Israels gab es: Das Spiel gegen den EM-Teilnehmer endete mit einem 3:3-Unentschieden. Während im Stadion Tohuwabohu herrschte, bewiesen die Spieler auf dem Feld wieder einmal, dass sie den Anschluss an die Top-Nationen gefunden haben. Schon im September hatten sie im WM-Qualifikationsspiel in Frankreich mit einem 0:0 überrascht. Nach sechs von zehn Spielen in der Qualifikationsgruppe 4 ist Israel ungeschlagen und führt die Tabelle gemeinsam mit der Equipe Tricolore an.
Ein verheißungsvoller Start, der zwischen Mittelmeer und Jordan einmal mehr den Traum von der Rückkehr auf die Bühne des Weltfußballs nährte. Der letzte Auftritt bei einer Weltmeisterschafts-Endrunde ist 35 Jahre her. 1970 schafften die Israelis den Sprung nach Mexiko. Die meisten Spieler waren älter als ihre Nation, die erst 22 Jahre zuvor gegründet worden war. Sie fuhren als Hoffnungsträger, und obwohl sie kein Spiel gewannen, wurden sie bei ihrer Rückkehr wie Helden empfangen. Was in Deutschland "Das Wunder von Bern" ist, ist für Israel "Das Tor von Toluca". Im "Estadio Luis Dosal" trafen die Israelis am 7. Juni 1970 auf Schweden. In der 57. Minute donnerte Teamkapitän Mordechai Spiegler den Ball mit dem linken Fuß unhaltbar in die linke, obere Ecke. 1:1 - der erste und bis heute einzige israelische WM-Treffer.
"Es waren 25 Meter, ein starker Rückenwind und das Tor muss in Richtung Jerusalem gestanden haben", erinnert sich Spiegler an seinen Schuss, der ihn in Israel unsterblich machte. Noch heute wird "Mottale", wie er genannt wird, auf der Straße erkannt - auch von jungen Männern, die 1970 noch gar nicht auf der Welt waren. Spiegler gelang mit seinem Team in Toluca noch ein 0:0 gegen den späteren Finalisten Italien, doch aufgrund einer 0:2-Niederlage gegen Uruguay landeten sie trotzdem auf dem letzten Platz ihrer Vorrundengruppe. Dennoch wurde das Nationalteam nach der Landung auf dem Flughafen von Tausenden euphorisch begrüßt - was seitdem nie mehr vorgekommen ist.
In den 35 Jahren seit Toluca sind der sogenannten Nivchéret (hebräisch für Auswahl) schon etliche respektable Ergebnisse gelungen. Des Öfteren waren sie nahe dran, sich für ein internationales Großereignis zu qualifizieren. Bei allem spielerischen Talent fehlte letztlich stets die nötige Konstanz. Kein Wunder in einem Land, in dem der Ausnahmezustand die Regel ist: Der Nahost-Konflikt ist omnipräsent. Als die Intifada Selbstmordattentäter in die Großstädte spülte, verhängte die Uefa aus Sicherheitsgründen ein Verbot internationaler Begegnungen. Von 2001 bis 2004 war die Nivchéret das einzige Nationalteam ohne Heimspiele. Alle Qualifikations-Matches mussten in Zypern, Italien oder Rumänien ausgetragen werden.
Seit Sommer vergangenen Jahres darf im Heiligen Land wieder gekickt werden - doch richtig sicher können sich Akteure und Trainer nicht fühlen. Was weniger an palästinensischen Terroristen liegt, als an israelischen Hooligans. Es begann mit der Aktion gegen einen U21-Nationalspieler. Die Nachwuchs-Auswahl trainierte gerade auf einem Nebenplatz des Nationalstadions in Ramat Gan, als plötzlich eine schreiende Horde Männer aufs Feld rannte. Sie schnappten sich Shlomi Arbeitman von Beitar Jerusalem und trugen ihn von dannen. Nach 200 Metern ließen sie den verängstigten Fußballer wieder zu Boden.
Mit dem Mini-Kidnapping wollten die Anhänger des Erstligisten Beitar Jerusalem gegen Arbeitmans geplanten Wechsel von Jerusalem nach Petach Tikva protestieren. Diese Episode endete noch glimpflich - im Gegensatz zu den nächsten Übergriffen der gefürchteten Beitar-Hools. Im Oktober zwangen sie den Mannschaftsbus von Beitar auf der Autobahn zum Anhalten und bewarfen ihn mit Steinen. Die vermeintlichen "Fans" rechtfertigten ihre Attacke mit dem schlechten Saisonstart und der unmittelbar zuvor erlittenen 1:3-Niederlage in Haifa. "Es war alles geplant, wie eine Militäraktion", zitierte die "Jerusalem Post" einen Augenzeugen.
Vier Wochen später schlug ein Beitar-"Fan" den Kapitän von Maccabi Haifa, Arik Benado, ins Gesicht. "Er hätte auch ein Messer haben können", sagte Benado später und forderte die Behörden auf, das Problem der eskalierenden Gewalt zu lösen. Die Polizei von Jerusalem bildete eine "Task Force", die Kultusministerin Limor Livnat forderte, den Liga-Betrieb einzustellen, "bevor noch mehr passiert". Natürlich wurde weitergespielt - und weiter gewütet. Erst im Februar beschädigten Fanatiker aus Haifa das Auto ihres Trainers Nir Levin. Auch ihren Bestechungsskandal hatten die Israelis. Drei Schiedsrichter nahmen Geld an, um Spiele der ersten zwei Ligen zu manipulieren. Zwei der schwarzen Männer wurden zu sechsmonatigen Bewährungsstrafen verurteilt. Der Hauptverdächtige, Yariv Maatuk, kam mit einer Geldstrafe in Höhe von 20.000 Schekel (umgerechnet 3640 Euro) und einer einjährigen Bewährungsstrafe davon, weil er als Kronzeuge mit den Ermittlungsbehörden zusammengearbeitet hatte.
Furore wegen einer ganz anderen Kooperation machte Ariel Scheiman, der Präsident des Erstligisten Maccabi Herzliya. Als er im Transferpoker um Stürmer Lior Assoulin keinen Ausweg mehr wusste, konsultierte er den Rabbiner Shlomo Ifergan, genannt "Röntgen-Rabbi". Der Geistliche, der vom Fußball so viel Ahnung hat wie Mario Basler von der Kabbalah, ließ sich alle Details erklären und sprach schließlich: "Assoulin muss für Maccabi Tel Aviv spielen." So kam es dann auch. Der Spieler war mit dem Wechsel übrigens einverstanden. Er sagte: "Es ist alles eine Frage des Glaubens."