Fußball-Presseschau "Nur Bahnchef Mehdorn fehlte Bayer"
Der Uefa-Cup ist "sportlich wie wirtschaftlich der kleine, oft gar bemitleidete Bruder der Champions League", vergleicht die "Neue Züricher Zeitung" (NZZ) die unterschiedlichen Bedeutungen der beiden europäischen Vereinswettbewerbe. Eine breite internationale Resonanz erfährt daher nur das Finale, das an diesem Mittwoch FC Porto und Celtic Glasgow bestritten, "zwei Vereine des europäischen Mittelstandes". In Sevilla siegte der portugiesische Meister 3:2 und "trat verdientermassen als Mannschaft mit der ungleich kultivierteren Spielweise hervor" (NZZ). Berichtenswert halten alle Kommentatoren zudem die friedliche "Invasion" der Schotten, die aus allen Erdteilen angereist ihr Team unterstützten. Was man über die Iren sagt, trifft auch auf sie zu. Fänden Fußballspiele auf dem Mond statt, mit Briten ist zu rechnen.
Dem traditionsreichen Wettbewerb kam in den letzten Jahren eine Sprungbrettfunktion zu. Nicht zuletzt Borussia Dortmund (Finalist 1993) und Bayern München (Sieger 1996) nutzten die dort gesammelten Erfahrungen für spätere Erfolge in der Champions League (1997 und 2001). Auch den beiden diesjährigen Finalisten sagt man Ambitionen nach. Insbesondere die Namen der beiden Trainer wird man sich merken müssen. Sieger José Mourinho gewann in seiner ersten Saison als Cheftrainer bereits seinen zweiten Titel (ein dritter soll im nationalen Pokalfinale noch folgen) und freut sich auf höhere Aufgaben. Der Ire O'Neill wird als Nachfolger von Alex Ferguson bei Manchester United gehandelt.
Außerdem: das "fränkisch-rheinländische Austauschprogramm", wie es die "Financial Times Deutschland" (FTD) nennt, beschäftigt Beteiligte und Beobachter, denn einer insgesamt langweiligen Bundesligasaison steht am Wochenende ein delikater Abschluss bevor: Klaus Augenthaler trifft mit seinem neuen Team Bayer auf seinen Ex-Club Nürnberg, der offenbar seine guten Beziehungen zu Leverkusen nicht aufs Spiel setzen möchte.
Irisch-katholisch motivierte Prozession in der Backofenhitze Andalusiens
Felix Reidhaar (NZZ) ließ sich von der Atmosphäre des Finales anstecken. "Voraus ging ein Happening, wie es selbst abgebrühte Habitués an fussballerischen Höhepunkten kaum je erlebt haben. Wer bisher von der fussballverrückten Anhängerschaft aus Glasgow im Allgemeinen und vom Celtic FC im Speziellen nur vom Hörensagen wusste, konnte sich in Sevilla bildhaft davon vergewissern. Zwischen 50.000 und 80.000 Fans, rund 30.000 davon mit Eintrittskarten, waren gemäss Schätzungen in der Stadt eingefallen und hatten Strassen und Plätze in uniformem grün-weissem Tuch in Beschlag genommen. Aus Schottland waren sie mehrheitlich angereist, aber u. a. auch aus New York, Phoenix, San Antonio und Toronto, und selbst in Johannesburg oder Sydney wohnhafte Supporter hatten es sich nicht nehmen lassen, sich nach aufwendigem Deplacement dieser irisch-katholisch motivierten Prozession in der Backofenhitze Andalusiens anzuschliessen (...) Das Team des Celtic Football Club konnte dieser vorbehaltlosen Unterstützung mindestens 45 Minuten lang und insgesamt spielerisch nicht ganz Rechnung tragen. Mit seinem rustikalen Stil blieb das internationale Spieler-Gemisch unter dem Niveau der mustergültigen Anhänger - was diesen völlig gleichgültig blieb. Briten haben, wie man weiss, ziemlich andere Vorstellungen von den Ingredienzen dieses Spiels: Kampf & Kraft stimmen die Fans glücklich in Schlachtgesänge ein, Corners wie Einwürfe werden fast so frenetisch applaudiert wie Erfolge. Deshalb lebte der Uefa-Cup-Final von Sevilla über weite Strecken von der Ambiance, von der Emotionalität und vom sagenhaften Lärm, mit dem die grün-weisse Kulisse die blau-weissen Portistas in der Ostkurve buchstäblich zudeckte."
Ronald Reng skizziert in der "Berliner Zeitung" die bemerkenswerte Laufbahn des Trainers der Portugiesen. "Mit 40 fängt er gerade an als Trainer. Auf die ungewöhnlichste Karriere unter den Spitzentrainern darf er allerdings schon jetzt verweisen. José Mourinho war nie Profi, er ließ das Fußballspielen Anfang 20, wurde Lehrer und trainierte in Setúbal ein Jugendteam. Dann bekam er über ein paar Bekannte und Zufälle Anfang der Neunziger einen Job bei Sporting Lissabon: als Übersetzer für den englischen Trainer Bobby Robson. Robson wechselte die Clubs, von Lissabon zum FC Porto zum FC Barcelona; seinen Übersetzer nahm er immer mit. Irgendwann "begann er dann ein bisschen im Training zu helfen, er machte sich Notizen, er lernte schnell", erinnert sich Robson, "acht Jahre als Übersetzer, und zwei Jahre später ist er als Trainer Meister in Portugal und im Uefa-Cup-Finale - mir wird schwindlig." Drei Monate als Aushilfstrainer bei Benfica Lissabon, eine Saison beim mittelmäßigen Erstligisten Union Leiria reichten, um sich für den Posten in Porto zu empfehlen - dort krempelte Mourinho in 17 Monaten ein dahin dümpelndes Team radikal um. Er schaffte die Quadratur des Kreises, nach der Trainer streben: System und Ordnung im Team zu etablieren, ohne den Individualismus der Spieler, ihre Intuition, zu ersticken. Deco etwa war, bevor Mourinho kam, ein passabler Mittelfeldspieler. Nun ist er einer der kreativsten in Europa."
Daniel Theweleit zieht in der "Frankfurter Rundschau" ein ernüchterndes Saisonfazit. "Noch vor einem Jahr beglückte Bayer Leverkusen Europa mit wunderbarem Offensivfußball. "Ich habe halt eine eigene Philosophie. Ich liebe den technisch schönen Ansatz, das Kurzpassspiel, das begeistert", erklärte Klaus Toppmöller sein Konzept, mit dem die Mannschaft die Herzen verzauberte. Er beharrte auf diesem Konzept, bis er deshalb entlassen wurde. Inzwischen erfreuen sich zwar immer noch Menschen - nämlich jene mit einem Faible für die Lust am Niedergang - an Bayer Leverkusen, aber in Wahrheit ist der Zerfall des toppmöllerschen Konzeptes, der Umschwung auf einen Fußball der Prägung Thomas Hörster (dennoch entlassen zwar), eine Tragödie. Geholfen hat dieser fußballerische Paradigmenwechsel kaum, aber er steht beispielhaft für eine Tendenz, die die am kommenden Wochenende endende Fußballsaison kennzeichnet (...) Es kann Zufall sein, aber auffällig ist die Parallele des Erscheinungsbildes der Fußballsaison zur allgemeinen Befindlichkeit schon: Bloß nichts verlieren, die Bereitschaft zu Solidarität und Risiko tendiert gegen Null, die Schwelle zur Resignation ist niedrig, und überall steht Besitzstandswahrung im Mittelpunkt. Die Angst vor dem Verlust treibt die Leute in die Defensive, und der messbare Erfolg tritt noch stärker in den Vordergrund. So lässt sich die Stimmung im Land beschreiben, und mit dieser Einstellung liefen am Wochenende meist auch die Bundesligaspieler auf den Platz. Das Resultat: Fußballerische Tristesse."
Der zahlende Kunde ist König
Dahingegen staunt Gerd Schneider in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (FAZ) über den Zuschauerzuspruch in deutschen Stadien. "Die Serie verbreitete, mal abgesehen vom Fall Bayer Leverkusens, sportlich nicht viel Aufregung und Spektakel. Da wirkt es paradox, daß die höchste Klasse ausgerechnet in dieser Saison bei der Kundschaft so gut ankam wie noch nie. Erstmals in ihrer vierzigjährigen Geschichte wird die Bundesliga am Wochenende bei den Zuschauerzahlen die Zehnmillionengrenze überschreiten. Dabei ist der Bundesliga-Boom nur die auffälligste Erscheinung einer Entwicklung, die sich auch in anderen Sportarten beobachten läßt: Es geht eben doch nichts über das sinnliche Erleben. Die Zeiten, in denen sich das öffentliche Interesse bei Sportveranstaltungen allein an den Einschaltquoten der Fernsehsender ablesen ließ, scheinen vorerst jedenfalls vorbei zu sein (...) Die Botschaft, die hinter dem Zuschauerboom zum Vorschein kommt, ist deutlich: Der zahlende Kunde ist eben doch der König. Womöglich wird sich auch die Wirtschaft bald neu orientieren. Denn im Spiel um Werbekraft und Einschaltquoten darf sich der Zuschauer in diesem sportlichen Frühjahr als Sieger fühlen. Und das Fernsehen ist der große Verlierer."
Peter Penders (FAZ) kommentiert die Gerüchte um eine Absprache zwischen den Kontrahenten Nürnberg und Leverkusen. "Letzte Spieltage haben es immer in sich, wenn es für die einen um alles, für andere wie Nürnberg (und auch Hannover, das in Bielefeld spielt) um nichts mehr geht. Die pikante Note liegt auch nicht darin, daß Leverkusen ausgerechnet den Nürnberger Mittelfeldspieler Jarolim umwirbt. Solche Situationen hat es schon immer gegeben. Daß aber der gerade in Nürnberg erst entlassene Klaus Augenthaler nun mit der Freigabe des "Clubs" als flugs in Leverkusen angeheuerter Trainer versuchen muß, das Schlimmste für Bayer noch zu verhindern, gibt der Partie einen schwer bekömmlichen Beigeschmack. So dürfen Spieler zwar nur in zwei Transferperioden den Verein wechseln, um zumindest eine gewisse Chancengleichheit zu wahren, bei den Trainern hingegen enthalten die Statuten keinerlei Beschränkungen. In der freien Wirtschaft würde es große Verwunderung auslösen, wenn ein hochbezahlter leitender Angestellter heute hier und morgen bei einem direkten Konkurrenten arbeitete. Mehr Insiderwissen als Augenthaler kann kein Trainer über Nürnberg haben - die Frage bleibt, ob dieser Vorteil schwerer wiegt als mögliche Ressentiments gegen einen Trainer, den viele Nürnberger Profis nicht mehr haben wollten."
Bernd Müllender (FTD) resümiert die Leverkusener Saison. "Gefehlt hat nur, dass der Klub den Bahnemann Hartmut Mehdorn als Schrankenwärter vor dem Abstellgleis Zweite Liga verpflichtet hätte oder gleich Mohammed Said el Sahhaf als Kommunikationsdirektor. Die untergetauchte Stimme Saddams ("Es gibt keine Amerikaner in Bagdad") hätte den Bayer-Kreuzzug ins Unglück zum Guten gedreht: "Glaubt mir, es gibt gar keine Absteiger. Ich habe Erfahrung in Untergängen, die keine sind. Tabellen sind Teufelswerk der Ungläubigen. Wir werden noch alle Gegner vernichten und Vizemeister. Insh' allah.""