Fußball-Transferrecht Bundesliga entsetzt über Webster-Urteil

Alle Macht dem Profi: Die Entscheidung des Obersten Sportgerichtshofs, Spielerwechsel ins Ausland zu erleichtern, sorgt im deutschen Fußball für Aufregung. Die Deutsche Fußball-Liga will sich quer stellen. Auch die Vereine kündigen Widerstand an.

Er hat das Gebäude des europäischen Sports, das auf festem Fundament zu ruhen schien, mit großem Knall in die Luft gejagt. Mit diesen Worten wurde der belgische Fußballer Jean-Marc Bosman Ende der neunziger Jahre beschrieben. Gut zwölf Jahre später portraitieren sie einen weiteren Sprengmeister: Andy Webster. Der schottische Fußballer sorgt wie sein Vorgänger, der erfolgreich gegen Ablösesummen nach Vertragsende vor Gericht zog, mit einem Justiz-Dribbling für Aufregung bei Verbänden und Vereinen.

Die Deutsche Fußball-Liga (DFL) ist entsetzt und hat "große Sorge", der Weltverband Fifa befürchtet "verheerende Folgen für den Fußball". Dietmar Beiersdorfer, Sportlicher Leiter des Hamburger SV, vergleicht im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE: "Wenn das Bosman-Urteil ein Erdrutsch war, dann ist dieser Fall zumindest ein riesiger Einschnitt." Auslöser dieses Einschnitts ist der Wechsel des schottische Profis Webster, der sich 2006 ohne Einverständnis seines Heimatvereins Heart of Midlothian dem Premier-League-Club Wigan Athletic anschloss.

Der oberste Sportgerichtshof Cas erklärte den Wechsel Websters gestern trotz eines noch bestehenden Vertrages für rechtmäßig. Als Grundlage für diesen Entscheid zog das Gericht Artikel 17. Abs. 1 des Reglements des Weltverbandes Fifa heran, wonach Profis nach Ablauf einer Schutzzeit von maximal drei Jahren ihren Verein ins Ausland verlassen können - Aktive über 28 bereits nach zwei.

Eine gute Nachricht für Profis mit Fernweh, für Vereine und Verbände eine Katastrophe: "Wir dürfen nicht zulassen, dass künftig Arbeitsverträge einseitig und ohne triftigen Grund aufgelöst werden dürfen", sagte DFL-Geschäftsführer Holger Hieronymus heute. "Die Entscheidung ist mit den Grundsätzen des deutschen Arbeitsrechts nicht vereinbar." Der Liga-Verband wird nicht so schnell klein beigeben: "Solange es keine arbeitsrechtliche Klärung gibt, wird die DFL keine internationale Freigabe erteilen."

Die DFL prüft nun die Konsequenzen. Doch auch wenn Hieronymus verspricht, alles daran zu setzen, damit Verträge auch weiterhin erfüllt werden, und Beiersdorfer ankündigt, dass es in jedem Fall Widerstand gebe, steht das Transfersystem im Profifußball dennoch vor einer grundlegenden Änderung. So grundlegend, dass Reaktionen der Vereine am Tag darauf lange auf sich warten ließen. Zu beschäftigt waren die Verantwortlichen damit, sich erst einmal selbst zu orientieren und Standpunkte aus den neuen Bedingungen herauszuarbeiten. Lediglich Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge meldete sich bereits am Vormittag zu Wort: "Ich bedauere dieses Urteil sehr, weil damit wieder einmal die Position und die Planungssicherheit der Clubs geschwächt werden", lautete sein knappes Fazit.

Der Ärger Rummenigges ist nachvollziehbar: Bayern-Stürmer Luca Toni wäre beispielsweise nach der kommenden Saison für zwei Jahresgehälter zu ersteigern. Der geschätzte Marktwert des Italieners liegt bei knapp 30 Millionen Euro, nur ein Drittel würde jedoch bei einem Wechsel ins Ausland auf dem Bayern-Konto landen.

Auch der Meister ist entrüstet: Horst Heldt, Manager des VfB Stuttgart, sprach den Richtern in Lausanne jegliche Praxisnähe ab: "Das haben Leute entschieden, die in der Praxis keine Ahnung haben. Die großen Vereine werden die kleinen Clubs noch mehr schlucken", so Heldt, der sich im Interview mit SPIEGEL ONLINE im vergangenen Jahr noch gelassener gezeigt hatte.

Für die Vereine wird es nun, zwölf Jahre nach dem Bosman-Urteil, noch schwieriger, Leistungsträger lange zu binden. Bei Verträgen mit einer Laufzeit von mehr als drei Jahren kann keine Transfersumme mehr ausgehandelt werden. HSV-Profi Rafael van der Vaart, dessen Marktwert auf über 20 Millionen Euro geschätzt wird, könnte die Hamburger somit im Sommer für nicht einmal ein Fünftel dieses Betrages verlassen. Sein Vertrag läuft noch bis 2010, zwei Millionen Euro verdient der Niederländer im Jahr: macht vier Millionen Euro Ablöse.

Umso wichtiger wird das Gehalt der Spieler. Zum einen bindet ein hohes Salär den Profi an seinen Verein, zum anderen könnte es in Zukunft die Höhe der Ablösesumme bestimmen. Auch Beiersdorfer glaubt, dass in Zukunft "die Gehälter steigen und die Ablösesummen sinken" werden. Gleichzeitig werde der Geldfluss zu den Spielerberatern tendenziell steigen.

Das sieht auch die Fifa so. Die Spielervermittler seien neben den Profis in jedem Fall die einzigen Gewinner dieses Urteils, da sie nun "ihre Klienten, wie im Fall von Webster, gewinnbringend neuen Clubs anbieten können", so der Weltverband. Christian Rapp, Spielervermittler der Agentur Rogon, sieht die Thematik gelassener. "Von heute auf morgen wird sich nichts ändern", sagte Rapp SPIEGEL ONLINE. Natürlich werde nun alles komplizierter, da der Sachverhalt mehrere Rechtsbereiche, vom EU- über nationales Recht, betreffe, "der Spieler hat Vertrag oder hat nicht Vertrag - das ist nun nicht mehr so eindeutig". Dennoch sei das Urteil auch für die Vereine ja nicht nur schlecht: "Jeder Club ist doch zur Hälfte der Zeit auch Einkäufer." In diesem Zusammenhang komme ihnen das Urteil doch entgegen.

Für Kläger Webster, den ersten Nutznießer und Auslöser der Aufregung in deutschen Fußball-Büros, hat sich der Wechsel in die Premier League vor knapp zwei Jahren indes nicht gelohnt. Nach vier Einsätzen, von denen nur einer 90 Minuten dauerte, verließ Webster Wigan Athletic nach einem halben Jahr wieder. Er ging zu den Glasgow Rangers - ablösefrei.

mit Material von dpa und sid

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