
Die Fifa und die Russlandfrage Moralisch gescheitert


In aller Freundschaft: Fifa-Präsident Gianni Infantino und Wladimir Putin während der WM 2018 in Russland
Foto:MLADEN ANTONOV/ AFP
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Was die Fifa unter scharfen Sanktionen versteht, hat sie am Sonntagabend aller Welt deutlich gemacht: Russland dürfe nicht mehr als Russland antreten, sondern unter dem Kürzel RFU, hieß es in einer Erklärung. Wobei RFU auch als Abkürzung für diese Entscheidung des Fußball-Weltverbandes stehen kann: Rückgratlos, Feige, Unentschlossen.
Keine Hymne, keine Flagge, ein anderer Name – also genau die Maßnahmen, die das IOC schon bei Olympischen Spielen gegen das russische Team erhoben hat. Das war schon windelweich, zahnlos und lächerlich, aber in jenem Fall ging es »nur« um Doping, jetzt geht es um einen Krieg.
Mit einem Tag Verspätung hat sich der Fußball-Weltverband besonnen: Er schließt Russland nun doch wegen der Invasion in die Ukraine von seinen Wettbewerben aus - ebenso wie die Uefa. Es kann keinen Zweifel daran geben, dass dies die richtige Entscheidung ist. Aber sie kommt viel zu spät. Der öffentliche Druck war dermaßen groß geworden, dass man jetzt nicht mehr anders konnte. Selbst das IOC war schon vorausgegangen – und das heißt wirklich etwas.
Die Fifa, als einer der zwei wichtigsten Sportverbände der Welt, hätte als eine Anführerin vorweggehen müssen. Stattdessen haben dies kleinere Nationalverbände wie Polen und Schweden und wie zuletzt so oft die Athletinnen und Athleten selbst in die Hand genommen.
Erst unter diesem Druck hat die Fifa eingelenkt. Sie wird sich jetzt dafür feiern. Aber eigentlich ist es ein Armutszeugnis.
In Zeiten einer Krise, die wohl die Weltordnung verändern wird, hätte die Fifa die Chancen gehabt, endlich mal etwas richtigzumachen. Aber die windelweichen Sanktionen vom Sonntag und das verspätete Einlenken am Montag haben gezeigt, dass man das von ihr nicht mehr erwarten sollte.
Die Entscheidung, Russland zunächst mit Samthandschuhen anzufassen, hatte der Ratsausschuss der Fifa getroffen. Das sind sieben Personen mit dem Präsidenten Gianni Infantino an der Spitze, Uefa-Boss Aleksander Čeferin und die Vorsitzenden der übrigen fünf Kontinentalverbände. Das sind die mächtigsten Fußball-Funktionäre der Welt.
Lächelnd, umarmend, scherzend
Infantino und Čeferin haben die klebrige Nähe Russlands in der Vergangenheit gesucht, jetzt kamen sie von ihr augenscheinlich nicht mehr so leicht los. Es gibt unzählige Bilder, die den Fifa-Boss in inniger Nähe mit Wladimir Putin zeigen, lächelnd, umarmend, scherzend. Antichambrierend mit dem Diktator, in aller Freundschaft. Dass der Schweizer Träger des russischen Freundschaftsordens ist, ist da nur angemessen. Verliehen 2019 von Wladimir Putin.
Die Hymnen, die Infantino während des Confed-Cups 2017 und der WM 2018 auf die russischen Ausrichter angestimmt hat, sind jedem noch im Ohr, der vor Ort war. Wie er neben dem damals schon hochumstrittenen Sportminister Witali Mutko vor der Presse saß und Russland gegen alle Vorwürfe verteidigte, als ginge es um sein eigenes Seelenheil.
»Das große Lächeln ist das wahre Gesicht Russlands«, hatte Infantino damals gesagt und gejubelt: »Wenn so ein problematisches Turnier aussieht, dann will ich viele problematische Turniere haben.« All das wird nicht vergessen werden.
Nähe zu Regimen
Und Čeferin ist auch deswegen 2016 Uefa-Boss geworden, weil Russland seine Kandidatur unterstützt hat. Čeferin sei »jung und energisch«, lobte Mutko den Bewerber damals. Auch dass Russland sich vom Gegenkandidaten, dem Niederländer Michael van Praag, abgewendet hat, machte Čeferin den Weg auf Europas Fußballthron frei.
Das sind die Verhältnisse in einer Fußballwelt, die zuletzt oft, zu oft die Nähe zu Regimen gesucht hat.
Der Ruf der Fifa ist seit vielen Jahren ruiniert, aber der Weltverband findet immer wieder eine Gelegenheit, ihn nachhaltig zu bestätigen. Die Gier der Funktionäre, die Obsession, aus diesem Fußball immer noch mehr Geld herauszupressen, haben Staaten wie Russland und Katar genutzt. Und damit haben Putin und Co. ihren Einfluss immer weiter ausgebaut, mit allen Abhängigkeiten, die damit zusammenhängen.
Sie zu kappen, war für die Fifa ein schmerzhafter Akt. Man kann nur hoffen, dass es ihr richtig wehtut.