
Taktik bei der WM Eine Szene verrät den Grund für das England-Aus

Tackles, Fehlpässe und Ballsicherungen von Wilshere: Klicken Sie auf die Lupe
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Tackles, Fehlpässe und Ballsicherungen von Lampard: Klicken Sie auf die Lupe
Foto: OptaEigentlich war es ein Spiel mit geringer Aussagekraft. Beim Duell zwischen Costa Rica und England war die eine Mannschaft bereits für das Achtelfinale qualifiziert, die andere war schon raus. Aufschlussreich war das 0:0 trotzdem, zeigte es doch, woran das Spiel der Engländer krankt. Die Analyse eines einzelnen Spielzuges aus der 21. Minute veranschaulicht das.
Costa Rica baut auf, Óscar Duarte hat den Ball, sucht nach Anspielstationen. Um ihn herum findet sich in einem Umkreis von etwa 13 Metern kein Gegenspieler. Englands einziger Stürmer, Daniel Sturridge, verharrt im Abseits, den Blick auf den Boden gerichtet. Er war kurz zuvor in die Spitze gesprintet, der erhoffte Pass kam nicht an. 15 Sekunden ist das her, zurück in die Ordnung schafft es Sturridge nicht.
Bei der WM gibt es kaum ein Team, das darauf verzichtet, alle Feldspieler in die Defensive einzubeziehen. Das heißt nicht, dass Stürmer stets in der eigenen Hälfte aushelfen müssen, wie es Costa Ricas Joel Campbell immer wieder tut. Das Separieren der gegnerischen Innenverteidiger, das Lenken des Spielaufbaus auf eine gewünschte Seite oder das Rückwärtspressen gelten aber als Standard - nicht nur bei der WM, sondern im Profifußball an sich. Ein Mangel der Engländer, ja. Aber nicht der entscheidende. Der sollte folgen.
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Foto: OptaDuarte spielt zu Yeltsin Tejeda. Englands Jack Wilshere steht kaum drei Meter links von Tejeda. Er könnte den Costa Ricaner attackieren, würde damit aber die eigene Verteidigungszone entblößen. Wild rudert Wilshere mit den Armen, es ist eine Geste der Aufforderung, der auch Verzweiflung innewohnt. Sie gilt Ross Barkley; sie fleht: Greif an! Barkley, 20, weicht erst zurück, geht dann plötzlich auf Tejeda zu, er wirkt nicht entschlossen. Sein Tackling geht ins Leere. Frank Lampard, Barkleys Absicherung, versucht gar nicht erst anzugreifen, sondern rennt zurück in Richtung Abwehr. Die jungen Spieler um ihn herum tun es ihm gleich.
Der Vorwurf, Englands Fußball habe bei der Entwicklung des Pressing den Anschluss verloren, ist nicht neu. Die Auftritte bei der WM haben ihn nicht entkräften können. Dabei geht es nicht darum, so hoch zu pressen wie es etwa die Chilenen lieben. Viele Mannschaften erwarten ihre Gegner auf Höhe der Mittellinie oder dahinter; die Angriffshöhe ist eine Frage des Stils. Hauptsache ist: Es gibt einen Plan, wie dem Gegner aktiv der Ball entrissen werden soll, und er bezieht möglichst alle Spieler ein.
So hätte Barkley nicht zurückweichen, sondern Tejeda mit Tempo anlaufen können. Barkley hätte so die Chance erhöht, dass die Folge-Aktion seines Gegenspielers an Präzision verliert. Idealerweise wären seine Mitspieler in Richtung der Anspielstationen Tejedas gestürmt. Passt das Timing untereinander, ist die Wahrscheinlichkeit eines Ballgewinns hoch. Sollte das Pressing umspielt werden, könnten die absichernden Kollegen den Angriff verzögern, und für Barkley und Co. ergäbe sich die Möglichkeit, rechtzeitig zurückzuweichen.
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Foto: OptaTejeda spielt den Ball nach links in die englische Hälfte zu Júnior Díaz. Der Mainzer wird nicht attackiert, drei Engländer weichen vor ihm zurück. Zehn Meter vor dem Strafraum stellen sie ihn, bleiben aber passiv. Díaz flankt; Gary Cahill, einer von sechs Engländer am Strafraum, köpft den Ball weg.
Die Defensivstrategie der Engländer besteht vor allem darin, Gegentore zu vermeiden. Mit Erfolg: Die Strafraumverteidigung funktioniert, Costa Rica bleibt viel harmloser als in den Spielen gegen Uruguay und Italien. Was fehlt, ist ein koordinierter Mechanismus, um sich den Ball zu schnappen. Etwa durch Gegenpressing. Oder mittels Pressingfallen, also dem gezielten Freilassen von bestimmten Spielern oder Feldbereichen, um diese plötzlich kollektiv anzugreifen. Falls die Mannschaft von Trainer Roy Hodgson solche Strategien einstudiert haben sollte, verbirgt sie es gut.
Der von Cahill geklärte Ball fliegt dorthin zurück, von wo er gekommen war: zur Seitenlinie. James Milner versucht, ihn zu kontrollieren, wird von Díaz jedoch umgehend unter Druck gesetzt. Der Ball springt ins Aus, Einwurf für Costa Rica.
Dadurch, dass passiv geklärt wurde, statt aktiv den Ball zu erobern, verringerte sich die Chance auf einen erfolgreichen schnellen Gegenangriff. Englands Kader ist gespickt mit hervorragenden Umschaltspielern. Gegen Costa Rica spielten Wilshere und Sturridge, auch Danny Welbeck oder Raheem Sterling eignen sich mit ihrer Dynamik und Direktheit für einen Stil, der vielen Gegnern Probleme bereiten kann. Diese Potenziale ließ England ungenutzt. Ankreiden lassen muss sich das vor allem Roy Hodgson.
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Applaus? Gab es für Englands Auftritt bei der WM in Brasilien nicht. Das Team ist schon in der Vorrunde gescheitert. Das liegt auch daran, dass Trainer Roy Hodgson (hier mit Wayne Rooney) keinen Plan für das Abwehrspiel seines Teams hatte.
Stürmer Daniel Sturridge kniet auf dem Rasen. Gegen Costa Rica war zu beobachten, dass sich der Offensivmann des FC Liverpool nicht angemessen ins Abwehrspiel einschaltet. Stattdessen verharrt er in der Spitze, auch wenn der Angriff vorbei ist.
Ross Barkley vom FC Everton gilt als großes Talent. Bei der Abwehrarbeitet muss er aber noch zulegen. Gegen Costa Rica war zu beobachten, wie er die Gegenspieler nur zögerlich attackierte und schließlich ins Leere grätschte.
Raheem Sterling ist schnell und dynamisch. Weil England aus der Verteidigung heraus allerdings kaum Angriffe einleitete, blieb sein Potenzial ungenutzt.
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