
Zugbegleiterin Irina Kozunowa
Foto: Ekaterina Anokhina
[STECKBRIEF]
Irina Kozunowa
36 Jahre
aus Wischnij Wolotschok, 370 Kilometer nordwestlich von Moskau auf der Strecke nach Sankt Petersburg, Gebiet Twer
verheiratet, eine Tochter Alina, 13 Jahre
Zugbegleiterin

Irina Kozunowa empfängt Fußballfans in Moskau am Leningrader Bahnhof, an ihrer Seite Anna, die Englisch spricht
Foto: Ekaterina Anokhina
Kilometer zählt Irina Kozunowa schon lange nicht mehr. Sie lacht, als sie gefragt wird, wie viele sie schon zurückgelegt hat.
Irina ist Zugbegleiterin bei den Rossijskie Schlesnie Dorogi, kurz Rschd, den Russischen Eisenbahnlinien.
Nicht auf die Strecken kommt es an, sondern auf die Stunden, sagt die zierliche Frau im grauen Kostüm. Weiße Handschuhe, Schiffchenmütze auf dem Kopf, die Haare zu einem Dutt zurückgebunden.
Dabei war Irina schon im über 9000 Kilometer entfernten Wladiwostok und am etwa 5000 Kilometer entfernten Baikalsee. Regelmäßig fährt sie von Moskau aus die 1100 Kilometer nach Helsinki und zurück.
Ihre Arbeit wird nach Stunden entlohnt, erzählt sie. Sie müsse monatlich ein bestimmtes Kontingent erfüllen, durchschnittlich 153 Stunden. Nach Wladiwostok dauert es von Moskau aus fast sieben Tage, zum Baikalsee mehr als drei Tage und nach Helsinki 13,5 Stunden mit dem Zug.

Irina, an ihrer Uniform trägt sie das Abzeichen der Fußballweltmeisterschaft und eine Uhr der russischen Eisenbahn, die hat sie als Auszeichnung zum Tag des Eisenbahners, dem 1. Sonntag im August bekommen
Foto: Ekaterina Anokhina

23 Frauen und Männer sind insgesamt in ihrer Brigada, wie es auf Russisch heißt, ihrem Zugbegleiterteam. Eigentlich arbeiten sie auf der Strecke nach Helsinki, kümmern sich um den Zug, benannt nach dem Schriftsteller Lew Tolstoj.

Irina bei der Bedienung der Zugtechnik im Waggon des Zuges "Lew Tolstoj"
Foto: Ekaterina Anokhina
Es ist ein Vorzeigezug der russischen Bahn mit modernen Waggons, der Standard sind Viererkabinen mit gut gepolsterten Liegen. Die haben nichts mehr gemein mit den alten offenen Waggons, in denen man früher auf Pritschen schlief und das mitgebrachte Essen, zum Beispiel gebratene Hühner und gekochte Eier, und manch eine Flasche Wodka miteinander teilte.
In Murmansk oben im Norden Russlands brächten sich die Fahrgäste immer noch ihr Essen wie etwa Fisch mit in die Züge, sagt Irina. Aber auf der Strecke zwischen den Großstädten Moskau und Sankt Petersburg gingen fast alle zum Essen in die Restaurantwaggons, was aber natürlich auch eine Frage des Geldes sei, wie Irina sagt.

Irina mit ihrem Kollegen im Lew Tolstoj Zug
Foto: Ekaterina Anokhina

Irina bringt - wie üblich - Tee
Foto: Ekaterina Anokhina
Im Restaurantwaggon
Foto: Ekaterina AnokhinaWährend der WM betreute sie mit ihren Kollegen auch die zweistöckigen Fanzüge, die zwischen Moskau und Sankt Petersburg pendelten. Sie waren kostenlos für alle, die eine Fan-ID haben, einem Dokument, mit dem sie sich während der Fußballweltmeisterschaft ausweisen mussten.

Fußballfans am Bahnhof
Foto: Ekaterina AnokhinaAn Irina fällt auf, dass sie fast immer lächelt, geduldig hört sie zu, antwortet kurz und höflich, was im russischen Service immer noch nicht überall Alltag ist.
Während der Zug Richtung Moskau fährt, hat sie nachts Zeit für ein Gespräch, auch wenn ihr langsam die Stimme versagt. Sie hat sich stark erkältet. "Geht schon", sagt sie, nachdem sie Tee und Süßes gebracht hat.

In einen der Doppelstockwaggons passen 60 Fahrgäste, die in Viererabteilen schlafen
Foto: Ekaterina Anokhina
Wer sind die fröhlichsten Fans, Irina?
Laut sind die Argentinier und die Brasilianer, das sind emotionale Menschen. Aber es gab nie Probleme. Die Restaurantwaggons waren die ganze Nacht geöffnet, dort konnten sie sich treffen, reden und Bier trinken. Interessant waren ihre Kleidung, ihre Flaggen, die Mexikaner mit ihren Sombreros, das war toll.
Haben Sie einen geschenkt bekommen?
Nein, aber viele Fans haben ihre Sachen liegen lassen. Ich kann gar nicht verstehen, wie man so einen großen Sombrero vergessen kann. Selbst ihre Pässe und Koffer haben sie vergessen.
Was haben Sie mit den Sachen gemacht?
Wir haben sie in Moskau und Sankt Petersburg in den Bahnhöfen verwahrt, sodass die Gäste sie da wieder abholen konnten.
Haben Sie sonst noch etwas gelernt bei der WM?
Die Chinesen legen immer noch Handtücher auf ihre Kopfkissen, obwohl die bezogen sind. Warum, fragen Sie bitte nicht, ich habe es bisher nicht rausbekommen. Unsere Bettwäsche und Handtücher waren sehr bei den Fans beliebt, viele wollten sie als Souvenir einstecken, da mussten wir dann einschreiten.

Ein Abteil im Fanzug
Foto: Ekaterina Anokhina
Seit knapp 15 Jahren arbeitet Irina nun schon bei der Bahn. Sie machte eine Ausbildung zur Logopädin, währenddessen half sie einmal in den Ferien bei der Bahn aus. "Das hat mir besser gefallen, vor allem der Kontakt mit den Fahrgästen", sagt sie.
Das Schaukeln der Waggons mache ihr nichts aus - "ich mag nicht fliegen, der Himmel, die Höhe, das ist nicht meins, das macht mir Angst."

Irinas Namenschild an ihrer Kabine, die russische Bahn verzichtet inzwischen auf den Vatersnamen, "das haben viele Touristen nicht verstanden"
Foto: Ekaterina Anokhina
Die 36-Jährige ist viel weg von zu Hause, sie arbeitet sechs Tage am Stück, "das sind drei Fahrten, die ich betreue". Dann hat sie sechs Tage frei. "Früher war es schwerer, wegzufahren, da war meine Tochter kleiner. Natürlich gibt es immer noch Phasen, in denen ich mein Zuhause vermisse." Ihr Kind ist nun 13 Jahre alt, betreut wird ihre Tochter Alina von ihrer Großmutter, "mit ihrem Vater müsste sie selbst kochen, waschen und putzen", sagt Irina und lächelt.
Den Urlaub verbringt Irina ausschließlich zu Hause. "Ich bin so viel unterwegs, da freue ich mich über jeden Tag in meinem Haus, in meinem schönen Garten."

Bei der Abfahrt des Zuges, Irina winkt zum Abschied
Foto: Ekaterina AnokhinaIrina ist inzwischen aufgestiegen in der Bahn-Hierarchie, betreut vor allem ausländische Gäste, da sie auch Englisch spricht, was sie in der Schule, aber auch auf Fortbildungen gelernt hat.
Man hat ihr angeboten, die Leitung einer Brigada zu übernehmen, erzählt ihr Chef Alexander Pustorit. Doch Irina habe abgelehnt. Warum? "Das ist mir zu viel Verantwortung. Das will ich nicht. Es reicht mir, was ich erreicht habe."
