Profifußball ohne Zuschauer Wie ein Trainingskick auf dem Mond

Das Millerntor-Stadion in Hamburg stand leer, Statements gab es dennoch
Foto: Poolfoto/ imago images/PoolfotoAm Ende des Spielertunnels stand ein Mülleimer. Dort warfen die Fußballer des FC St. Pauli ihre Gesichtsmasken hinein, bevor sie zum Aufwärmen auf den Platz liefen. Einer der Profis schrie wie befreit laut auf, als er das Spielfeld betrat - und spuckte dann auf den Rasen.
Das widersprach den Empfehlungen der Deutschen Fußball-Liga (DFL). Doch niemand nahm davon Notiz. Die anderen Spieler waren damit beschäftigt, ungläubig die leere Arena zu betrachten, als müssten sie sich erst mal orientieren.
Der FC St. Pauli ist berühmt für seine leidenschaftlichen Anhänger. Aber auch der Klub vom Hamburger Kiez muss in den kommenden Wochen und Monaten ohne seine Fans, ohne stimmungsvolle Gesänge auskommen. Die Zweitligapartie am Sonntagnachmittag gegen den 1. FC Nürnberg war das erste Geisterspiel in der Historie des FC St. Pauli.

Die Spieler warfen ihren Mund-Nasen-Schutz vor dem Aufwärmen in den Müll
Foto: Poolfoto/ imago images/PoolfotoRund um das Stadion waren die Kneipen leer. Hinter einem großen Sperrgitter am Stadioneingang hatten sich nur einige wenige Schaulustige versammelt, die Fotos der Team-Busse machten. Die von manchen befürchteten Versammlungen von Ultragruppen blieben aus.
"Fußball lebt durch seine Fans"
Im Stadion saßen nur ein paar Dutzend Funktionäre, Ordner und Journalisten. Damit die Profis wenigstens ein bisschen Heimspielgefühl bekommen konnten, wurde die obligatorische Einlaufmusik lautstark eingespielt: "Hells Bells" von AC/DC. Vor der Haupttribüne hing ein großes Transparent, auf das jemand eine wohl unerschütterliche Wahrheit gepinselt hatte: "Fußball lebt durch seine Fans".
Der erste Geisterspieltag der Bundesliga geht am Montag mit dem Spiel zwischen Werder Bremen und Bayer Leverkusen zu Ende. Wer gedacht hatte, die fehlende Stadionatmosphäre würde sich auf die Leistungen der Profis auswirken, wurde bislang überrascht. Im Großen und Ganzen hatten die Partien ein gutes Niveau. Die Spieler zogen ihr Programm durch, als gebe es die ganzen Umstände nicht, die Quarantäne vor den Spielen, die Maskenpflicht im Mannschaftsbus, die Abstandsregeln in der Kabine, die leeren Tribünen.
Die Frage ist, wie lange die Sportler und Betreuer den Ausnahmezustand ertragen. "Wir müssen uns immer wieder neu motivieren", sagte der Coach des FC St. Pauli, Jos Luhukay. Nachdenklich lief der Trainer nach dem 1:0 (0:0)-Sieg gegen Nürnberg durch die Katakomben des Millerntor-Stadions.
Fußball ist kompliziert geworden
Kommerzfußball ohne Publikum – das wird auf die Dauer nicht funktionieren. Die große Bindung zwischen Anhängern und Spielern eines Vereins entsteht durch das Gemeinschaftserlebnis im Stadion. Bei den Übertragungen der Geisterspiele im Bezahlfernsehen springt der Funke nicht über. Zu sehr hat der TV-Konsument das Gefühl, einem Trainingskick auf dem Mond beizuwohnen.

Immerhin Torhüter sind schon aufgrund ihrer natürlichen Ausstattung geschützt - fehlt nur noch der Mund-Nasen-Schutz
Foto: Poolfoto/ imago images/PoolfotoFußball in Zeiten von Corona ist kompliziert geworden. Vor allem für die Spieler. Im Millerntor-Stadion achteten Ordner auf die Einhaltung der Maskenpflicht und dass niemand einen Türgriff mit der Hand berührte. Und über jeden Regelverstoß eines Profis gegen das Hygienekonzept der DFL wird von den Medien berichtet wie über ein grobes Foulspiel. Ein Profi von Hertha BSC hat beim Torjubel einen Kollegen geherzt. Das ist verboten! Der Trainer Heiko Herrlich vom FC Augsburg hat das Quarantänehotel verlassen. Verboten! Nach dem Spiel gegen Nürnberg marschierte St. Pauli-Trainer Lukukay ohne Maske an den Journalisten vorbei. Verboten, verboten, verboten!!!
Beim Abstiegsduell am Millerntor war trotz aller Zwangsmaßnahmen, trotz all der Tristesse, dennoch etwas zu spüren, was man kaum erwartet hatte: Die Akteure hatten Spaß. Es gab technisch feinen Fußball zu sehen und Passstafetten, die man sonst bei Spielen der zweiten Liga vermisst. "Vielleicht", meinte ein Beobachter, "sind die Jungs durch das fehlende Publikum vom Erwartungsdruck befreit".
In der 83. Minute erzielte Viktor Gyökeres das Siegtor für St. Pauli. Die Spieler jubelten, zügelten aber ihre Emotionen, wie sich das in dieser neuen Fußballzeit gehört. Nach dem Abpfiff liefen die Sieger auf die Haupttribüne zu und winkten selbstironisch den leeren Sitzschalen zu. Als ein begeisterter Ordner einen der Kiez-Kicker abklatschen wollte, konnte der Spieler gerade noch ausweichen.