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Italienischer Ultra-Boss: Genny der Schreckliche

Foto: Ettore Ferrari/ picture alliance / dpa

Mafia-Strukturen in Italiens Fußball Die Macht von "Genny dem Schrecklichen"

Der Gewaltausbruch vor dem römischen Pokalfinale hat den europäischen Fußball erschüttert. Was sind das für Fans, welch skurrile Gestalten haben dort das Sagen? Zum Beispiel Ultra-Chef Gennaro De Tommaso alias "Genny der Schreckliche".

Ohne ihn hätte das italienische Pokalfinale zwischen dem SSC Neapel und Florenz womöglich überhaupt nicht mehr begonnen: Gennaro De Tommaso. Draußen vor dem Olympiastadion in Rom hatten sich "seine Leute" zuvor mit den Fiorentina-Fans kräftig mit Eisenstangen, Messern und Äxten bearbeitet. Dann war die Sache aus dem Ruder gelaufen, ein Anhänger des SSC Neapel war von Kugeln getroffen auf dem Boden liegengeblieben. Ob er durchkommt, ist unklar.

Nach diesem lebensgefährlichen Zwischenfall hatten die Neapel-Fans wenig Lust, die Gesänge der "Mörder" aus Florenz zu ertragen; sie wollten verhindern, dass das Finale angepfiffen wird, und beschossen das Spielfeld mit Feuerwerkskörpern. Um das Spiel zu retten - und nicht 70.000, teilweise gewaltbereite Zuschauer in erneute Straßenschlachten zu entlassen -, gingen der Manager und der Mannschaftskapitän von Neapel zu den mitgereisten Fans und redeten ihnen gut zu.

Schließlich nickte ein mürrisch dreinblickender Mann im schwarzen T-Shirt und mit tätowierten Armen folgenden Deal ab: Wenn die Florentiner Fans ruhig blieben, werde auch Neapel stillhalten. Der neapolitanische Verhandlungsführer war De Tommaso, genannt "Genny der Schreckliche".

Mit 45 Minuten Verspätung begann das Pokalfinale - und alle Offiziellen dementierten fortan, was alle im Stadion gesehen hatten: dass man mit den Fans verhandelt hatte, allen voran mit diesem De Tommaso.

Der Boss der "Mastiffs"

Denn dieser ist ein alter Bekannter in der italienischen Fußballwelt. De Tommaso ist einer der Bosse der neapolitanischen Fankurve, die sich aus etlichen Gruppen zusammensetzt, die mal größer, mal kleiner werden, mal auch eine Weile ganz verschwinden. Da gibt es zum Beispiel "die alten Löwen" und "die verrückten Köpfe" oder die nach den berüchtigten englischen Kampfhunden benannten "Mastiffs". Zu denen zählten etwa 800 besonders exzessive Fußball-Anhänger, die meist als erste von allen gewalttätig wurden. Derzeit gilt die Gruppe als aufgelöst, aber so genau weiß man das nicht.

Deren langjähriger Chef Gennaro De Tommaso ist ohnehin längst im gesamten Ultra-Sektor die zentrale Figur. Und nicht nur dort. Seiner Familie werden gute Verbindungen zu zwei wichtigen Camorra-Clans nachgesagt. Da gibt es Onkel Giuseppe, der den Beinamen "der Killer" trägt, und Vater Giro, mit dem Ehrentitel "Ciccione a Carogna", wahlweise zu übersetzen als "fettes Ekel" oder "der schreckliche Dickwanst".

Papa hat eine Verurteilung zu 24 Jahren Haft kassiert, aber in erster Instanz, also nicht rechtskräftig. Gennaro war nur mal kurz in Haft, weil er eine gewalttätige Protestaktion angezettelt haben soll, die mit einer Müllkippe der Mafia zu tun hatte. Auch Stadionverbote hat er bekommen, Anzeigen wegen Raubs und Rauschgifthandels.

Sandokan im Ferrari

Figuren wie De Tommaso gibt es einige im italienischen Fußball. Viele von ihnen, wie der Schütze vor dem Pokalfinale am Samstag in Rom, der Chef des AS-Rom-Fanblocks Daniele De Santis, treiben seit zwei Jahrzehnten ihr Unwesen, und jeder kennt sie:

  • Giancarlo Lombardi, genannt "Sandokan", Chef der Südkurve beim AC Mailand, fährt Ferrari und hat Anzeigen wegen Raubes, Körperverletzung und versuchten Mordes im Lebenslauf;

  • Fabrizio Piscitelli, Künstlername "Diabolik", Anführer der "Unbeugsamen" von Lazio Rom, nach Zeitungsmeldungen derzeit wegen Rauschgifthandels in Haft;

  • Loris Grancini, wichtiger Kurven-Chef beim aktuellen Meister Juventus Turin und, so schreibt die Tageszeitung "La Repubblica", mit enger Bindung "zur Cosa Nostra und zum kalabresischen Clan der Rappocciolo".

Mindestens 40.000 organisierte Ultras, wie die Hardcore-Fans in den italienischen Stadionkurven genannt werden, gibt es. Manche Schätzungen gehen bis 70.000. Sie sind in ungefähr 400 Gruppen organisiert, viele davon haben Verbindungen zur Unterwelt und oder zu rechtsextremen Gruppierungen. Das stört den Rest des Landes immer nur dann, wenn - wie jetzt - etwas ganz besonders Schlimmes passiert ist. Dann ruft der Innenminister nach härteren Strafen, die Vereine wollen gegen die Ultras vorgehen, ihre Bosse ausbooten - und das war es dann auch bald wieder.

Die Politik, die Verbände und die Clubs wagen nicht, ernsthaft etwas gegen die Ultra-Verbände zu unternehmen. Die einen haben Angst vor noch mehr Randale, die anderen fürchten sich vor leeren oder auch nur stillen Stadien. Dabei geht es in dem Metier schon lange nur noch am Rande um Fußball. Die Kurvenbosse verdienen viel Geld. Und zu dem Zweck verbinden sich auch die Fan-Führer scheinbar verfeindeter Vereine, etwa die vom AC Mailand, Inter Mailand und Juventus Turin, in geschäftlicher Harmonie.

Es geht um Tickets und Merchandising, um die Fan-Transporte und nebenbei mitunter auch um mehr, um Drogen und Erpressung. Dienlich fürs Image sind gelegentlich auch kleine Demonstrationen von Macht. Da macht sich der Ultra-Boss von Genua einen Spaß daraus, die Spieler vorzuführen, nachdem sie gegen Siena verloren und dabei wenig Einsatz gezeigt haben: Sie müssen noch auf dem Platz alle das Trikot ausziehen - und sie tun es.

"Speziale Libero" - das provokante T-Shirt

Solches Gehabe hat einer wie Genny gar nicht mehr nötig. Er demonstriert seine Macht dezenter, etwa mit seinem schwarzen T-Shirt. "Speziale Libero" steht darauf - was soviel heißt wie: "Lasst Speziale frei". Der Ultra Antonino Speziale ist zu acht Jahren Gefängnis verurteilt worden, weil er, gemeinsam mit einem anderen, am 2. Februar 2007 am Rande des Fußballspiels Catania gegen Palermo den Polizisten Filippo Raciti erschlagen hat.

Als ein junger Spieler aus der vierten Liga sich ein T-Shirt überzog, auf dem jener Speziale als angeblich unschuldig gewürdigt wurde, sperrte ihn der Fußballverband für drei Jahre. De Tommaso wird nicht mal des Stadions verwiesen. Wie auch, dann hätte das Pokalfinale am Samstag wohl auch gar nicht stattfinden können.

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