Gladbach-Manager Eberl "Ohne Mäzen, ohne Finanzinvestor, ohne Scheich, ohne Werk im Rücken"

Mehr als ein Jahrzent für die Gladbacher Belange zuständig: Max Eberl
Foto:Marius Becker/ dpa
SPIEGEL: Herr Eberl, ich darf Ihnen erst einmal gratulieren. Sie stehen jetzt in einer Reihe mit dem großen Helmut Rahn.
Max Eberl: Warum das denn?
SPIEGEL: Rahn war der erste Spieler, der in der Bundesliga einen Platzverweis erhielt. Sie sind seit Freitag der erste Offizielle in der Bundesliga-Geschichte mit einer Roten Karte.
Eberl: Das ist natürlich keine ruhmreiche Erwähnung, das braucht kein Mensch. Aber ich bin nun mal emotional, und am Freitag habe ich mich über den Schiedsrichter sehr geärgert, da hat er mir Rot gezeigt. Das akzeptiere ich.
Max Eberl, 47, ist seit 2008 Sportdirektor bei Borussia Mönchengladbach und seit diesem Monat zehn Jahre lang Mitglied der Geschäftsführung. Zuvor war er als Profi unter anderem für Bayern München, den VfL Bochum, Greuther Fürth und die Borussia aktiv. Ihm gelang es als Abwehrspieler dabei, in 215 Ligaspielen ohne Tor zu bleiben.
SPIEGEL: Erinnern Sie sich an Ihren einzigen Bundesliga-Platzverweis als Spieler?
Eberl: Ja, das muss 2002 gewesen sein, da hatte ich eine schlechte Phase, bin erst im Pokal in Babelsberg vom Platz geflogen und nur wenige Wochen später gegen den VfB Stuttgart bei einem Gerangel an der Seitenlinie noch einmal. Aber ich weiß noch, als wir danach zum DFB-Sportgericht gefahren sind, hatte mich der damalige Sportdirektor Christian Hochstätter zum ersten Mal drauf angesprochen, ob ich denn nach meiner Karriere vielleicht ein Amt im Verein anstreben wolle. Das war das erste Gespräch in diese Richtung.

In Freiburg verlor die Borussia wichtige Punkte im Kampf um die Champions League
Foto: Ronald Wittek/ dpaSPIEGEL: Haben Sie gleich zugesagt?
Eberl: Nein, ich erinnere mich noch an meine erste Antwort: "Ich bin doch erst 29, das ist doch viel zu früh für mich."
SPIEGEL: Uli Hoeneß war schon mit 29 Manager bei den Bayern.
Eberl: Große Schuhe, die Sie mir hinstellen.
SPIEGEL: Beim Hoeneß-Klub FC Bayern, dem souveränen Tabellenführer, spielt die Borussia am Samstag. In der Vorwoche hat Ihre Mannschaft in Freiburg verloren. Verspielen Sie gerade die Champions League?
Eberl: Freiburg war schon sehr ärgerlich. Wir wollten unbedingt gewinnen, um die Konkurrenz vorne unter Druck zu setzen und die Großen weiter zu ärgern. Wir haben zunächst auch ein richtig gutes Spiel gemacht, und dann lief alles gegen uns. Das tat doppelt weh. Aber gegen Ausdrücke wie "Verspielen der Champions League" wehre ich mich.
SPIEGEL: Warum? Sie gehören doch mittlerweile selbst zu den Großen, die Sie angeblich ärgern wollen. Mit solchen Formulierungen machen Sie sich doch kleiner, als Sie sind. Der Rest der Liga sieht Borussia doch längst in den Top-Fünf.
Eberl: Ja, genau, Top-Fünf. Dazu gehören wir, wenn bei uns alles gut läuft, auch, und da machen wir uns auch nicht kleiner. Aber in die Champions League können eben nur vier Vereine.
SPIEGEL: Dennoch stellen Sie sich gern als der Kleine unter den Großen dar. Auf mich wirkt das wie Koketterie.
Eberl: Niemand kokettiert bei uns. Schauen Sie sich doch die anderen Vier an: Der FC Bayern, der seit 30 Jahren der Primus ist. Borussia Dortmund, die gefühlt seit 20 Jahren auf ähnlichem Weg sind. Bayer Leverkusen, auch seit zwei Jahrzehnten so gut wie immer im Europapokal und oft in der Champions League, dazu kommt RB Leipzig als Jungbrunnen mit ihren gewaltigen Möglichkeiten und die dazu auch einen tollen Job machen. Dagegen waren wir zehn bis 15 Jahre lang im Niemandsland und in der 2. Liga, wir konnten uns kein Fett anfressen.
SPIEGEL: Das ist aber auch schon lange her.
Eberl: Ja, absolut. Und ich sage auch voller Stolz, dass wir uns in zehn Jahren vom Abstiegskandidaten zum Europapokalteilnehmer entwickelt haben. Und zwar aus eigener Kraft. Ohne Mäzen, ohne Finanzinvestor, ohne Scheich, ohne Werk im Rücken. Wir haben uns in neun Spieljahren sechs Mal für Europa qualifiziert, und wir wollen natürlich noch mehr. Das ändert aber nichts an dem realistischen, ehrlichen Blick, den wir auf den Verein werfen. Und dazu gehört genauso, dass hinter uns Vereine wie Hoffenheim oder Frankfurt oder Schalke sehr gern dahin wollen, wo wir sind. Und dass ab der nächsten Saison mit Hertha BSC ein neuer Player erscheint, der dank des Windhorst-Geldes mal eben zehn Jahre in einem Sommer aufholt.
SPIEGEL: Aber Sie können noch so reden, die Fans würden es mittlerweile als Enttäuschung ansehen, wenn man die Champions League verpasst und nur in die Europa League käme.
Eberl: Wenn es nach so einer überragenden Saison am Ende nicht klappen sollte mit der Champions-League-Qualifikation, würden wir alle uns erst einmal ärgern, das ist auch in Ordnung. Aber "nur die Europa League" - das kann ich wirklich nicht akzeptieren. Mit der Teilnahme am Europacup haben wir jetzt schon wieder etwas Großartiges geschafft. Das wäre ganz sicher kein Anlass, um traurig zu sein.
SPIEGEL: Sie sind in diesem Monat genau zehn Jahre Mitglied der Geschäftsführung, Sportdirektor in Gladbach sind Sie noch etwas länger, als Sie anfingen, war die Borussia das Gegenteil einer Spitzenmannschaft. Warum haben Sie sich das damals angetan?
Eberl: Es war eine Herausforderung. Ich erinnere mich noch an die damalige Tabelle, oben standen der HSV, Werder Bremen und der VfB Stuttgart, wir waren Letzter. Europa war Galaxien entfernt. Aber ich habe diese Herausforderung angenommen, gerade Werder Bremen war damals mein Vorbild, wie man es schaffen kann, aus wenig Möglichkeiten das Maximum herauszuholen.
SPIEGEL: Werder ist jetzt genau das Beispiel im negativen Sinne, wie es bergab gehen kann.
Eberl: Ich habe immer bewundert, mit welcher Struktur, Ruhe und Klarheit dort gearbeitet wurde. Aber die Versuchung, im Erfolg Fehler zu machen, maßlos zu werden, die gibt es eben auch. Auch da schaut man genau hin, was passieren kann.
SPIEGEL: Fehler machen, das kann man vor allem bei Transfers. Was gehörte für Sie in all den Jahren zu einem guten Transfer?
Eberl: Vorweg muss ich sagen, dass der Transferdruck bei uns schon sehr groß ist. Wenn wir einen Spieler verpflichten, dann muss er auch passen. Wir haben nicht das Geld, um mal eben drei Spieler für eine Position zu verpflichten. Deswegen ist für mich immer wichtig gewesen, vorausschauend zu denken. Ein Transfer bei uns fängt einen Sommer zuvor an, wir müssen uns ein Jahr früher schon fragen, was bei uns im Kader passieren könnte, welcher unserer Spieler zu einem großen Verein wechseln könnte. Und dann gilt der Spruch, den ich von Hans Meyer gelernt habe: Es kommt immer auf die Mischung im Kader an.
SPIEGEL. Das heißt?
Eberl: Ein Kader ist wie ein Puzzle, das du zusammensetzen musst. Linksfuß, Rechtsfuß, Häuptlinge, Indianer, in der Mannschaft muss alles vertreten sein. Eine Mannschaft muss ein Gesamtpaket sein, wenn sie funktionieren soll.

Borussen-Trainer Marco Rose
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SPIEGEL: Und der neue Trainer Marco Rose ist auch so ein Gesamtpaket? Rose kam im Sommer mit einer gewaltigen Bugwelle, was die Erwartungen angeht. Rein tabellarisch steht man jetzt da, wo man ein Jahr zuvor unter Dieter Hecking auch stand.
Eberl: Der Verpflichtung von Marco Rose ging eine meiner schwierigsten Entscheidungen voraus – sich von einem erfolgreich arbeitenden Trainer Dieter Hecking zu trennen, der Borussia auf Platz fünf geführt hatte. Aber ich hatte das Gefühl, dass die Art unseres Fußballspiels einen neuen Impuls gebraucht hat, dass wir eine Facette on top benötigten. Jemanden, der die Spielwiese unter Lucien Favre mit der seiner Nachfolger Andre Schubert und Dieter Hecking kombinieren und noch etwas Neues hinzufügen kann. Das kann Marco Rose. Was ihn darüber hinaus so besonders macht, ist seine Empathie, sein Umgang mit Menschen.
SPIEGEL: Mit Favre und Hecking hatten Sie zuvor extrem unterschiedliche Trainertypen, mit beiden haben Sie sehr eng zusammengearbeitet, beide haben bei Ihren heutigen Vereinen Dortmund und HSV keine leichte Zeit. Leidet man noch mit ihnen mit?

2017 bei der Verpflichtung von Dieter Hecking
Foto: Maja Hitij/ Bongarts/Getty ImagesEberl: Man weiß natürlich ganz genau, wie sich derjenige in manchen Situationen fühlt. Aber mein Mitgefühl brauchen beide nicht, sie sind erfahren genug.
SPIEGEL: Sie sind über all die Jahre bei der Borussia geblieben, obwohl es auch mal Interesse des FC Bayern gegeben haben soll. Wird Max Eberl in seiner beruflichen Laufbahn irgendwann noch mal beim FC Bayern arbeiten?
Eberl: Weiß ich nicht. Vielleicht ja aber irgendwann als Jugendscout (lacht). Immerhin ist es mein Heimatverein.
SPIEGEL: Wie hat sich das Management, wie hat sich Sportdirektor-Sein im vergangenen Jahrzehnt verändert?
Eberl: Die Summen haben sich natürlich verändert. Als ich anfing, war das Budget für den Kader 15 Millionen, jetzt liegt es bei mehr als 70 Millionen Euro. Man hat zudem viel mehr Konkurrenz als früher, weil andere Vereine einen ähnlichen Weg einschlagen wie wir, das mediale Drumherum ist noch mal größer geworden. Aber was geblieben ist, ist der eigentliche Kern der Arbeit: am Tisch zu sitzen und einen Spieler zu überzeugen, zur Borussia zu wechseln.
SPIEGEL: Haben Sie mal die Verpflichtung eines Spielers oder Trainers bedauert?
Eberl: Nein.
SPIEGEL: Hätte der Manager Max Eberl den Spieler Max Eberl verpflichtet?
Eberl: Vielleicht. Zur Verbreiterung des Kaders.