Hamburger SV Aus dem Himmel in die Hölle
Meine Kreuzberger Fußballkneipe ist der Ort für die über den Tag hinaus reichenden gültigen Wahrheiten. Neben den üblichen Gemeinplätzen - dass es Felix Magath immer nur ums Geld gehe, die Hoffenheimer in der Hinrunde garantiert kollektiv gedopt gewesen seien, Hertha sowieso kein Mensch klaren Sinnes die Meisterschaft gönne und man am Abend eventuell noch ins "White Trash" gehe - war man sich an diesem Wochenende über eines grundeinig: "Der HSV braucht drei Jahre, um sich von diesen drei Wochen zu erholen, ich sage euch, drei Jahre - mindestens." Bei den kurzen Halbwertzeiten im Fußball ist das zwar eine eher mutige Prognose. Tatsache ist aber: Der Hardcore-HSV-Fan ist seit dem DFB-Pokal-Halbfinale vor 19 Tagen aus dem Himmel gefallen, durchs Fegefeuer gegangen und in der Hölle angekommen.
In Hamburg sagt man Tschüß. Raus aus dem Pokal, raus aus dem Europacup, raus aus dem Titelrennen - und immer sind es dieselben Typen gewesen, die dafür verantwortlich waren - wie am Sonntag bei der Niederlage in Bremen: Almeida! Diego!! Pizarro!!! Wiese!!!! Namen für das Wörterbuch des HSV-Unmenschen. Man kann noch nicht mal die allseits beliebte Ausrede strapazieren, die Mannschaft sei nach all den Pflichtspielen am Ende der Saison schlicht körperlich am Ende gewesen - für Werder galt die Belastung, bis zum Saisonende drei Wettbewerbe gestalten zu müssen, genauso.
So bleibt, wenn es schlecht läuft, am Ende einer Spielzeit, in dem die Hamburger noch Mitte April von drei Titeln träumten, nach dem Aufwachen im Mai die Saison der leeren Hände übrig. Und der Alptraum hatte eine grün-weiße Hintergrundfarbe.
Oberschlaue Beobachter, zu denen wir Kolumnisten uns qua Amt ebenfalls zählen, könnten im Nachhinein sagen: Man hat es kommen sehen. Der HSV hat auch in der Rückrunde noch seine Siege in der Liga eingefahren. Aber das geschah immer quälender, immer mehr auf der Kippe, immer öfter mit Glück im Spiel. Dazwischen ein 2:3 in Karlsruhe, ein 1:4 in Gladbach. Der HSV lief bereits die Wochen vor dem norddeutschen Showdown in Richtung Reserve-Modus. Das Team konnte sich allerdings zu Highlights wie den Uefa-Cup-Duellen in Istanbul und gegen Manchester City noch einmal aufrappeln. Aber es war ein Kraftakt, der die Hamburger letztlich offensichtlich überfordert hat.
Man muss den HSV nicht mögen, um seinen Trainer Martin Jol trotzdem sympathisch zu finden. Wenn er nach Spielschluss seine Analyse mit seinem holländisch eingefärbten "Das haben wir diesmal ganz gut gemacht" abschließt, dann klingt das so angenehm uneitel. Aber die Duelle mit Werder haben auch die taktischen und psychologischen Grenzen des Trainers Jol aufgezeigt, die Grenzen des aktuellen HSV-Kaders zudem auch.
Während sein Gegenüber Thomas Schaaf mit seinen personellen Ressourcen schonender umgehen konnte - da blieben Diego, Claudio Pizarro oder Mesut Özil auch schon mal 45 Minuten auf der Bank, und selbstverständlich wurden sie geschont, auch wenn der Pfiffikus Schaaf stets etwas anderes behauptet - warf Jol seine Stammkräfte immer wieder von neuem in die Schlacht - auch wenn sie am Ende schon überspielt waren wie Piotr Trochowski oder angeschlagen wie Mladen Petric.
Entweder hat er seinen Alternativen von der Bank nicht vertraut - einem Albert Streit zum Beispiel, der beim HSV keine echte Chance zu bekommen scheint - oder er hat es nicht verstanden, bis zuletzt die Potentiale seiner Spieler zur Gänze und zu den entscheidenden Momenten auszuschöpfen. Anders als Werder, wo zudem Spieler der zweiten Garde wie Peter Niemeyer oder Markus Rosenberg immer mal wieder aufs Feld geschickt wurden, um den Stars eine Verschnaufpause zu gönnen. Die Vorstellung der Hamburger Mannschaft am Sonntag beim 0:2 im Weserstadion - das hatte Burn-Out-Charakter.
Der HSV hat dank der Verkaufspolitik von Manager Dietmar Beiersdorfer - daraufhin Dukaten-Didi getauft, was in der Handelskammerstadt Hamburg als Ritterschlag zu verstehen ist - viel Geld auf dem Konto, aber er hat keinen Diego, und er hat keinen Pizarro.
Dem Kader der Hamburger fehlt der Ausnahmekönner. Das fängt im Tor an, wo Frank Rost, wenn man ganz ehrlich ist, in dieser Saison öfter geschimpft als wirklich geglänzt hat. Das setzt sich in der Verteidigung fort, wo dem starken Abwehrchef Joris Mathijsen vorrangig auf den Außenbahnen adäquate Nebenleute gefehlt haben. Im Mittelfeld hat sich Trochowski nach einer sehr guten Saison müde gespielt, Jonathan Pitroipa fehlt der Zug zum Tor und das Durchsetzungsvermögen. Die Offensive ist zugegeben stark besetzt, aber wer die Ballbehandlung eines Pizarro auf Werder-Seite sieht, weiß, was den Hamburgern auch hier noch abgeht.
Am Ende des Tages fehlt dem HSV ein Rafael van der Vaart.
Vieles davon kann mit Hilfe der finanziellen Potenz des Clubs in der kommenden Saison anders und besser werden. Aber einen oder mehrere Topspieler zu einem Verein zu lotsen, der für keinen einzigen internationalen Wettbewerb qualifiziert ist - das dürfte Beiersdorfers Meisterstück werden. Aber er ist ja nicht der einzige, der vor diesem Problem steht. Felix Magath und er können ja mal telefonieren.