Hamburger SV Zu groß für Liga zwei, zu klein für den Aufstieg

Derby-Niederlage gegen St. Pauli, 0:3 gegen Erzgebirge Aue: Der HSV droht erneut den Aufstieg zu verspielen. Dieter Hecking brechen die Säulen der Mannschaft weg. Der Trainer sucht verzweifelt nach Lösungen.
Von Tobias Escher
HSV-Trainer Dieter Hecking droht den Aufstieg zu verpassen

HSV-Trainer Dieter Hecking droht den Aufstieg zu verpassen

Foto: Christian Charisius/ dpa

"Große Fische, kleiner Teich": So heißt ein bekanntes Konzept der Pädagogik. Es besagt, dass schlauere Schüler in einer leistungsschwachen Klasse eher auffallen als in einer leistungsstarken - und dass sich dies auf ihre Selbstwahrnehmung auswirkt.

Es ist nicht bekannt, ob der HSV-Vorsitzende Bernd Hoffmann auf diesen sogenannten "Fischteicheffekt" Bezug nahm, als er im Januar während der Mitgliederversammlung des HSV behauptete, sein Klub schwimme im "falschen Teich". Seine Aussage war eindeutig: Der große Fisch Hamburger SV gehöre in die Bundesliga.

Die Rückkehr in den großen Teich erweist sich jedoch auch im zweiten Anlauf als schwierig. Wie bereits im Vorjahr droht der HSV im letzten Saisondrittel den Aufstieg zu verspielen. Der Rückstand auf Tabellenführer Arminia Bielefeld beträgt neun Punkte, der Vorsprung auf den Vierten Heidenheim nur drei.

Die Gegner haben den HSV entschlüsselt

Der HSV scheint tatsächlich zu groß zu sein für die zweite Liga – nur nicht auf die Art, wie dieser sich das vorgestellt hat. Während der Verein in der ersten Liga im Abstiegskampf auf Kampffußball setzen konnte, sieht die Ausgangslage in Liga zwei anders aus. Der HSV leistet sich die zweitteuerste Mannschaft der Liga. Gegner wie Aue, Heidenheim oder Osnabrück freuen sich darauf, den großen Fisch zu ärgern – und treten entsprechend defensiv auf.

Die Aufgabe, kämpferisch starke Zweitligisten mit fußballerischen Mitteln zu schlagen, gelang dem HSV in der Hinrunde mit Bravour. Trainer-Veteran Dieter Hecking brachte Konstanz in eine Mannschaft, deren Markenkern über viele Jahre die Inkonstanz war. Woche für Woche setzte Hecking auf dasselbe 4-3-3-System. Die Mannschaft wirkte eingespielt, sie konnte vor allem mit Angriffen über die starke linke Seite überzeugen. Linksaußen Sonny Kittel (elf Tore) und Linksverteidiger Tim Leibold (sechs Vorlagen) waren die Schlüsselspieler.

Auch im Jahr 2020 hält Hecking an seinem Spielsystem fest. Doch die Ergebnisse fielen zuletzt schlechter aus: Gegen Hannover gelang dem HSV erst in letzter Sekunde das 1:1, gegen St. Pauli verloren sie das Derby und in Aue gingen sie 0:3 unter.

Es sind nicht allein die Ergebnisse, die dem HSV Sorgen bereiten. Es ist vor allem die Frage, wie diese Niederlagen zustandekamen. Alle drei Gegner setzten auf dasselbe Spielsystem: Jeder Hamburger Spieler bekam einen Manndecker zugewiesen.

In keiner der drei Partien gelang es Heckings Team, diese Manndeckung zu knacken. Die Techniker des Hamburger SV ließen sich von dem ruppigen Verhalten ihrer Gegenspieler aus dem Konzept bringen. Während sich ihre Gegner in jeden Zweikampf warfen, als würde ein Sieg gegen den HSV sechs Punkte geben, fielen die Hamburger Akteure in allen drei Partien durch ihre Lethargie auf. Die bedienten HSV-Fans skandierten nach der Niederlage in Aue: "Ihr seid nur ein Punktelieferant!" Selbst Hecking mahnte an, der Mannschaft fehle aktuell "ein Leader".

Die Säulen sind weggebrochen

Hecking trifft damit einen wunden Punkt: Dem HSV brechen die Säulen weg. Achter Jeremy Dudziak (Knieverletzung) mag im Vergleich zu den starken Technikern Aaron Hunt und Louis Schaub weniger auffällig spielen. Seine Laufstärke und seine Präsenz im Pressing halfen der Mannschaft jedoch, die Balance zwischen Offensive und Defensive zu wahren. Diese Balance fehlte zuletzt, als Schaub und Hunt das offensive Mittelfeld bestückten.

Schaub und Hunt können wiederum nicht kaschieren, dass Hamburgs starke linke Seite zuletzt eher ein Schwachpunkt war. Leibold fiel zuletzt nicht mit seinen charakteristischen flachen Flanken auf, sondern durch Patzer in der Defensive. Kittel bekam nach schwachen Leistungen einen Denkzettel vom Trainer verpasst. Er verbrachte gegen Aue neunzig Minuten auf der Bank.

Im Spielaufbau wiederum gibt es keinen Hamburger Spieler, der die Übersicht von Adrian Fein ersetzen kann. Der Sechser fehlte gegen Hannover und St. Pauli aufgrund eines Jochbeinbruchs, gegen Aue wurde er spät eingewechselt. Als Spielgestalter vor der Abwehr laufen bei ihm die Fäden zusammen. Sein Ersatzmann Gideon Jung ist körperlich präsenter, verfügt dafür aber über weniger Übersicht und Genauigkeit in seinen Pässen.

Bereits in den Wochen vor seiner Verletzung war Fein aber keineswegs so dominant, wie dies noch zu Saisonbeginn der Fall war. Kein Gegner verzichtet mehr darauf, Fein in Manndeckung zu nehmen. Da zeigt sich wieder: Die Gegner bereiten sich intensiv auf den HSV vor – und diesem fehlt die Flexibilität, um darauf zu reagieren. Während der HSV aus den ersten zwölf Spielen dieser Saison 25 Punkte geholt hat, waren es in den vergangenen zwölf Spielen nur noch 16 Punkte.

Neues System beim HSV?

Hecking versucht, die Lage zu entschärfen. Öffentlich beteuert er, dass zwei Niederlagen in Folge für ihn noch keine Krise darstellen. Aber er weiß auch: Immer mehr Gegner haben sein System entschlüsselt. Unter der Woche ließ er ein neues System trainieren, am Wochenende könnte der HSV mit zwei Stürmern auflaufen. Hecking will weniger ausrechenbar sein.

In Hamburg grassiert die Angst, dass sich die Entwicklung der vergangenen Saison wiederholt. Auch damals war man gut in die Saison gestartet, ehe man in der Rückrunde den Aufstieg verspielte. Trainer Hannes Wolf wechselte in seiner Panik Woche für Woche System und Startaufstellung. Er verunsicherte damit eine ohnehin instabile Hamburger Mannschaft.

Das Spiel gegen Jahn Regensburg (Samstag, 13 Uhr) hat daher richtungsweisenden Charakter. Gelingt es Hecking, mit einem neuen System das Ruder herumzureißen? Oder findet er wie sein Vorgänger Wolf keine Antwort auf die Krise?

Regensburg ist der Angstgegner des HSV, bisher konnte er keine Zweitliga-Partie gegen die Bayern gewinnen. Das sagt vielleicht auch etwas über die Frage aus, in welchem Teich der HSV seit einigen Jahren schwimmt.

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