
Hannover-Präsident Kind: Der Verein bin ich!
Hannover-Präsident Kind "Ich kann niemanden zwingen, Karten zu kaufen"
Martin Kind, 70, ist international tätiger Hörgeräte-Unternehmer. Seit 1997 ist er mit kurzer Unterbrechung Präsident von Hannover 96. Kind führte den Verein aus der dritten Liga, der damaligen Regionalliga, zurück in die Bundesliga. In seine Amtszeit fällt der zweimalige Einzug in die Europa League. 2017 möchte er das Präsidentenamt abgeben - und in den Aufsichtsrat der Profiabetilung von Hannover 96 wechseln. Auch nach seinem Aus als Präsident bleibt er also der starke Mann des Bundesligisten.
SPIEGEL ONLINE: Herr Kind, wie gefällt Ihnen die Stimmung bei den Heimspielen von Hannover 96?
Kind: Sie ist nicht schlecht, aber auch nicht wirklich gut.
SPIEGEL ONLINE: Das ist freundlich formuliert. Die Ultras besuchen seit dieser Saison nur noch die Spiele der zweiten Mannschaft in der Regionalliga - aus Ärger über die Vereinsführung. Die Atmosphäre bei den Bundesliga-Spielen ist deutlich weniger enthusiastisch als vorher. Ist das ein Problem?
Kind: Aus meiner Sicht ist es in Ordnung, wie es jetzt läuft. Die Ultras haben sich entschieden, die Spiele der U23 zu besuchen. Dies bedeutet deutlich mehr Zuschauer bei den Spielen der U23. Unsere Bundesliga-Heimspiele sind ausverkauft und wir haben keine Probleme in der Arena. Die Stimmung muss sich natürlich entwickeln. Dies braucht Zeit.
SPIEGEL ONLINE: Sie sind also froh, die Ultras los zu sein?
Kind: Sie sind weiterhin herzlich willkommen. Aber ich kann niemanden zwingen, Eintrittskarten zu kaufen.
SPIEGEL ONLINE: Sie könnten auf die Fans zugehen.
Kind: Wir haben den Dialog angeboten. Ich stehe sieben Tage die Woche für Gespräche zur Verfügung. Ich kann auch andere Gesprächspartner bei Hannover 96 benennen. Aber auch uns als Verein fehlen Ansprechpartner auf Seiten der Fans seit der Auflösung der Roten Kurve. Die Fans sollten Gesprächspartner benennen, die getroffene Verabredungen auch durchsetzen können. Die Gespräche können ergebnisoffen geführt werden. Nicht zu diskutieren sind jedoch die Themenbereiche Gewalt, Pyrotechnik, Rassismus und Rechtsradikalismus.

Die Ultras von Hannover 96 boykottieren seit dieser Saison die Spiele der Bundesliga-Mannschaft. Hintergrund ist ein jahrelanger Zwist mit der Klubführung. Die Fans empörten sich über kontroverse Aussagen von Präsident Martin Kind und machen den Klub für das Aus der Fan-Vereinigung "Rote Kurve" verantwortlich. Kind verurteilt den Einsatz von Pyrotechnik und legte entsprechende Strafen des DFB auf einen Teil der Fans um. In der vergangenen Saison eskalierte der Streit. Die Ultras sind auch in der hannoverschen Fan-Szene umstritten.
Spiegel Online: Sind denn Rassismus und Rechtsradikalismus nennenswerte Probleme in der hannoverschen Fanszene? Viele Fans stören sich an Ihrer pauschalen Darstellung.
Kind: Diese Themenbereiche sind unterschiedlich zu bewerten, keine Frage. Rassismus und Rechtsradikalismus sind in Hannover im Moment keine ernsthaften Themen. Aber Gewalt und Pyrotechnik lassen sich vielleicht in eine Synthese setzen.
SPIEGEL ONLINE: Wie meinen Sie das?
Kind: Wir können feststellen, dass bei Gewalt in der Regel auch Pyrotechnik zum Einsatz kommt.
SPIEGEL ONLINE: Das Verhältnis zwischen dem Verein und einigen Fans war schon länger schlecht, in der vergangenen Saison kam es zum Bruch. Was ist aus Ihrer Sicht schiefgelaufen?
Kind: Entscheidend waren die Spiele gegen Dynamo Dresden im Pokal 2012 und gegen Eintracht Braunschweig in der vergangenen Saison. Die Eingänge des Stadions wurden gestürmt. Während der gesamten Spielzeit wurde Pyrotechnik gezündet. Wir haben massive Strafen vom DFB bekommen - Strafen für das Fehlverhalten Dritter. Es kann nicht erwartet werden, dass wir diese Strafen erfüllen und dann zur Tagesordnung übergehen.
SPIEGEL ONLINE: Zum Rückspiel in Braunschweig wurden die Fans zu einer vom Verein organisierten Bus-Anreise verpflichtet. Viele von ihnen boykottierten die Tour, weil sie sich in Ihrer Reisefreiheit eingeschränkt sahen. Soll es solche Bus-Anreisen auch künftig geben?
Kind: Wir haben kein Interesse, dieses Szenario zu wiederholen. Aber die Polizei hatte die Partie als Hochsicherheitsspiel eingeordnet, insbesondere nach den Erfahrungen aus dem Hinspiel. Polizei und Innenministerium empfahlen das Bus-Konzept. Dem haben wir zugestimmt. Hätten wir das Konzept nicht umgesetzt, wären wir sicherlich vom Innenministerium und der Polizei für mögliche gewalttätige Exzesse verantwortlich gemacht worden. Dieses Risiko konnten wir nicht eingehen.
SPIEGEL ONLINE: Die Fans fühlten sich vom Verein gegängelt, einige von ihnen gingen sogar vor Gericht gegen die Bus-Pflicht.
Kind: Ich will nicht, dass uns der Staatsanwalt anklagt, weil wir einen Gewaltausbruch zu verantworten haben. Das konnten wir im Rückspiel verhindern. Vielleicht haben wir die Busreise nicht zu Ende gedacht oder nicht ausreichend mit unseren Fans besprochen. Aber man darf nicht Ursache und Wirkung durcheinanderbringen. Wir als Verein haben nie Gewalt angewendet, wir haben nie Pyrotechnik gezündet. Das waren andere. Und darauf mussten wir reagieren.
SPIEGEL ONLINE: Der Leitsatz des Unternehmers Martin Kind lautet, dass es letztlich immer um den zufriedenen Kunden gehe - egal in welcher Branche. Sind die Kunden von Hannover 96 zufrieden?
Kind: Die 49.000 Menschen in der Arena sind zufrieden. Vor allem, wenn wir gewinnen. Die Marke Hannover 96 ist in der Region angekommen.
SPIEGEL ONLINE: Daran haben Sie unbestritten großen Anteil. Mit welchem Gefühl schauen Sie auf Ihr Werk, wenn Sie 2017 das Präsidentenamt abgeben, wie Sie es angekündigt haben?
Kind: Hannover 96 spielte in der Regionalliga, stand kurz vor der Insolvenz. Jetzt sind wir das 13. Jahr in Folge in der Bundesliga. Wir haben Hannover 96 wirtschaftlich erfolgreich entwickelt.
SPIEGEL ONLINE: Warum müssen Fußballvereine Wirtschaftsunternehmen sein?
Kind: Die Entwicklung im deutschen Fußball ist unverkennbar. Bayern München hat strategische Investoren, Borussia Dortmund auch. Wolfsburg und Leverkusen sind Töchter von Volkswagen und Bayer. Hinter dem FC Ingolstadt steht Audi, und RB Leipzig ist im Kommen. Ich kann verstehen, dass die Traditionalisten diese Entwicklung ablehnen. Aber ich habe die Verantwortung für den Verein Hannover 96, der sich im Wettbewerb behaupten muss.

Martin Kind kämpft seit Jahren gegen die 50+1-Regel der Deutschen Fußball-Liga. Sie verhindert, dass Investoren die Mehrheit der Kapitalgesellschaften übernehmen, in die bei Fußballvereinen der Profi-Betrieb ausgelagert ist. Kind erreichte einen Teilerfolg gegen die Regel: Wenn Investoren sich mindestens 20 Jahre bei einem Verein engagiert haben, dürfen sie die Mehrheit übernehmen. Das gilt ab 2018 für die "Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co.KG", in der sich neben Kind weitere regionale Investoren engagieren.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben vor dem DFB-Schiedsgericht erstritten, dass Sie ab 2017 die Profiabteilung von Hannover 96 übernehmen dürfen - entgegen der 50+1-Regel. Wird der Verein künftig von Investoren gesteuert?
Kind: Bei Hannover 96 gibt es Gesellschafter mit einer hohen Verantwortung für die Stadt Hannover und Hannover 96. Die Gesellschafter werden die strategische Entscheidungen treffen, also Investitionsplanung, Haushaltsplanung und Markenentwicklung - nicht die operativen Entscheidungen.
SPIEGEL ONLINE: Theoretisch könnten Sie Anteile weiterverkaufen und Hannover 96 zum Spekulationsobjekt machen. Das ist ein Horrorszenario für viele Fans.
Kind: Die Sorge ist unbegründet bei der 20-Jahre-Klausel und der empfohlenen Haltepflicht von weiteren zehn Jahren. Bei Hannover 96 regelt der Gesellschaftsvertrag diese Frage. Ein Weiterverkauf an Investoren ist nicht möglich.
SPIEGEL ONLINE: Warum brauchen Vereine wie Hannover 96 Ihrer Meinung nach externe Geldgeber?
Kind: Weil sich bei Umsätzen von 70, 80 Millionen keine angemessenen Gewinne erwirtschaften lassen. Damit fehlen die Mittel für Investitionen in die Mannschaft und in Infrastruktur. Die Entwicklung von Hannover 96 wurde über die Gesellschafter finanziert. Ein Einzug in die Champions League liegt für uns außerhalb der Betrachtung.
SPIEGEL ONLINE: Nach der zweimaligen Teilnahme an der Europa League standen zuletzt in der Abschlusstabelle die Plätze neun und zehn. Rutscht Hannover wieder ins Mittelmaß ab?
Kind: Von der wirtschaftlichen Leistungskraft stehen wir in der Bundesliga zwischen den Plätzen zehn und zwölf. Dahin gehören wir dann auch sportlich. In der vergangenen Saison mussten wir froh sein, nicht abzusteigen. Deshalb kann ich im Notfall auch mit Mittelmaß leben - obwohl wir natürlich andere Ziele haben. Zur neuen Saison haben wir einen Umbruch gewagt, wichtige Spieler sind gegangen. Deshalb war klar, dass es schwer wird. Was nicht akzeptabel ist, sind Leistungen wie zuletzt im Pokal.
SPIEGEL ONLINE: ...da sind Sie gegen den Zweitligisten VfR Aalen ausgeschieden. Sind Sie dennoch überzeugt von Trainer Tayfun Korkut?
Kind: Auf jeden Fall. Er ist der Mann der Zukunft.