Salihamidzic kritisiert Transferaussagen von Müller
Die Maulkorb-Debatte
Dass Sportdirektor Salihamidzic Thomas Müllers Aussagen zur Transferpolitik in Corona-Zeiten moniert, sorgt bei den Bayern für Aufregung. Trainer Flick stellt sich vor seinen Spieler.
Thomas Müller: "Es ist ein bisschen paradox, wenn man immer über Neuzugänge spricht und gleichzeitig Gehälter eingespart werden"
Foto:
Kai Pfaffenbach/ dpa
Groß war die Erleichterung, als Leon Goretzka kurz vor Spielende den Ball ins Tor schob. Trainer Hansi Flick ballte die Fäuste, er wusste, das Siegtor zum 2:1 gegen Borussia Mönchengladbach war ein ganz wichtiges auf dem Weg zur Meisterschaft. Ein Unentschieden wäre unangenehm gewesen, der Vorsprung auf Verfolger Dortmund wäre auf fünf Punkte geschmolzen, drei Spieltage vor Schluss. Man weiß ja nie, welch seltsame Eigendynamik der Fußball plötzlich entwickeln kann.
So blieb es bei sieben Punkten, in Bremen am Dienstag haben die Bayern den ersten Matchball zur Meisterschale. Große Diskussionen, wer in dieser Saison den Titel holen wird, gibt es also nicht mehr.
Dafür gibt es eine Diskussion an ganz anderer Stelle: Beim Thema, was und wie viel ein Profi des FC Bayern sagen darf.
"Bisschen verdribbelt"
Die Vorgeschichte begann am Mittwoch. Nach dem Sieg im DFB-Pokal-Halbfinale gegen Eintracht Frankfurt wurde Thomas Müller in einem Fernsehinterview auch auf die mögliche Verpflichtung von Kai Havertz von Bayer Leverkusen angesprochen. Müller lobte Havertz in höchsten Tönen als "ein Toptalent Europas" und sagte: "Er hat so gute Fähigkeiten. Und natürlich wollen wir beim FC Bayern immer die Spieler mit den besten Fähigkeiten haben."
Müller ergänzte, er habe keinen Einblick in den Finanzbereich des Klubs und sagte dann folgenden - und nunmehr auch folgenschweren - Satz: "Es ist ein bisschen paradox, wenn man immer über Neuzugänge spricht und gleichzeitig Gehälter eingespart werden." Eine bemerkenswerte Aussage. Mutmaßt Müller, die jetzigen Profis müssten in der Corona-Zeit auf Geld verzichten, damit sich der Vorstand mögliche Megatransfers wie Havertz oder Leroy Sané leisten kann?
Bemerkenswert war dann aber auch die Reaktion von Hasan Salihamidzic am Mikrofon von Sky kurz vor Beginn des Samstagabendspiels gegen Gladbach. "Der Thomas hat sich natürlich nach dem Pokalspiel, als er nicht so zufrieden mit der Leistung der Mannschaft war, vielleicht mit seiner Aussage ein bisschen verdribbelt", so der deutliche Rüffel des Sportdirektors. "Da haben wir am nächsten Tag direkt drüber gesprochen, ich habe ihm gesagt, dass das nicht korrekt war."
Und dann sagte Salihamidzic über Müller: "Er ist ein sehr, sehr intelligenter Junge, ein sehr, sehr intelligenter Spieler." Was sich wiederum anhörte, als würde der Sportchef über ein hoffnungsvolles Talent aus der A-Jugend sprechen und nicht über einen Führungsspieler, einen Weltmeister, Champions-League-Sieger und bald neunmaligen Deutschen Meister im Alter von 30 Jahren.
Die Klubführung des FC Bayern war in den vergangenen Wochen nicht müde geworden, immer wieder die Vorbildfunktion des mündigen Profis per se hervorzuheben, gerade Karl-Heinz Rummenigge schwärmte von Leon Goretzkas und Joshua Kimmichs Einsatz gegen Rassismus und für ihre Initiative "We Kick Corona", mit der sie bislang bereits mehr als fünf Millionen Euro für soziale Zwecke sammelten. Unbestritten sind Engagements gegen Fremdenhass und für ein solidarisches Miteinander für die Gesellschaft weitaus bedeutendere und grundlegendere Themen als eine mögliche Neuverpflichtung von Bayer Leverkusen und die Finanzplanung des FC Bayern. Vergleiche hinken hier nicht nur, sie verbieten sich ohne Wenn und Aber.
Der Vorfall zeigt jedoch, wo der Klub die Grenze zieht. Zu welchen Fragen sich mündige Profis äußern dürfen und zu welchen nicht. Finanz- oder Transferthemen gehören offenbar nicht dazu, auch oder gerade in unsicheren Corona-Zeiten. Zumindest nach Ansicht des Sportdirektors.
Flick reagiert unaufgeregt
Nach Abpfiff kamen dann auch noch andere Beteiligte zu Wort. Kapitän Manuel Neuer blieb wie oft in seinen Aussagen sehr vage und vermied es trotz - oder vielleicht gerade wegen - seiner Rolle als Mittelsmann zwischen Mannschaft und Klub, klar Stellung zu beziehen. "Da gibt es zwei Perspektiven", sagte Neuer diplomatisch und eher ausweichend.
Dann aber äußerte sich Hansi Flick. "Es ist absolut in Ordnung, dass sich die Spieler dahingehend unterhalten", sagte der Trainer bei Sky, "aber es wird Transfers geben, das ist ganz normal, auch wenn wir auf Gehalt verzichten. Wir werden Abgänge haben, und wir werden auch Zugänge haben."
Noch eindeutiger wurde er anschließend in der Pressekonferenz, als er hinzufügte: "Das ist Thomas' Aussage. Und ich werde keinem Spieler etwas verbieten, zu sagen." Das klang dann schon eher souverän, unaufgeregt. Sich deutlich vor seine Spieler zu stellen und ihnen eben keinen Maulkorb umzuhängen, gleichzeitig aber auch nicht den Sportdirektor zu brüskieren, dazu eine aufkeimende und sicher noch nicht beendete Debatte vorerst nicht weiter aus dem Ruder laufen zu lassen, auch das verriet wieder einiges darüber, warum Flick gerade so geschätzt ist beim FC Bayern, als Ruhepol im Klub und als Vertrauensperson für seine Spieler.
Und Thomas Mülller? Der fehlte am Samstag gelbgesperrt, am Dienstag in Bremen steht er, wie Flick bereits erklärte, wieder in der Startelf. Womöglich geht es bei den Interviews nach Abpfiff vor allem um Fragen zum Gewinn der Deutschen Meisterschaft. Dann wohl mit wenig verbalem Verdribblungspotenzial.