Krise bei Hertha BSC Dem Abgrund entgegen

Trainer Tayfun Korkut muss bei Hertha BSC gehen, aber der eigentliche Verlierer im Klub ist Geschäftsführer Fredi Bobic. Mit ihm waren große Hoffnungen verbunden, jetzt drohen ihm und dem Verein der Totalabsturz.
Hertha-Geschäftsführer Fredi Bobic

Hertha-Geschäftsführer Fredi Bobic

Foto: IMAGO/Sebastian Räppold / Matthias Koch / IMAGO/Matthias Koch

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Es ist nicht so, als hätte Fredi Bobic in diesen Tagen nichts zu jubeln. Als am Freitag beim DFB-Bundestag in Bonn das Abwahlergebnis des ungeliebten Rainer Koch bekannt gegeben wurde, machte Bobic als Delegierter der Profiklubs eine kurze Jubelgeste, in der Kaffeepause plauderte er locker mit Stuttgarts Vereinsboss Claus Vogt.

Ein entspannter Fredi Bobic, das hatte wohl damit zu tun, dass er sich an diesem Tag weit weg von Berlin nicht vorrangig mit Hertha BSC zu beschäftigen hatte. Aber nach dem Freitag kam unweigerlich das Wochenende, die nächste Niederlage in der Liga. Das Abrutschen auf den Abstiegsplatz 17 war eine Pleite zu viel für Hertha-Trainer Tayfun Korkut. Bobic verkündete am Sonntag die Trennung von dem Coach, sie hat nach fünf Niederlagen in Folge niemanden mehr überrascht.

Korkut ist als Trainer in Berlin gescheitert, die Trennung von ihm ist aber auch eine persönliche Niederlage für den starken Mann, Bobic. Sein in Frankfurt erworbener Ruf als jemand, der aus einem unterklassigen Bundesligateam eine echte Marke machen kann, ist massiv beschädigt.

Weiterentwicklung nur nach unten

Im November hatte Bobic die Trennung von Trainer Pál Dárdai betrieben mit der Begründung, es sei in der Mannschaft »keine Weiterentwicklung« festzustellen gewesen. Eine Weiterentwicklung hat es danach unter dem von Bobic verpflichteten Korkut durchaus gegeben, aber die ging in der Rückrunde nur noch nach unten.

Im Pokal schied man im Januar im Olympiastadion ausgerechnet gegen den Stadtrivalen 1. FC Union aus, in der Bundesliga ging es stetig bergab, Hertha hat in der Rückrunde noch kein einziges Spiel gewonnen. Nach dem 0:2 in Mönchengladbach am Samstag ist der VfB Stuttgart, der vor wenigen Wochen abgeschlagen zurückzuliegen schien, in der Tabelle an den Berlinern vorbeigezogen.

Der glücklose Tayfun Korkut

Der glücklose Tayfun Korkut

Foto: Soeren Stache / dpa

Und wieder ein »ausgerechnet«: Dass Hertha mit der alten Stuttgart-Connection Bobic und Korkut dazu beigetragen hat, dass der VfB als jetzt 16. wieder von Klassenerhalt träumen darf.

Tiefe Gräben im Verein

Man »müsste hier jetzt lange reden, dazu reicht die Zeit nicht aus«, um festzustellen, was sportlich bei Hertha nicht laufe, hatte Bobic am Samstagabend vor dem Gladbach-Spiel im Sky-Interview gesagt. Und dabei wäre das Nicht-Sportliche noch gar nicht angesprochen. Hertha hat eine – vorsichtig formuliert – turbulente Woche hinter sich, in der jedem offenbar wurde, welche Gräben in dem Verein sich aufgetan haben.

Zunächst trat Sportdirektor Arne Friedrich Knall auf Fall zurück, weil er seine Arbeit nicht entsprechend wertgeschätzt fühlte, dann ließ Investor Lars Windhorst über seinen Sprecher Andreas Fritzenkötter Dampf ab. Bei der Mitgliederversammlung im Mai »wird etwas passieren müssen«, gab er eine unverhohlene Drohung in Richtung des Vereinspräsidenten Werner Gegenbauer ab. Eine für den Streamingriesen Amazon geplante Doku über Hertha ließ Lars Windhorst kurzerhand einstampfen, weil sich in dem Film Hertha-Vorständler abschätzig über den Investor geäußert haben sollen.

Eine Million Euro für die Dokumentation, die unter anderem von Hertha-Legende Axel Kruse betreut worden war, sind damit in den Sand gesetzt. Dem Publikum werden damit Szenen vorenthalten wie die von Hertha-Exprofi Mattéo Guendouzi, der bei einer Teambuilding-Maßnahme als Rotkäppchen im Stringtanga auftrat, wenn man der Berliner Boulevardpresse Glauben schenken darf, die Einblicke in die Doku hatte nehmen können, bevor sie im Giftschrank verschwand.

Als Heilsbringer gekommen

Alles in allem rundet sich das Bild eines Vereins ab, der unablässig auf allen Ebenen dem Abgrund entgegentaumelt. Schalke hat in der Vorsaison ein ähnlich chaotisches Bild abgegeben; wie das endete, weiß jeder. Die »Bild«-Zeitung nannte Hertha in diesen Tagen in einem Kommentar den »kaputtesten Klub der Bundesliga«.

Dabei war Bobic vor einem Jahr als eine Art Heilsbringer nach Berlin gelotst worden, er war der absolute Wunschkandidat der Hertha, und Bobic selbst konnte an den Ort zurückkehren, der seit Langem sein Lebensmittelpunkt ist. Da schienen sich zwei gesucht und gefunden zu haben, doch ein Dreivierteljahr später steht Bobic vor einem Scherbenhaufen.

Er hat im Verein viel verändert, er hat eine ganze Anzahl von Getreuen in den Klub geholt. Bobic hat das Sagen, aber es ist noch nichts Vielsagendes, erst recht nichts Vielversprechendes bislang dabei herausgekommen. Der 50-Jährige hat zuletzt eindringlich darauf hingewiesen, dass so ein Komplettumbau eines Klubs Zeit erfordere. Es kann aber auch sein, dass so ein Umbau den Verein überfordert. Den Eindruck hat man derzeit.

Kovač als Nachfolger?

Wer Korkuts Nachfolger wird, ist noch unklar, man werde darüber »informieren, sobald diese Personalie abschließend geklärt ist«. Der Wunschbewerber Roger Schmidt hat schon abgewunken, mit dieser Nachricht hatte die Hertha-Chaoswoche am Montag bereits begonnen. Der Name Niko Kovač geistert seit Monaten durch Berlin, aber auch die Trainer Daniel Farke und David Wagner sind Teil der Spekulationsblase.

Das Kalkül der Hertha, jetzt noch einmal den Trainer zu wechseln, ist dabei klar: Es folgen nun zunächst zwei Partien gegen Hoffenheim und Leverkusen, die man im Normalfall verliert, da kann man nur positiv überraschen.

Dann aber muss der neue Coach bereits so viele Impulse gesetzt haben, dass es in den Spielen danach Wirkung zeigt: dann geht es zunächst zum Derby gegen Union, danach stehen nacheinander die direkten Konkurrenten um den Klassenerhalt im Terminplan: Augsburg, Stuttgart, Bielefeld.

Als Windhorst anfing, in das Projekt Berlin Geld hineinzustecken, war sogar von der Champions League die Rede. Jetzt kann man froh sein, wenn es irgendwie gelingt, den Abstieg zu vermeiden. Berlin ist viele Debakel gewohnt, dies ist das nächste.

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