Union gewinnt Berliner Pokalderby Die Hierarchie in der Hauptstadt

Union jubelt, Hertha ist frustriert. Man gewöhnt sich an das Bild
Foto:CLEMENS BILAN / EPA
Dieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Vor dem Spiel hatte Hertha BSC noch einen Punktsieg gegen den Stadtrivalen zu vermelden. Stolz verkündete der Social-Media-Account des Klubs, dass im Olympiastadion auch vegane Wurst zum Verzehr angeboten werde. Über dieses Nahrungsmittel hatte Union-Präsident Dirk Zingler sich letztens noch abwertend geäußert und damit den erwartbaren Shitstorm im Netz ausgelöst.
Damit hatten sich die Vorteile der Hertha an diesem Abend allerdings auch erschöpft. Als es dann wirklich um die Wurst ging, war der 1. FC Union mit dem 3:2 (1:0)-Auswärtserfolg in allen Belangen überlegen.
Geahnt hat man es schon vorher, aber spätestens seit diesem Abend ist klar, dass sich die Verhältnisse in der Hauptstadt nachhaltig verändert haben. Union Berlin ist die Nummer eins in der Stadt. Und es kann in absehbarer Zeit auch so bleiben.
Neun Punkte Vorsprung in der Liga
Im Vorjahr, als Union erstmals in der Bundesliga am Ende vor Hertha lag, haben fast alle noch von einer Momentaufnahme geredet, bei Hertha sowieso, aber auch bei Union. Der Moment ist dabei, Dauer anzunehmen. Und dafür sind beide Seiten verantwortlich.
In der Bundesliga haben die Köpenicker derzeit neun Punkte und acht Plätze Luft zwischen sich und der Hertha gelegt, die Hinrundenpartie in der Alten Försterei war eine klare Angelegenheit. Der Mittwochabend machte jetzt jedem deutlich, nicht nur den 3000 Zuschauern im ebenso weiten wie leeren Rund, wie angemessen dies die sportliche Lage beider Klubs widerspiegelt.
Auf der einen Seite ein Union-Team, bei dem die Dinge ineinandergreifen, bei dem jederzeit ein System erkennbar scheint, mit genauem Gespür für die Schwächen der Gastgeber. »Wir haben sehr gut hinter die Kette der Hertha gespielt, wir wussten, wie hoch sie stehen«, bilanzierte Max Kruse, gewohnt zuverlässiger Vorlagengeber, nach der Partie.
Immer wieder überliefen die Unioner die Hertha auf den Flügeln, erwischten die Elf von Tayfun Korkut auf ihren offenen Flanken. Zielstrebig, mit dem klaren Gedanken, aufs Tor zu gehen, das ist immer eine Maxime von Union unter Urs Fischer gewesen. Bei Union gibt es keine Kringel, kein Herumgespiele, in Köpenick wird das Zielspiel Fußball gepflegt.
Bobic kämpft gegen die Erwartungen
Auf der anderen Seite präsentierte sich eine Hertha, die all diese Qualitäten vermissen lässt. So viel ist bei ihr auf Zufall ausgerichtet, es gibt keine Struktur, und wenn man weiß, wie viel rund um den Kader in den vergangenen Jahren umgekrempelt wurde, ist das vielleicht auch gar kein Wunder.
Auf Fredi Bobic, den Wunschkandidaten des Klubs als Manager, hat man alle Hoffnungen gesetzt. Der Sport-Geschäftsführer selbst hat von Anfang an versucht, diese Erwartungen herunterzudimmen, und mittlerweile ist man geneigt, ihm beizupflichten, wie recht er damit tat.
Die Windhorst-Millionen, die den schnellen Erfolg versprachen, sind mittlerweile eher eine Last geworden. Bobic hat noch in den Tagen vor dem Derby geradezu gepredigt, wie eng die finanziellen Spielräume der Hertha dennoch seien. »Du kommst nach Berlin, da hat vorher vieles nicht funktioniert«, beschrieb er am Mittwoch die Situation, um dann anzufügen: »Wahrscheinlich braucht es Zeit.«
Es bewegt sich viel, aber nicht vorwärts
Viel hat sich tatsächlich nicht verbessert, mit Pál Dárdai ist der Trainer, der die Saison begonnen hat, nicht mehr an Bord. Auch der als der starke Mann angesehene ehemalige Sky-Manager Carsten Schmidt hat die Geschäftsführung nach einem Jahr wieder verlassen.
Sportdirektor Arne Friedrich hat sich mehr und mehr aus der ersten Reihe zurückgezogen. Im Winter wurde der Rekordtransfer aus der Klinsmann-Zeit, Krzysztof Piątek, an die AC Florenz abgegeben. Es ist viel Bewegung in Berlin, aber es ist keine Vorwärtsbewegung.
Der neue Trainer Korkut ist in Berlin bereits mit großer Skepsis empfangen worden. Er ist über Jahre aus dem Geschäft gewesen, auch davor hat er keine wirklichen Erfolge vorzuweisen gehabt. Bisher hat er es nicht geschafft, dem Team eine auf dem Platz sichtbare Struktur zu verleihen.
Sieg über BVB als Strohfeuer
Vor Weihnachten glaubten sie im Westend schon mal an eine Trendwende, als eine starke Hertha-Elf Borussia Dortmund besiegte. Bisher war das ein Strohfeuer, Hertha wandelt nach wie vor am Rand des Abstiegs, vier Pünktchen vor Platz 17.
Am Mittwoch war eine fußballerisch brave, biedere Truppe zu besichtigen, der Glanz, den Windhorst und sein verlängerter Arm Jürgen Klinsmann mit Spielern wie Matheus Cunha, der Arsenal-Leihgabe Matteo Guendouzi und Piatek dem Team verleihen sollten, ist längst wirkungslos verpufft, alle drei sind nicht mehr da, und auch Kevin-Prince Boateng kann mit seinen 35 Jahren mittlerweile eher von außen wirken, als dem Team auf dem Platz zu helfen.
All das hat den Machtwechsel in der Hauptstadt befördert, die kluge Aufbauarbeit in Köpenick soll damit allerdings nicht klein gedacht werden. Fischer und Manager Oliver Ruhnert haben einen Kader gestandener Bundesligaprofis um sich geschart.
Wer sich vorher noch gewundert haben mag, was Union bewogen hat, einen 30-jährigen und nicht besonders wendigen Stürmer von Arminia Bielefeld nach Berlin zu locken, der wird nach dem 1:0 von Andreas Voglsammer sehr still sein. Akrobatischer hat man im Olympiastadion lange niemanden mehr ein Tor erzielen sehen.
Als sich die Unioner nach dem Abpfiff vor den 200 Fans feiern ließen, die die Coronabestimmungen für Berlin noch als zulässig erachteten, sang Frank Zander über die Stadionregie noch einmal seine Vereinshymne »Nur nach Hause gehen wir nicht«, und es klang angemessen melancholisch. So wahr: Auch in diesem Jahr wird die Hertha das Pokalfinale nicht in ihrem Zuhause feiern.