HSV-Krise Der fliehende Holländer
Poker ist ein Spiel, bei dem man viel riskiert und sich schwer verzocken kann. Sicher ist nur, wer am besten zu bluffen weiß, hat die größten Gewinnchancen. Genau nach diesen Spielregeln verläuft derzeit beim ambitionierten Fußballbundesligisten Hamburger Sport-Verein (HSV) das Gezerre um die Zukunft von Rafael van der Vaart. Geht er nun nach Valencia oder geht er nicht?
"Ich liebe es, für den HSV zu spielen". Das war gestern. "Ich will weg", sagt der niederländische Nationalspieler heute, unbedingt und jetzt. Van der Vaart bleibt, sagen die Verantwortlichen des HSV und geben sich ganz cool: "Rafael wird sich damit abfinden". So cool, dass der Vorstandsvorsitzende Bernd Hoffmann, Krise hin oder her, buchstäblich auf Mallorca abgetaucht ist und seine Kollegen das bitterböse Spiel ausreizen lassen.
Die tun das nach außen hin mit erstaunlicher Gelassenheit. "Das halten wir durch", sagt Aufsichtsratsvorsitzender Horst Becker nach dem Uefa-Cup-Spiel in Budapest, als seien es nur die Temperaturen über 30 Grad, die ihm noch nachts den Schweiß auf die Stirn treiben: "Noch 16 unruhige Tage". Dann ist es geschafft. "Wir sind ganz ruhig und gelassen", sagt auch Vorstandsfrau Katja Kraus. Wenngleich das nicht für alle gilt. "Mir ist das inzwischen scheißegal", sagt ein anderer aus der Führungsetage, der, natürlich, nicht genannt werden will.
Und HSV-Kapitän van der Vaart lässt Taten statt Worte sprechen. Der saß beim Uefa-Cup-Hinspiel gegen Honved Budapest nur auf der Tribüne, putzmunter aber schwer verletzt. "Verhoben", lautete die Diagnose, beim Spielen mit seinem einjährigen Sohn. "Wenn die Ärzte das sagen", sagt Aufsichtsratsboss Becker und lässt das Satzende in der Luft hängen, der deutsche Fußball ist um eine Kuriosität reicher.
Die PR-Maschine läuft
Natürlich spielt Geld für van der Vaarts Wechsel-Motive keine Rolle, wie auch, wo es doch um Millionen für Spieler und Verein geht. "Rafa" ist Familienmensch, wie das Missgeschick mit Sohn Damian nur zu deutlich beweist. Er will Oma und Opa einen Gefallen tun, die da unten leben, und wer weiß schließlich, wie lange noch. Und nun hat auch Frau Sylvie noch "Angst um mein Kind". Die PR-Maschine läuft.
Van der Vaart, der "kleine Engel" mit der Rückennummer 23, ist Herz und Seele des HSV-Spiels. Wer je daran gezweifelt hat, sah sich durch Hamburgs Angsthasen-Fußball in Budapest bestätigt. Ideenlos, Leidenschaftslos, ohne Selbstvertrauen, Angst fressen Seele auf. Und es zeigte noch eins: Das Spiel der Mannschaftskameraden war eine Abstimmung mit den Füßen. Sie ärgern sich, aber die Mannschaft will ihn, die Mannschaft braucht ihn.
Äußerlich gelassen, intern brodelt es. Vor allem sein Trainer und heimlicher Ziehvater Huub Stevens ist total verärgert. Dass der "einen Hals" hat, wie ein Aufsichtsratsmitglied sagt, kann jeder sehen in den Katakomben des Budapester Stadion. Zornige Blicke, giftige Kommentare, wild gestikulierende Körpersprache. "Rafael spielt auch Sonntag gegen Bayer Leverkusen nicht", beschreibt der Aufsichtsratsmann die Gemütslage des Trainers.
Rost geht auf Zidan los
"Der Verein hat klar gesagt, was läuft", sagt Vize-Kapitän Frank Rost und verlangt, "dass wir uns jetzt als Team präsentieren. Wenn der eine oder andere drei Wochen schmollt, ist das seine Sache". HSV-Star van der Vaart hat es sich buchstäblich verhoben, auch im Verhältnis zu seinen Kollegen. Und wenn Engel fallen, fallen sie tief.
Dabei ist der Poker um die Zukunft des Holländers längst nicht mehr die einzige Baustelle des Clubs. Nachdem Nationalmannschaftskollege und Zimmergenosse Joris Mathijsen trotz der Geburt seines Kindes am Mittwoch gleich ganz in Hamburg blieb, unkten selbst HSV-Repräsentanten über einen drohenden gemeinsamen Wechsel der fliegenden Holländer. Schließlich war da doch mal was. Hatte nicht Valencia vor längerer Zeit schon Interesse an dem niederländischen Abwehrass gezeigt? "Da ist nichts dran", sagt Aufsichtsratsboss Becker, "ganz sicher". Und ganz gelassen. Noch.
Und die Spieler? Lockerheit und mentale Stärke sieht anders aus als das, was die Mannschaft in Budapest präsentierte. Die hatte nur Rost, vor allem nach dem Spiel. "Lauf nicht immer bei der Presse rum, lauf lieber auf dem Platz", polterte der Torwart im Kabinentrakt, als er nach dem Auslaufen den enttäuschenden Stareinkauf Mohammed Zidan im Gespräch mit Journalisten sah. Und als der sich schüchtern zur Wehr setzte, schnauzte Rost noch heftiger: "In Bremen hast Dus nicht geschafft, in Mainz bist Du abgestiegen und hier läufst Du nicht, aber erzählst allen, wie es geht". Rumms, das hatte gesessen, Teamgeist sieht anders aus. Wie ein begossener Pudel hockte Zidan danach abseits der anderen und wartete auf die Abfahrt des Busses.
"Vom Erzählen ist noch niemand Meister geworden", sagt Rost, "Respekt holt man sich durch Tore auf dem Platz. Dann tragen wir ihn auch auf Händen". Aber nur dann, und das weiß jetzt auch Zidan.