
Fußball-Bundesliga: HSV schießt sich aus der Krise
Slomka und der HSV-Sieg gegen Dortmund "Niemals zweite Liga"
Der Stadionsprecher in der Hamburger Arena verkündete gerade die Nachspielzeit. Drei Minuten sollte die Partie gegen Borussia Dortmund zusätzlich dauern. Er wurde allerdings unterbrochen von dem Jubel der Fans. Sie feierten einen Treffer, der ein dringender Anwärter auf den Titel "Tor des Jahres" sein dürfte. Aus fast 40 Metern hatte Hakan Calhanoglu den Ball auf die Reise geschickt; das Spielgerät flog und flog, drehte leicht nach links und landete unhaltbar für Dortmunds Torhüter Roman Weidenfeller im Netz.
Das Tor zum 3:0-Endstand war der letzte Höhepunkt in einer aus Hamburger Sicht an Höhepunkten reichen Partie, die sowohl fußballerisch als auch emotional ein Erweckungserlebnis war für den zuletzt von der heftigsten Krise der Vereinsgeschichte geplagten HSV.
Nach dem Spiel schritten die Spieler vor die Fankurve. In den vergangenen Wochen hatten sie bei diesem Ritual regelmäßig Pfiffe und andere Unmutsbekundungen geerntet; nach der Niederlage gegen Hertha BSC vor zwei Wochen wurden einige Hamburger Profis sogar auf dem Parkplatz vor dem Stadion angegangen. Das alles schien vergessen zu sein in diesem Augenblick. Der Hamburger SV erlebte bei seinem ersten Bundesliga-Sieg seit November einen Festtag. "Niemals zweite Liga", sangen die Fans. Durch den Triumph gegen den BVB sind die Hamburger in der Tabelle um einen Platz geklettert, vom vorletzten auf den Relegationsrang. Die Hoffnung ist zurück beim HSV.
Der Mann, der dafür die Verantwortung trägt, nahm eine Dreiviertelstunde nach Schlusspfiff sichtlich gelöst auf der Bühne im Presseraum des Stadions Platz. Ein Ergebnis "harter und intensiver Arbeit" sei dieser Erfolg, sagte Mirko Slomka, der erst zu Wochenbeginn das Traineramt für den zuvor freigestellten Bert van Marwijk übernommen hatte.
Sechs Wechsel in der Startformation
Slomka warnte allerdings davor, das 3:0 gegen den BVB als Rettung im Abstiegskampf zu deuten: "Das war heute das erste von 13 Spielen", sagte er. Doch mit einem Sieg gegen Dortmund lässt es sich den verbleibenden zwölf Partien natürlich deutlich hoffnungsvoller entgegensehen. Zumal die Hamburger es in den kommenden Wochen mit direkten Konkurrenten im Abstiegskampf zu tun haben. Am kommenden Wochenende treten sie bei Werder Bremen an, danach geht es gegen Frankfurt, Nürnberg, Stuttgart und Freiburg.
Wenn man die Gründe erkunden möchte, warum der neue Trainer gleich im ersten Spiel einen bahnbrechenden Effekt auf das Auftreten seines Teams hatte, dann muss man bei der Aufstellung beginnen. Slomka hatte sechs Wechsel in der Startformation vorgenommen im Vergleich zum desaströsen 2:4 bei Eintracht Braunschweig am Wochenende zuvor.
Vor allem einige Kämpfertypen nahm er in die Mannschaft: Milan Badelj, Petr Jiracek - Torschütze des 1:0 in der 42. Minute - und den robusten Innenverteidiger Slobodan Rajkovic, der sein erstes Spiel in dieser Saison machte und bei jedem Ballgewinn mit Applaus bedacht wurde.
Über den Kampf ins Spiel finden - das war Slomkas Plan, und er ging in vollem Umfang auf. "Heute hat man eine Mannschaft gesehen, die zusammen gespielt, zusammen gearbeitet und zusammen gefightet hat - in der Defensive und in der Offensive", sagte Verteidiger Johan Djourou, ebenfalls neu im Team. Der BVB dagegen machte drei Tage vor dem Achtelfinal-Hinspiel bei Zenit St. Petersburg am Dienstag (18 Uhr, Liveticker SPIEGEL ONLINE) einen seltsam uninspirierten Eindruck.
"Befinden uns in einer extremen Drucksituation"
Hamburgs Torhüter René Adler machte auch das Auftreten des neuen Trainers für die Leistungssteigerung seiner Mannschaft verantwortlich. "Er hat einfach Ruhe ausgestrahlt", sagte er über Slomka, und Ruhe war in den vergangenen Wochen nun wirklich keine hervorstechende Eigenschaft beim HSV. Adler berichtete dann noch aus seinem Seelenleben und darüber, wie er als erfahrener Profi schwer zu arbeiten hatte an den vergangenen Wochen, in denen auch er - vor allem gegen Braunschweig - keine guten Leistungen gezeigt hatte: "Wir befinden uns in einer extremen Drucksituation, die auch viele Spieler von uns noch nicht erlebt haben. Das geht nicht spurlos an einem vorbei."
Das Spiel gegen Dortmund war dann von vorne bis hinten emotional für die Hamburger. Die Fans zeigten vor Spielbeginn eine gewaltige Choreografie zu Ehren des unter der Woche gestorbenen ehemaligen Masseurs Hermann Rieger. Und als der Sieg feststand, riefen sie erneut seinen Namen - um gleich danach wieder die heimliche Hymne des Tages anzustimmen: "Niemals zweite Liga".
Hamburger SV - Borussia Dortmund 3:0 (1:0)
1:0 Jiracek (42.)
2:0 Lasogga (58.)
3:0 Calhanoglu (90.+1)
Hamburg: Adler - Westermann, Djourou, Rajkovic, Jansen - Badelj, Arslan - Rincon, Calhanoglu, Jiracek - Lasogga (86. Zoua)
Dortmund: Weidenfeller - Piszczek, Manuel Friedrich, Sokratis, Schmelzer - Sven Bender (46. Reus), Sahin - Aubameyang, Mchitarjan, Großkreutz (75. Hofmann) - Lewandowski (67. Ducksch)
Schiedsrichter: Dr. Felix Brych (München)
Zuschauer: 57.000 (ausverkauft)
Gelbe Karten: Rincon (3), Zoua (3) - Aubameyang, Reus (5)
Torschüsse: 13:15
Ecken: 3:6
Ballbesitz: 41:59 Prozent
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