Videobeweis in der Premier League Nur, wenn es nicht anders geht

Solche Szenen sollen in der Premier League eher Seltenheitswert haben. Mal abwarten.
Foto: Adam Davy DPAZwei Jahre nach der Einführung des Videoschiedsrichters (VAR) in der Bundesliga greift die Premier League zur neuen Saison bei der Entscheidungsfindung ebenfalls auf bewegte Bilder zurück. Die lange Anlaufzeit hatte pragmatische sowie fußballideologische Gründe. Auf der Insel wollte man in Ruhe aus den Fehlern der Konkurrenz lernen - und sicher gehen, dass die technologische Beihilfe für die Offiziellen nicht den Markenkern beschädigt.
Die Premier League definiert sich über den hohen Spielfluss und ihr telegenes Spektakel, lange Unterbrechungen sollen unter allen Umständen vermieden werden. In enger Abstimmung mit den Klubs und der Schiedsrichtervereinigung hat sich die Liga in den Worten von VAR-Leiter Neil Swarbrick deshalb eine "hohe Toleranzschwelle" auferlegt. Die Unparteiischen auf dem Rasen sollen nur, wie einst ursprünglich von der Fifa vorgesehen, bei "klaren und offensichtlichen Fehlern" von der Video-Zentrale in Stockley Park, einem Bürokomplex in der Nähe des Londoner Flughafens Heathrow, korrigiert werden.
Der Gang des Schiedsrichters zum Monitor ist ausschließlich in absoluten Ausnahmefällen erwünscht. "Unsere Philosophie ist 'minimale Intervention, maximaler Nutzen', erklärt Ex-Nationalspieler Alan Shearer in einem Informationsfilm den englischen Ansatz, im Zweifel den ursprünglichen Pfiff zu respektieren - "damit die Geschwindigkeit und die Leidenschaft, die wir alle lieben, erhalten bleibt."
Nur alle fünf Spiele ein Irrtum
Testläufe in den Pokalwettbewerben in der vergangenen Spielzeit ergaben, dass der VAR den Schiedsrichter im Schnitt nur alle fünf Spiele auf einen Irrtum hinweist. Bei der von vielen Fernsehzuschauern als chaotisch empfundenen WM in Frankreich in diesem Jahr griffen die Schiedsrichter an den Bildschirmen dagegen in jeder zweiten Partie ein.
Im Vorfeld des Saisonauftakts lud die Liga mehr als 500 Medienpartner, Trainer, Spieler und Fan-Vertreter in den Stockley Park ein, um ihnen die spezielle Herangehensweise eingehend zu erklären. Dem allgemein positiven Echo nach zerstreuten Selbstversuche an den Monitoren bei so manchem Kritiker fundamentale Bedenken. "Ich war ein Spötter, aber bin jetzt bereit, dem Videoschiedsrichter eine Chance zu geben", schrieb beispielsweise Alyson Rudd in der "Times" nach dem Besuch eines Workshops.
Ähnliche Akzeptanz erhofft man sich auch von den Zuschauern vor Ort. Das Publikum soll anders als zuletzt in Deutschland nicht im Dunkeln bleiben, wenn sich der VAR-Room einmischt: Korrigierte Entscheidungen werden auf den Stadien-Bildschirmen (soweit vorhanden) wiederholt und mit einer Ansage kommuniziert. Letzteres gilt auch für Überprüfungen, die nicht in einer Korrektur münden.
Angst vor Handelfmeter-Flut
Besondere Sorge haben die englischen Regel- und Entertainmentwächter vor einer Flut von Handelfmetern. In der Tradition des Linksverkehrs und der Waschbecken ohne Mischbatterien genehmigen sich die Briten auch in diesem Punkt eine Sonderrolle. "Unnatürliche" Armhaltungen sowie die ominöse "Vergrößerung der Körperfläche" werden in der Premier League nur belangt, wenn der Verteidiger versucht, einen Schuss zu blockieren, so Swarbrick. "Wir wollen nicht, dass Verteidiger mit den Händen hinter dem Rücken verteidigen müssen oder es zur Gewohnheit wird, dass Angreifer dem Gegner den Ball an die Hand schießen, um einen Elfmeter zu bekommen."
Es wird interessant, ob man auf der Insel auf Dauer an den kulanteren Auslegungen festhalten kann, oder ob sich letztlich die strengere Interpretation auf dem Festland durchsetzt, wie es in den vergangenen zehn Jahren zumindest ansatzweise bei der Bewertung von grobem Foulspiel passiert ist. Der Entschluss der Liga, die eigene Linie von vornherein so transparent wie möglich zu erklären, hat auf jedem Fall geholfen, die Angst vor dem VAR ein wenig zu lindern.