Interview mit Andy Möller "Ich fühlte mich wie ein Popstar"
SPIEGEL ONLINE:
Herr Möller, wie geht es Ihnen?
Andy Möller: Ich bin derzeit leider in der Warteschleife, nachdem ich mich unglücklich an der Wadenmuskulatur verletzt habe. Ich muss Geduld haben.
SPIEGEL ONLINE: Ist das nur Pech? Oder hängt die Verletzung mit dem körperlichen Verschleiß einer langen Profikarriere zusammen?
Möller: Ich bin in der Winterpause einfach nicht aus den Startlöchern gekommen. Im Januar hatte ich eine Virusinfektion und habe dann wohl zu früh wieder mit dem Training angefangen. Eins kam zum anderen. Das ist alles sehr unglücklich gelaufen.
SPIEGEL ONLINE: Bereits in der Hinrunde haben Sie sich endgültig entschieden, dass dies Ihre letzte Bundesligasaison ist. Warum?
Möller: Ich hatte ja schon vor anderthalb Jahren Andeutungen gemacht, dass ich aufhören möchte. Doch damals kam Rudi Assauer gleich zu mir und hat gesagt, dass er es sehr gerne hätte, wenn ich noch ein Jahr Fußball spiele. Das hat mir imponiert. Es zeigte, dass das Vertrauen in mich sehr groß ist. Daraufhin habe ich um ein Jahr verlängert.
SPIEGEL ONLINE: Auch in dieser Spielzeit ist Schalkes Manager wieder auf Sie zugegangen. Weshalb ist diesmal wirklich Schluss?
Möller: Ich spüre, dass es an der Zeit ist, der Bundesliga Adieu zu sagen. Nach so einer langen Karriere, in der ich immer ehrgeizig war und Ziele verfolgt habe, spürt man das körperlich und mental. Für mich lag die Messlatte immer höher als für alle anderen. Ich bin ja ein Spielertyp, der sich nie hinter irgendetwas verstecken kann, der immer im Blickpunkt ist. Obwohl ich immer älter werde, wird erwartet, dass mein spielerisches Niveau gleich hoch bleibt. Das passt nicht. Deshalb möchte ich mich zurückziehen. Einen Standby-Profi abzugeben, liegt mir nicht. Der Verein hat das akzeptiert.
SPIEGEL ONLINE: Der neue Trainer Frank Neubarth hat sowieso nicht mehr mit Ihnen geplant, ist zu hören. Stimmt das?
Möller: Das weiß ich nicht. Meine Entscheidung habe ich aber unabhängig vom Trainer oder Manager getroffen. Das ist meine persönliche Sache.
SPIEGEL ONLINE: Was ist auf Schalke derzeit los? Die Mannschaft steht immerhin auf Platz vier, dennoch werden teaminterne Streitigkeiten in die Medien getragen.
Möller: Das darf so nicht passieren. Doch ich will das gar nicht weiter kommentieren, da ist schon viel zu viel an die Öffentlichkeit gelangt. Das Ausscheiden aus dem Uefa-Cup war für uns ein sehr großer Schock. In der Bundesliga sind wir aber auf sehr gutem Kurs.
SPIEGEL ONLINE: Bedauern Sie mittlerweile, dass Sie sich nicht mit dem DFB-Pokalsieg in der vergangenen Saison verabschiedet haben?
Möller: (lacht) Da hatte ich für diese Spielzeit schon meine Zusage gegeben. So ein Erfolg ist ja nicht planbar. Für mich wäre es jetzt ein schöner Abschied, wenn wir uns in diesem Jahr für einen internationalen Wettbewerb qualifizieren würden.
SPIEGEL ONLINE: Welche Gefühle verspüren Sie in dieser, Ihrer letzten Saison?
Möller: Einerseits Wehmut, weil viele Leute mich überreden wollen, doch noch weiterzumachen. Andererseits Vorfreude auf das Unbekannte, auf die Zeit nach der Bundesliga. Ich habe mir ja noch ein Türchen offen gelassen, als aktiver Fußballer irgendwo im Ausland zu spielen, vielleicht etwas Abenteuerliches zu machen. Aber es ist noch zu früh, darüber konkret etwas zu sagen.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben in der Rückrunde nur eine einzige Halbzeit gespielt. Kann es sein, dass der Welt- und Europameister Möller ganz leise die Bundesliga verlässt?
Möller: Ich hätte nichts dagegen. Ich bin mir selbst noch nicht im Klaren, wie das vonstatten gehen soll. Im letzten Saisonspiel in der Schalke-Arena treffen wir auf Bayern München. Das ist ja schon ein toller Rahmen. Aber von mir aus kann mein Abschied ruhiger verlaufen als mein Wechsel von Dortmund nach Schalke. (lacht)
SPIEGEL ONLINE: Planen Sie kein Abschiedsspiel?
Möller: Doch, die Gedanken sind da. Wenn ich so etwas machen sollte, wird es einzig und allein ein Dankeschön an das Ruhrgebiet sein. Alle Einnahmen sollen an gemeinnützige Einrichtungen dorthin gehen. Ich möchte etwas zurückgeben, weil die Leute mir sehr ans Herz gewachsen sind. Das wäre mein Wunsch. Fußballerisch hatte ich im Ruhrgebiet meine schönste und erfolgreichste Zeit.
SPIEGEL ONLINE: Wo war es am Allerschönsten?
Möller: Meine erfolgreichste Zeit hatte ich bei Borussia Dortmund. Dort habe ich den Weltpokal, die Champions League und deutsche Meisterschaften gewonnen. Unvergessen ist auch der Uefa-Cup-Sieg 1993 mit Juventus Turin, wo ich Auslandserfahrung sammeln konnte. Aber auch die zwei Pokalsiege mit dem FC Schalke waren ein Highlight.
SPIEGEL ONLINE: Auch für den Fußball-Ästheten Möller zählen in erster Linie Trophäen?
Möller: Überall, wo ich gespielt habe, waren wir relativ erfolgreich. Mit Eintracht Frankfurt haben wir zwar keinen Titel geholt. Aber die Zeit unter Dragoslav Stepanovic war fußballerisch sicherlich die allerbeste. Deshalb war es auch eine traumhaft schöne Zeit.
SPIEGEL ONLINE: Wieso konnten Sie im Nationalteam nie über einen längeren Zeitraum überzeugen?
Möller: Für mich war immer wichtig, eine gewisse Harmonie in der Mannschaft zu haben. Deshalb hatte ich meine größten Erfolge im Verein und habe mich dort nach oben gespielt. Der Günter Netzer hat das einmal sehr gut erklärt. Auch er hat seine gewohnte Umgebung und seine Spieler um sich herum gebraucht, um gute Leistungen zu bringen und Erfolg zu haben. Ich hatte zwar auch mit dem Weltmeister- und Europameistertitel zehn tolle Jahre in der Nationalmannschaft. Aber der Vereinsfußball hat mich mehr geprägt.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben jeden wichtigen Pokal gewonnen. Was war Ihr größter Moment als Spieler?
Möller: Die erste Meisterschaft mit Borussia Dortmund 1994/95. Von den Emotionen her war diese das Maß aller Dinge. Meine Mannschaftskameraden und ich standen im Mittelkreis des Westfalenstadions mit der Meisterschale. Dann wurden die Tore geöffnet, und die Fans rannten auf den Platz. Da habe ich mich gefühlt wie ein Popstar. Ich bin auf den Händen der Fans über den ganzen Rasen in die Kabine geleitet worden. Jeder hat an mir rumgezogen. Am Ende hatte ich nur noch meine Unterhose an.
SPIEGEL ONLINE: Wie fühlten Sie sich nach dem EM-Halbfinale in Wembley, als Sie gegen England den entscheidenden Elfmeter verwandelten?
Möller: Ich hatte die deutsche Fußball-Nationalmannschaft als Mannschaftskapitän ins Wembley-Stadion hineingeführt. Von der Verantwortung und dem Druck her war das Spiel nicht ganz einfach für mich.
SPIEGEL ONLINE: Haben Sie am Ende deshalb auch die provozierende Jubelpose von Paul Gascoigne imitiert?
Möller: Ich kann das gar nicht mehr erklären. Ich weiß nicht, was mich da geritten hat. Wenn ich die Bilder heute sehe, frage ich mich: Sag mal, hat dir da einer Tabletten gegeben?
SPIEGEL ONLINE: Hatten Sie irgendein Problem mit Gascoigne?
Möller: Dieser Spieler ist nicht so mein Fall. Aber trotzdem, wenn ich die Bilder meines Jubels wieder sehe, schäme ich manchmal sogar dafür.
Lesen Sie im zweiten Teil, wie Möller das Image der "Heulsuse" ablegte
SPIEGEL ONLINE: Was war Ihre größte Enttäuschung?
Möller: Ich habe nie nachtragend zurückgeblickt. Insgesamt bin ich aber froh, dass es Enttäuschungen gegeben hat. Auch ein Boris Becker ist in Wimbledon mal in der ersten Runde rausgeflogen, hat sich maßlos geärgert und dann seine Lehren daraus gezogen. Ich habe ebenfalls durch Enttäuschungen Kraft zu neuen Taten entwickelt. Zum Beispiel, wenn ich schlecht gespielt hatte oder nicht verstehen konnte, warum ich auf die Bank verbannt worden war. Ein konkretes Beispiel allerdings kann ich aus dem Stegreif nicht nennen.
SPIEGEL ONLINE: Sind Sie gut im Verdrängen?
Möller: Ich kann gut verarbeiten. Im Verlauf meiner Karriere habe ich sehr viele Enttäuschungen - gerade in der Nationalmannschaft - erlebt, habe aber immer wieder im Verein die Kraft gefunden, diese auszumerzen.
SPIEGEL ONLINE: Wie sehr hat Sie die häufig hämische Kritik an Ihrer Person mitgenommen?
Möller: Es war nicht immer einfach, das gebe ich offen zu. Jetzt kann ich einfacher darüber sprechen als damals, als alles noch frisch war. Gewisse Kritik hat mich schon sehr mitgenommen, doch das ist ja auch menschlich. Ich muss allerdings auch sagen, dass ich nicht immer populäre Entscheidungen getroffen habe...
SPIEGEL ONLINE: Sie sprechen Ihre Wechsel von Dortmund nach Frankfurt und von Frankfurt nach Turin an, als Sie Treueschwüre gegenüber Fans und Verein brachen.
Möller: Ja, das konnte die Öffentlichkeit nicht verstehen. Wenn ich das noch einmal Revue passieren lasse, finde ich, dass das etwas unglücklich gelaufen ist und die Fans zu Recht sauer waren. In jedem Fall jedoch haben mich diese schwierigen Wechsel in meiner Karriere neu motiviert. Ich musste mich immer wieder neu stellen und beweisen. Das hat mich gestählt. Es gab kaum eine Zeit, in der ich mich auf meinen Lorbeeren ausruhen konnte. Wenn ich mir einmal Kredit erspielt hatte, war er schnell wieder weg, weil ich den Verein gewechselt habe.
SPIEGEL ONLINE: An guten Tagen waren Sie einer der besten Fußballer, die Deutschland je hatte. Dennoch wurden Sie permanent als "Heintje" und "Heulsuse" verspottet. Haben Sie sich von der Öffentlichkeit ungerecht behandelt gefühlt?
Möller: Einiges war schwer zu verarbeiten. Aber was heißt ungerecht? Ich glaube, je höher man als Fußballer kommt, desto größer wird der Augenmerk, desto stärker bündelt sich die Kritik. Das sieht man doch jetzt auch an Michael Ballack, dem heutzutage torgefährlichsten Mittelfeldspieler der Liga. Jeder kleinste Satz, den er sagt, wird auf die Goldwaage gelegt. Aber damit muss man fertig werden.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben es weit gehend geschafft. Liegt es daran, dass Sie nicht mehr so im Rampenlicht stehen?
Möller: Dieser Kampagne mit der Heulsuse und den Taschentüchern, die jahrelang gefahren wurde, habe ich mit der Zeit immer cooler gegenüber gestanden. Das war mir einfach zu billig. Aber ich konnte mich schwer wehren. Ich war ja nie ein Spieler, der sich über Zweikämpfe und kraftvolles Spiel in Szene gesetzt hat. Aber der Wechsel zum FC Schalke, einem typischen Arbeiterverein, wo die Prinzipien ehrliche Arbeit, Ärmelhochkrempeln und Schwitzen viel ausgeprägter als irgendwo anders sind, hat sich das Blatt gewendet. Dadurch, dass ich mich auch hier durchgesetzt habe, konnte ich eine Imagekorrektur vornehmen. In Dortmund wäre mir das nicht mehr gelungen.
SPIEGEL ONLINE: Was machen Sie, wenn Sie kein Fußball mehr spielen?
Möller: Der Fußball hat mir sehr viel gegeben. Ich bin viel rumgekommen in der Welt und habe viel Spaß gehabt. Ich hoffe deshalb, dass ich auch weiterhin im Fußball bleiben kann. In welchem Bereich das sein wird, muss ich mir noch überlegen. Im Fußball kenne ich mich ein bisschen aus, da habe ich viel erlebt, da kann ich vielleicht etwas bewegen. Es wäre von meiner Seite aus unsinnig, in einen anderen Berufszweig zu wechseln.
Das Gespräch führte Till Schwertfeger