Interview mit Klaus Toppmöller "Man hat mir nichts zugetraut"

Im Interview mit SPIEGEL ONLINE spricht Bayer Leverkusens Trainer Klaus Toppmöller über das Verlierer-Image seiner Mannschaft und den Aufwärtstrend der vergangenen Wochen.
Von Andreas Kötter

SPIEGEL ONLINE:

Herr Toppmöller, wie kann man noch unbeschwert Fußball spielen in Zeiten des Terrors?

Toppmöller: Eigentlich hatten wir am 11. September um 16 Uhr Training, aber natürlich hat sich die Nachricht vom Anschlag auf das World Trade Center wie ein Lauffeuer herumgesprochen. Wir haben wie paralysiert in der Kabine vor dem Fernseher gesessen. Da wurde es dann Viertel nach vier, es wurde halb fünf, und keiner hat mehr an Training gedacht. Wir haben zwar später noch ein wenig mit dem Ball gearbeitet, die Gedanken waren aber natürlich nicht wirklich beim Fußball.

SPIEGEL ONLINE: Wird einem in so einem Moment klar, dass Fußball eben doch nur eine Nebensache im Weltenlauf ist?

Toppmöller: In der darauf folgenden Mannschaftssitzung habe ich meinen Jungs gesagt: "Wir alle nehmen uns nur allzu gerne zu wichtig. Ob wir leben oder sterben hängt manchmal einfach von einem Zufall ab." So traurig das auch ist, aber dieses schreckliche Ereignis hat es mir leichter gemacht, die Mannschaft wieder auf den Teppich zu holen. Meinen Spielern bewusst zu machen, was für kleine Würstchen wir alle letztlich sind.

SPIEGEL ONLINE: Ihr bisheriges Wirken in Leverkusen hat die "Süddeutsche Zeitung" dazu inspiriert von "Toppmöllers Kulturrevolution" zu sprechen. War der Zustand der Mannschaft so bedenklich, dass Sie bei Bayer tatsächlich eine Revolution anzetteln mussten?

Toppmöller: Das mit der Kulturrevolution haben die schon mal geschrieben, als ich noch in Bochum gearbeitet habe. Dass die Mannschaft nach all dem Irrsinn in der letzten Saison noch Vierter geworden ist, war schon aller Ehren wert. Dennoch lagen die Jungs in der Tat am Boden, als ich hier angefangen habe. Keiner wusste, wohin er eigentlich gehört. Ich bin im Juni mit "Calli" (Bayer-Manager Reiner Calmund, d. Red.) nach Südamerika geflogen, um dort unsere Brasilianer und Argentinier aufzusuchen. Die waren so verunsichert, dass sie zunächst am liebsten gar nicht mehr nach Leverkusen zurückgekommen wären.

SPIEGEL ONLINE: Wie haben Sie die Lethargie aus der Mannschaft herausgetrieben?

Toppmöller: Ich kann Menschen begeistern für eine gemeinsame Aufgabe, für einen Traum, das ist nicht nur im Fußball so. Egal, wo ich war, hat das eigentlich immer funktioniert. Schritt für Schritt habe ich den Jungs meine Philosophie vermittelt. Und mit den ersten Erfolgen kommt dann auch die Sicherheit. Die Spieler merken dann: "Der hat Ahnung vom Fußball, was der erzählt, das funktioniert." Wichtig ist auch, dass ich den Jungs die Leidenschaft für den Fußball vorlebe. Nach dem 2:1-Sieg gegen Barcelona in der Champions League haben wir noch ein Bierchen getrunken, und plötzlich war es halb eins. Da könnte ich dann auch sagen "das Training um zehn kann auch der Co-Trainer leiten, ich schlafe lieber aus". Das aber ist nicht meine Art, also stehe ich auch um zehn wieder auf dem Platz.

SPIEGEL ONLINE: Vor der Saison hatten die Experten Bayer zum ersten Mal seit Jahren nicht auf der Liste der Titelanwärter.

Toppmöller: Man hat der Mannschaft nachgesagt, dass sie nicht erfolgreich sein kann, wenn es darauf ankommt. Aber das entspricht überhaupt nicht der Klasse der Spieler, die hier versammelt sind. Versetzen Sie sich in meine Lage: Ich komme also als neuer Trainer zu Bayer und sehe einen Nowotny und einen Lucio, einen Butt und einen Bastürk, einen Schneider und einen Kirsten und wie sie sonst noch alle heißen. Das soll keine sehr gute Mannschaft sein?

SPIEGEL ONLINE: Offenbar hat man dem Trainer Toppmöller nicht zugetraut, in Leverkusen etwas zu bewegen. Hat Sie das persönlich verletzt?

Toppmöller: Ja. "Die Spieler haben keine Siegermentalität, und jetzt kommt auch noch der Blinde dazu", so hat sich das für mich angehört, und natürlich verletzt einen das sehr. Ich habe immer betont, dass es mein größter Traum ist, einmal einen Spitzenverein trainieren zu können. Dann komme ich also nach Leverkusen, zu einem Club, der noch nie einen Titel gewonnen hat, und schon denken diese Kritiker "Jetzt spinnt der Toppmöller ganz, jetzt will er auch noch mit den Losern Meister werden".

SPIEGEL ONLINE: Hat Ihnen diese Geringschätzung die Arbeit erleichtert?

Toppmöller: Natürlich, man hat der Mannschaft nichts zugetraut, und man hat mir nichts zugetraut. Damit hat man uns in eine Außenseiterrolle gedrängt, so dass wir alle noch näher zusammengerückt sind und gesagt haben, denen werden wir es jetzt zeigen.

SPIEGEL ONLINE: Also wird Bayer dieses Jahr vielleicht sogar erstmals Deutscher Meister?

Toppmöller: Dieses Spielchen mache ich nicht mit. Nach vier Spieltagen stand Dortmund schon als Meister fest, nach sieben Spieltagen war es Kaiserslautern, und die nächsten, die hoch gejubelt werden, sind vielleicht wir. Aber nicht mit uns, von uns wird man diesbezüglich kein Wort hören.

SPIEGEL ONLINE: Viele haben nach dem Sieg gegen Barcelona von einem historischen Moment für Bayer geredet?

Toppmöller: Vielleicht war es in der Tat ein historisches Spiel. Alles schön und gut, was wir vorher in Schalke, Gladbach oder Lyon abgeliefert haben, aber Barcelona hatte noch eine andere Qualität. Sie glauben gar nicht, wie enttäuscht ich nach der ersten Halbzeit war. Ich war ganz ruhig und habe gesagt: "Jungs, setzt euch erst mal hin. Erklärt mir jetzt mal, wovor ihr eigentlich Angst habt. Habt ihr Angst vor dem Loser-Image, habt ihr Angst vor den Stars von Barcelona? Wieso versteckt sich einer plötzlich, der die ganze Woche eifrig bei der Sache war? Wie kann es sein, dass einem, der im Training mit dem Ball alles kann, jetzt die einfachsten Dinge misslingen? Das kann nicht sein!" Dann habe ich ihnen gesagt: "Wir fangen jetzt einfach noch mal bei Null an, und ich helfe euch auch taktisch, wir spielen eins gegen eins und suchen die Zweikämpfe, um sie zuzustellen". Dann habe ich noch Bastürk gebracht, und auf einmal ging es.

SPIEGEL ONLINE: Das klingt schlicht, könnte aber auch bedeuten, dass Ihre Ansprache bei den Spielern einfach ankommt.

Toppmöller: Sehr viel geht über Einzelgespräche. Die einen muss man ganz sachte behandeln, andere auch mal härter anfassen. Weil ich meine Spieler niemals bloßstelle, nenne ich auch keinen Namen. Aber heute Morgen habe ich mir einen zur Seite genommen und ihm gesagt: "Du stellst nach außen ein Scheißselbstbewusstsein zur Schau, aber wenn es wirklich darauf ankommt, bist du das größte Sensibelchen. Ich bin nicht doof, du kannst mich nicht verarschen, ich merke doch, was mit dir los ist. Warum kommst du nicht zu mir und sagst, dass du Probleme hast? Dann kann ich dir helfen, damit fertig zu werden".

SPIEGEL ONLINE: Einer, den Sie mit viel Einfühlungsvermögen zum Klassespieler geformt haben, ist Yildiray Bastürk. Dennoch mussten Sie zunächst Kritik für dessen Verpflichtung einstecken.

Toppmöller: Ich war immer sicher, dass er es auch hier schafft. Das ist einfach ein guter Junge, dem können Sie morgen sagen: "du bekommst jetzt zehn Millionen." Oder Sie sagen Ihm: "Ab sofort bekommt du nur noch hundert Mark." Er wird in beiden Fällen gleich gut Fußball spielen, weil er den Fußball einfach liebt. Der hat mit nichts etwas am Hut, lässt nie den Star raushängen. Wenn man den morgens sieht, dann könnte das genauso gut einer sein, der hier gleich den Hof fegt. Und wenn er nachmittags wieder geht, dann wie einer, der gerade den Hof gefegt hat, so bescheiden ist der Junge. Der nimmt sich überhaupt nicht wichtig. Wenn sich die anderen nach dem Spiel vielleicht feiern lassen, taucht er lieber gleich wieder in der Anonymität unter. Ein absoluter Musterprofi.

SPIEGEL ONLINE: Besteht bei möglichen Misserfolgen keine Gefahr, dass die Autorität eines Trainers bröckelt, der stets ganz nah an der Mannschaft ist?

Toppmöller: Autorität kann man nicht herbeireden, die muss man sich durch seine Arbeit und seinen Führungsstil verdienen. Selbst Spieler, die ich bei meinen ehemaligen Vereinen wegschicken musste, rufen mich heute noch bisweilen an und fragen mich um Rat. Ganz einfach, weil ich immer ehrlich und offen zu ihnen war. Das kommt an bei den Profis, das spricht sich herum. Da erzählen sich die Spieler dann, "der hat Ahnung vom Fußball und der meint es auch noch ehrlich mit dir". Nicht zuletzt dieser Mundpropaganda habe ich es zu verdanken, dass ich heute Bayer trainiere.

Das Interview führte Andreas Kötter

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