Neurologe über Mathenia-Verletzung "Beim Amateurfußball hätten sie den Notarztwagen gerufen"

Es war der Aufreger des Wochenendes: Nürnbergs Torhüter Christian Mathenia blieb nach einem Zusammenprall zunächst benommen liegen - und spielte trotzdem weiter. Der Neurologe Claus Reinsberger hält das für fahrlässig.
Christian Mathenia (2.v.r.)

Christian Mathenia (2.v.r.)

Foto: Daniel Karmann/ dpa

Es krachte in der 60. Minute. Nürnbergs Torwart Christian Mathenia, 26, stieß am Samstag mit Werder Bremens Abwehrspieler Theodor Gebre Selassie, 32, zusammen. Mathenia blieb mit geschlossenen Augen und offenem Mund auf dem Boden liegen, augenscheinlich bewusstlos. Sofort eilten Mitspieler und Ärzte zu ihm. Kurze Zeit später stand Mathenia wieder im Tor, spielte bis zum Schluss. Über diese Entscheidung wird seitdem viel diskutiert, denn ein Weiterspielen mit einer Gehirnerschütterung kann massive Folgeschäden für einen Spieler haben.

Zur Person
Foto: privat

Claus Reinsberger, 44, ist Neurologe und leitet das Institut für Sportmedizin an der Universität Paderborn. Er ist besorgt, wie fahrlässig teilweise noch mit Kopfverletzungen im Sport umgegangen wird.

SPIEGEL ONLINE: Herr Reinsberger, haben Sie die Szene gesehen?

Reinsberger: Erst im Nachhinein, im Netz. Mein achtjähriger Sohn aber hat die Konferenz live geguckt. Er kam zu mir und sagte: Papa, da ist einer hingefallen und liegengeblieben. Nach dem Spiel kamen dann die Emails und SMS von Kollegen: Hast Du das gesehen? Das hat Samstagabend schon für ordentlich Trubel gesorgt.

SPIEGEL ONLINE: Sie beschäftigen sich seit Jahren intensiv mit Kopfverletzungen im Sport, warnen, diese zu unterschätzen. War es vertretbar, Mathenia weiterspielen zu lassen?

Reinsberger: Ich bin immer vorsichtig damit, nach TV-Bildern zu urteilen, aber für mich sah es so aus, als sei Mathenia bewusstlos gewesen. Damit hätte er eindeutig vom Platz gemusst. Erst vor zwei Wochen gab es einen Workshop beim DFB für die Mannschaftsärzte, wie sie sich bei möglichen Schädel-Hirn-Verletzungen auf dem Platz zu verhalten haben.

SPIEGEL ONLINE: Wie sollten sie sich denn verhalten?

Reinsberger: Es gibt in diesen Fällen die sogenannte Drei-Minuten-Regel, die den Ärzten ermöglicht, eine Gehirnerschütterung so gut es geht auszuschließen. Das ist oft nicht zuverlässig möglich, deshalb muss man sich im Zweifel für die Sicherheit des Spielers entscheiden. Seit dieser Saison können sich die Ärzte zudem die konkrete Spielsituation auch nochmal am Spielfeldrand anschauen, so wie beim Videobeweis.

SPIEGEL ONLINE: Wie genau gehen Sie selbst als Arzt in so einer Situation auf dem Platz vor?

Reinsberger: Ich mache Notfalldiagnostik, prüfe die Funktion von Augen, Gleichgewicht, ob es Auffälligkeiten unter anderem im Verhalten und der Wahrnehmung gibt. Ich stelle auch spezifische Fragen wie: "Wo spielen wir hier gerade? Welche Halbzeit ist es? Wer hat das letzte Tor geschossen?", um herauszufinden, wie orientiert ein Spieler ist. Danach entscheide ich, ob alles okay ist oder ich den Spieler weiter untersuchen sollte, dann nehme ich ihn raus.

SPIEGEL ONLINE: Mathenia spielte bis zum Ende. Sein Trainer wollte auf anderen Positionen wechseln.

Reinsberger: Es ist Aufgabe des Arztes zu sagen, was geht oder nicht. Wenn ein Arzt sagt, der kann spielen, kann man den Trainer nicht verantwortlich machen. Auch wenn mir Fälle bekannt sind, in denen ein Spieler trotzdem vom Trainer ausgewechselt wurde.

SPIEGEL ONLINE: Also hat der Arzt das letzte Wort?

Reinsberger: Ich glaube, das wird mehr und mehr Realität. Beim Amateurfußball, wo kein Arzt am Spielfeld steht, hätten sie in so einem Fall den Notarzt gerufen.

SPIEGEL ONLINE: Wie sehr ist dieser Zwischenfall heute Thema bei Ihnen an der Uni?

Reinsberger: Es war schon Gesprächsthema unter den Sportärzten, auch beim DFB, insbesondere weil es ja erst kürzlich hierzu eine Fortbildung gab. Ich würde mir wünschen, dass dieser Fall aufgearbeitet wird, damit sich so etwas nicht wiederholt.

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