Irans Keeper Beiranvand Schafhirte, Straßenjunge - WM-Torwart

Alireza Beiranvand
Foto: PILAR OLIVARES/ REUTERSAlireza Beiranvand schämte sich seiner Tränen nicht: Kurz nachdem Iran in letzter Minute sein WM-Auftaktspiel gegen Marokko 1:0 gewonnen hatte, kauerte der Torwart auf dem Rasen des Stadions in Sankt Petersburg und weinte hemmungslos. Beiranvand hatte mit seinen Paraden nicht nur entscheidend zum Erfolg beigetragen. Der 25-Jährige ist auch der iranische Nationalspieler, der die außergewöhnlichste Karriere hinter sich hat.
Es ist eine Geschichte, mit der sich Millionen Iraner seiner Generation identifizieren können. Iraner, die in ihrer Heimat auf dem Land keine Perspektive sehen, denen aber beim Streben nach gesellschaftlichem Aufstieg immer wieder Knüppel zwischen die Beine geworfen werden.
Beiranvand stammt aus einer Nomadenfamilie und wuchs in der westiranischen Provinz Lorestan auf. Die Familie zog mit ihren Kindern und der Schafherde von Ort zu Ort, immer auf der Suche nach Grasland inmitten der kargen Berglandschaft. Als ältester Sohn der Familie musste der Junge schon früh selbst Schafe hüten.
Zu schüchtern, um Ali Daei anzusprechen
Als Beiranvand zwölf war, wurde die Familie sesshaft und ließ sich in Sarab-e Yas nieder, einem Vorort der Provinzhauptstadt Chorramabad. Der Junge schloss sich dort dem lokalen Fußballteam an. Zuerst spielte er Stürmer, doch als sich der Torwart verletzte, wechselte er zwischen die Pfosten. Und blieb, weil er mit seinen Paraden überzeugte.
Beiranvands Vater hielt jedoch überhaupt nichts von der Fußballbegeisterung seines Sohns. "Er wollte, dass ich arbeite", erzählte Beiranvand dem "Guardian" . "Er zerriss sogar meine Handschuhe, sodass ich manchmal mit bloßen Händen spielen musste."
Eines Tages reichte es dem Jungen: Er lieh sich von einem Verwandten Geld, haute von zu Hause ab und setzte sich in den Bus nach Teheran. Ohne Geld und Unterkunft musste Beiranvand auf der Straße schlafen. Seine Nächte verbrachte er zumeist im Schatten des Freiheitsturms, dem bekanntesten Wahrzeichen der iranischen Hauptstadt.

Freiheitsturm in Teheran
Foto: © Reuters Photographer / Reuter/ REUTERSBeiranvand durfte bei Vahdat FC, einem kleinen Verein in Teheran, mittrainieren. Der Vater eines Mannschaftskollegen ließ ihn in seiner Textilfabrik arbeiten. Dort durfte er auch schlafen, sodass er nicht mehr auf der Straße nächtigen musste.
Bald darauf fand Beiranvand einen Job in einer Autowaschanlage. Da er mit 1,94 Metern ausgesprochen groß ist, war er schon bald für SUVs zuständig. Der Legende nach war einer seiner regelmäßigen Kunden die iranische Fußballgröße Ali Daei. Seine Kollegen sollen Beiranvand ermuntert haben, Daei anzusprechen und zu bitten, ihm bei seiner Fußballkarriere zu helfen. Doch der Torwart soll zu schüchtern gewesen sein.
Mit 16 traf Beiranvand einen Trainer des iranischen Erstligisten Naft Teheran. Der Verein gab dem Jungen eine Chance. Noch immer hatte er keine feste Unterkunft: Eine Zeit lang ließ der Verein den Jungen in einem Gebetsraum unterkommen. Dann fand er einen Job in einem Pizzarestaurant, in dem er auch schlafen konnte. Nachdem ihn der Besitzer zwang, seinem eigenen Trainer eine Pizza zu servieren, der nichts von seinem Job wusste, kündigte Beiranvand. Bald darauf arbeitete er als Straßenreiniger.
Der Abwurf ist seine größte Stärke
Trotz aller Schwierigkeiten machte seine Fußballkarriere Fortschritte. Er wurde erst die Nummer eins im U23-Team von Naft Teheran und schaffte wenig später den Durchbruch bei den Profis. Sein Markenzeichen ist der kräftige Abwurf: 2014 bereitete er einen Treffer mit einem 70 Meter langen Abwurf bis tief in die gegnerische Hälfte vor.
2015 gab Beiranvand sein Länderspieldebüt. In der WM-Qualifikation blieb er in zwölf Spielen ohne Gegentor und auch im ersten Turnierspiel gegen Marokko war am iranischen Torwart kein Vorbeikommen.
Doch nun kommt der bisher schwierigste Gegner auf Beiranvand und seine Vorderleute zu: Spanien (20 Uhr, Liveticker SPIEGEL ONLINE; TV ARD). Die Iraner sind Außenseiter, doch der Torwart weiß: Er hat im Leben schon schwierigere Aufgaben gemeistert als Schüsse von Diego Costa oder Andrés Iniesta.