
Islands Fans in Paris: That's family
Island-Fans in Paris Stolz, auch als Verlierer
Benedikt Jóhannsson ist sich in den vergangenen Tagen vorgekommen wie eine Berühmtheit aus Hollywood. Ihm wurde applaudiert und zugejubelt, er musste viele Hände schütteln, ständig wollten die Leute Fotos von oder mit ihm machen. Seinen beiden Begleitern ging es ähnlich. Doch ihnen wurde der Rummel zu viel. Sie sind deshalb irgendwann nicht mehr im Island-Trikot auf die Straßen von Paris gegangen.
Jetzt haben sie aber alle drei ihr blaues Leibchen an. Es ist die Nacht von Sonntag auf Montag, die letzte Nacht des isländischen Fußballmärchens. Vor ein paar Stunden hat die Nationalmannschaft im Stade de France 2:5 gegen Frankreich verloren und ist damit aus der Europameisterschaft ausgeschieden. Jetzt belagern Islands Fans zu Hunderten, Tausenden den Place Blanche im Stadtviertel Montmartre, im Hintergrund das berühmte Theater Moulin Rouge.
Von Trauer ist nichts zu spüren. Es wird viel gelacht, es wird gesungen. Die meisten Leute haben ein Bier in der Hand. Fast alle tragen ein Island-Trikot und haben sich die Fahne ihres Landes über die Schulter geworfen oder mit Schminke ins Gesicht gemalt. "Wir wollten ein Tor schießen und haben sogar zwei geschossen. Wir gehen als Sieger", sagt Jóhannsson. Der Außenseiter hat bei dieser EM gewonnen - an Aufmerksamkeit und an Sympathien.

Islands letzte EM-Party: Huh revoir
Europameister werden die Isländer nicht mehr. Doch sie haben mit ihrem Einzug ins Viertelfinale Eindruck hinterlassen. Vor allem mit ihren Fans, die immer friedlich und freundlich waren und der Fußballwelt einen Schlachtruf hinterlassen haben, der diese Bezeichnung tatsächlich verdient: die Klatsch-Choreografie mit den "Huh!"-Schreien. Sie wird mittlerweile von anderen Nationen übernommen. Von den Franzosen zum Beispiel.
Eine Stunde vor Anpfiff bringen sie sich mit dem martialischen Geschrei der Isländer in der Fanzone am Eiffelturm in Stimmung. Der Himmel ist grau, es regnet in Strömen. Nur wenige Isländer sind zu sehen. Die Verhältnisse sind noch klarer als auf dem Platz. Die Stimmung zwischen den Fans der beiden Teams ist nicht feindselig, im Gegenteil. Die Brüder John John und Kentje Ingemarson haben sich auf ihre Regenjacke gesetzt. Ständig kommt jemand vorbei und beglückwünscht sie zu einem tollen Turnier. Als auf der Leinwand die Tore vom Achtelfinal-Sieg gegen England und die Bilder jubelnder Isländer gezeigt werde, springen die beiden auf und jubeln. "That's familiy", rufen sie. Der Fußball als Ersatzfamilie. Die Reise zur EM als Familienurlaub.

Frankreich gegen Island: Außenseiter abgefertigt
Islands Fans erfreuen sich am kleinen Glück. Das müssen sie an diesem Abend. Maxime Noar ist ganz aufgeregt, reckt den Hals, um die Leinwand besser zu sehen, hüpft auf und ab und fällt dann seiner Freundin um den Hals. Den Isländern ist tatsächlich gerade ein Tor geglückt, der Treffer zum 1:4. "Das ganze Land steht hinter der Mannschaft. Das ist wirklich eine tolle Geschichte", sagte Noar.
Er ist Franzose, kommt aus Rennes, doch bei dieser EM ist er für Island. Er war vor einem Jahr dort, hat den Süden bereist, seitdem hält er zu der Mannschaft - auch im Spiel gegen sein Heimatland. Die Isländer begeistern nicht nur Isländer. Sie begeistern auch ein deutsches Paar, das extra aus Düsseldorf angereist ist, um das Spiel in der Fanzone zu gucken. Sie begeistern Engländer, die sich für ein paar Euro nachgemachte Island-Trikots und Haarreifen mit blonden Zöpfen gekauft haben, nachdem die Isländer ihre Mannschaft aus dem Turnier geworfen haben. Und sie begeistern Noar. Kurz vor Schluss darf er sogar ein zweites Mal jubeln.
"Wir sind so stolz"
Es ist schon weit nach Mitternacht vor dem Moulin Rouge, als Lara Pedersen und Kristin Tryggvadottir kaum ein Wort herausbekommen. Ihre Stimmen haben gelitten. Sie waren im Stadion und haben auch 30 Minuten nach Abpfiff noch gesungen, um die Mannschaft für ihr erstaunliches EM-Debüt zu feiern. "Wir wussten, dass unsere Jungs Fußball spielen können. Jetzt haben es endlich alle mitbekommen. Wir sind so stolz", sagen sie.
Stolz, das ist das wohl am meisten benutzte Wort bei den Fans aus Island an diesem Abend. Wenn man sie reden hört, kann man auf den Gedanken kommen, nicht die Franzosen hätten sich für das Halbfinale gegen Deutschland am Donnerstag (21 Uhr, High-Liveticker SPIEGEL ONLINE) qualifiziert, sondern die Isländer. Sie versuchen, die Niederlage einfach auszublenden.
Benedikt Johannsson steht ein paar Meter weiter und sagt, dass er glücklich sei, wirklich glücklich. Er sagt das allerdings in einem Tonfall, der auf das genaue Gegenteil hindeutet. Dazu macht er ein Gesicht, als wäre Island gerade im Atlantik versunken. Vielleicht macht den isländischen Fans das 2:5 doch mehr zu schaffen, als sie zugeben wollen. Vielleicht haben sie doch auf den Halbfinaleinzug gehofft, ein bisschen zumindest. Vielleicht sind sie aber auch einfach nur müde.