Nachruf auf Fußballstar Paolo Rossi Seine WM. Sein Spiel.

Paolo Rossi im WM-Spiel gegen Brasilien in Barcelona 1982
Foto:Krause, Johansen/ Getty Images
Es sind keine guten Zeiten. Auch nicht für Fußball-Romantiker. Erst stirbt Diego Maradona, der Genius des Fußballs, jetzt folgt ihm auch noch Paolo Rossi. Maradona mit 60. Rossi mit 64. Da muss man nicht mehr dazuschreiben, dass das zu jung ist. Es ist viel zu jung.
Die Italiener hatten und haben viele große Fußballer, einige waren vielleicht begabter als Paolo Rossi. Totti, Pirlo, Rivera, Antognoni, nur wenige jedoch haben in ihrer Heimat einen solchen Ruf. Jeder kennt Paolo Rossi, Pablito, den Arbeiterjungen aus Prato in der Toskana.
Maradona und Rossi – sie haben mehr gemeinsam als den traurigen Umstand desselben Todesjahres. Es ist die Fußballweltmeisterschaft 1982, die sie gleichermaßen eint und trennt. Es sollte die WM sein, auf der eigentlich der Stern des jungen Maradona aufgehen sollte, das war der Plan. Es wurde die WM des Paolo Rossi.
Wegen Bestechungsskandal lange gesperrt
Dabei hätte der damals 25 Jahre alte Rossi eigentlich gar nicht bei dem Turnier mitmachen dürfen. Er war wegen eines Bestechungsskandals an sich noch bis 1983 gesperrt. Auch das ist eine Parallele zu Maradona. Beide sind nicht die unbefleckten Stars, die Strahlemänner, Maradona mit seinen Koksaffären, seinen Mafiakontakten, seinen Freundschaften zu autoritären Regimes. Alles mehrere Stufen über der Kategorie Rossi, aber auch Rossi hat eben seinen dunklen Fleck.

Paolo Rossi nach seiner Karriere im Juve-Stadion
Foto: Daniele Badolato / APAls er noch bei Perugia spielte, so wird die Geschichte erzählt, sei er von zwei Männern angesprochen worden, wie sein Team denn am Wochenende gegen Avellino zu spielen gedenke. Man wolle natürlich gewinnen, soll Rossi geantwortet haben. Nächste Frage: »Und wenn es unentschieden ausginge?« Rossi: »Das wäre auch kein schlechtes Ergebnis.« Das Spiel endete 2:2, und die beiden Männer gehörten zu den Paten des Wettbetrugs in Italien. Das reichte, um Rossi für drei Jahre zu sperren. Er selbst hat immer seine Unschuld beteuert.
Rossi war damals schon prominent, Nationalspieler seit 1978, das half ihm. Seine Sperre wurde vor der WM flugs um ein Jahr verkürzt, und Trainer Enzo Bearzot, der legendäre Schweiger aus Friaul, nominierte den Stürmer, der so gut wie ohne jede Spielpraxis war, für die WM – und ließ den Torschützenkönig der Serie A, Roberto Pruzzo, daheim.
Bis zum Brasilienspiel torlos
Auszuzahlen schien sich das zunächst nicht. Italien würgte sich geradezu idealtypisch für die Azzurri mit drei Remis durch die Vorrunde. Dann jedoch traf das Team in der Zwischenrunde auf Argentinien, gewann auch aufgrund der knüppelharten Abwehrarbeit von Claudio Gentile, der gegen Maradona von der Grätsche bis zum Faustschlag alles anwandte, was er in seinem Folterkeller-Arsenal hatte. An Rossi hatte es jedenfalls nicht gelegen, dass Italien 2:1 siegte. Seine Bilanz nach vier Spielen: null Tore.
Als nächster Gegner wartete Brasilien, der Topfavorit, und es wurde das Spiel des Lebens für Paolo Rossi.
Die brasilianische Elf 1982, trainiert vom Schöngeist Tele Santana, war ein Gesamtkunstwerk, eine Ansammlung von Fußball-Ästheten. Bei einer WM hat es nie mehr eine Mannschaft gegeben, die das hehre Spiel so sehr verkörpert hat: Zico, der weiße Pelé, Socrates, der Fußball-Philosoph, Falcao, Eder, Toninho Cerezo, der elegante Junior an der Außenlinie.
Diese Mannschaft war unschlagbar. Besser gesagt: Sie schien unschlagbar. Sie spielte nicht Fußball. Sie zelebrierte ihn. Sie berauschte sich an sich selbst, und sie berauschte das Publikum. Sie spielte ohne taktischen Zwänge. Genau das wurde ihr an diesem 5. Juli im alten Stadion Sarria von Barcelona zum Verhängnis. Genau darauf hatte Bearzot, der Taktikfuchs, gewartet. Genau für diesen Tag hatte er Paolo Rossi nominiert.
Drei Mal Italien, drei Mal Rossi
Schon nach fünf Minuten hatte der Mittelstürmer getroffen, seinen eigenen Bann gebrochen. Die Brasilianer ließen sich noch nicht aus der Ruhe bringen, glichen durch Socrates rasch aus. Aber spätestens als Rossi nach 25 Minuten einen fatalen Querpass von Cerezo erlief und zum 2:1 vollstreckte, war klar: Diese Italiener sind nicht das willige Opfer der brasilianischen Spielkunst. Immer mehr drängten sie dem Favoriten ihr eigenes Spiel auf, eine 90-minütige Fiesta des Fußballs entwickelte sich, ein atemberaubendes Hin und Her, gekrönt mit dem 3:2-Siegtreffer eine Viertelstunde vor Schluss. Rossi erwischte den Ball nach einem italienischen Schussversuch, lenkte ihn an Torwart Valdir Perez vorbei ins Netz. Ein Müller-Tor. Der Favorit, er wankte nicht nur, er fiel. Die italienische Schule hatte triumphiert. Die Spielkunst hatte ihren Meister gefunden.

Rossi im WM-Finale 1982 mit Gegenspieler Karlheinz Förster
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Danach war der Weg zum Titel geebnet. Polen wurde im Halbfinale geschlagen, Führungstor Rossi, es lief jetzt für ihn wie auf Schienen. Finale gegen Deutschland, Rossi entwindet sich einmal dem Klammergriff des unerbittlichen Karlheinz Förster, 1:0, die gegnerische Elf von Jupp Derwall hatte nichts mehr dagegenzusetzen. Italien war am Ziel, zum ersten Mal seit 1938 wieder, und zu verdanken hatte man es einem Spieler, der nach zwei Jahren Sperre aus dem Nichts zurückgekommen war. Herr Rossi hatte sein Glück gefunden.
Er spielte danach nur noch fünf Jahre, die meiste Zeit davon bei Juventus Turin, mit denen er Meister wurde und das Europacupfinale der Landesmeister 1983 in Athen gegen den Hamburger SV 0:1 verlor. Rossi in einer Mannschaft neben Michel Platini und Zbigniew Boniek, die neben Maradona wohl angesagtesten Fußballer der damaligen Zeit in einem Team. Immer noch unfassbar, dass der HSV gegen sie gewann. Der Geniestreich des Hamburger Trainers Ernst Happel.
Nach der Karriere Weinbauer
1987 zog sich Rossi zurück aus dem Fußball, er wurde kein Trainer, er wurde kein Manager, er wurde Bauer. In der Toskana, seiner Heimat, er baute Wein an, produzierte Olivenöl, vermietete Zimmer an Touristen. Das Rampenlicht der gesamten Welt, in dem er so kurz gestanden hatte, hatte er schnell wieder verlassen.
Es klingt in Nachrufen mindestens seltsam, wenn man über einen Toten schreibt, er sei unsterblich geworden. Aber an die Partie gegen Brasilien und Paolo Rossis drei Tore werden sich die Tifosi immer erinnern. Immer.
Rossis Autobiografie trägt den Titel: »Ich habe Brasilien zum Weinen gebracht.« Heute weint Italien.