Jens Lehmann bei "Kerner" Pinkelpause im TV-Beichtstuhl

Jens Lehmann bei "Kerner": Pinkelpause im TV-Beichtstuhl
Foto: Sat.1Als TV-Beichtstuhl funktioniert der Sender Sat.1 immer noch am besten. Auch der aktuelle Bundesliga-Bösewicht Jens Lehmann kann hier noch Absolution erhoffen. Als Gast von Johannes B. Kerner bekam er am Donnerstagabend, was er wollte.
Lehmann tritt nach, tritt aus, tritt fehl, tritt zu nahe - bis auf den Rücktritt hat der ehemalige Fußball-Nationaltorwart in den vergangenen Wochen kaum eine aktive Form des Tretens ausgelassen. "Der Held der Fußball-WM - was ist nur in ihn gefahren?", fragt sich Kerner stellvertretend für all die Fußballfans da draußen. Ein Dämon?
"Ich bin immer noch ich. Das ist kein anderer Mensch da auf dem Platz", sagt Lehmann. Ein Dämon ist es also nicht, viel mehr "die Emotionen, all das Adrenalin, die dafür sorgen, dass man Dinge tut, die man gerne rückgängig machen würde", so der Sünder zerknirscht: "Mir ist leider ein Fehler unterlaufen." Welcher? "Ich habe mich nicht immer superkorrekt verhalten, das waren kleine Aussetzer, die nicht passieren sollten." Da muss Kerner dann doch mal gestrenge werden: "Einem Fan die Brille herunterzureißen, der möglicherweise dadurch sehbehindert ist - schön ist das nicht." Das findet Lehmann mittlerweile auch. "Ich sah keine andere Möglichkeit, ihn zum Schweigen zu bringen. Aber wenn ich aus dem Stadion komme und dann so konfrontiert werde - dafür bin ich nicht geschult."
Lehrstunde in Küchenpsychologie
Besser geschult als für die Konfrontation mit den eigenen Fans ist Lehmann offenbar für solche Fernsehauftritte. Ganz Schuldbewusstsein, ganz Artigkeit, ganz kleiner Junge. Und nachdem Kerner es ihm mundgerecht als Frage serviert hat, dann auch endlich das erlösende Wort: "Das tut mir auch leid, dass ich das getan habe." Erleichterter Beifall im Publikum. Der Sünder darf von allen seinen Verfehlungen freigesprochen werden.

Kerner erwähnt das Wort "Küchenpsychologie", und schon sind die Gesprächspartner mittendrin. "Ich habe gelernt: Wenn dir einer was tut, dann musst du dich wehren. Und das Allerwichtigste ist der Erfolg", bastelt sich Lehmann sein eigenes Erklärungsmodell für die Ausrasterserie. Lehmann wäre allerdings nicht er selbst, wenn er sich nicht gleich wieder ein Hintertürchen öffnen würde: "Ich habe nie eine Grenze überschritten. Ich habe in meiner ganzen Laufbahn nie jemanden bewusst verletzt, nie jemanden geschlagen." Dann ist ja gut.
Und dass er am Wochenende den Mainzer Stürmer Bancé auf den Fuß getreten habe und der sich daraufhin schmerzverzerrt das Gesicht und nicht den lädierten Fuß gehalten habe - "darüber haben sich die Mitschüler meines Sohnes kaputtgelacht". Überhaupt solle man das Ganze nicht überbewerten: "Jetzt läuft es mal ein bis zwei Wochen schlecht", danach sei das auch wieder vergessen. Ärgerlich sei vor allem "die negative Medienpräsenz".
Kein Vergleich mit den Breitners von einst
Womit er wohl recht hat. Wenn man die von Sat.1 eingespielte Szene sieht, wie Lehmann nach seinem Platzverweis der Vorwoche auf dem Weg ins Hotel Hunderte Meter weit penetrant von einem Kameramann verfolgt wird, dann möchte man beinahe Mitgefühl mit den Stars aufbringen, die nimmer in Ruhe gelassen werden. Solche Typen wie Jens Lehmann, ein bisschen schräg, ein bisschen clever, auch ein ganz klein bisschen über die Kante - die gab es vor 30 Jahren in der Bundesliga an jeder Straßenecke, ohne dass darum größeres Aufhebens gemacht wurde.
Man möchte sich nicht das Medien-Ballyhoo vorstellen, das ausbrechen würde, wenn die heutigen Vorzeigekicker sich das nur im Ansatz erlauben würden, was die Paul Breitners, Klaus Toppmöllers, Toni Schumachers und Sepp Maiers sich dereinst geleistet haben. Dagegen ist alles, was Lehmann in der jüngeren Vergangenheit angehängt wird, im wahrsten Wortsinne Pipifax.
Womit wir beim Stichwort wären. Der Moderator weist auf die Szene, wo Lehmann kurz hinter der Bande verschwand, um seinen Bedürfnissen nachzugehen, in einer Art hin, als handele es sich um die Mondlandung oder Willy Brandts Kniefall in Warschau: "Wir sprechen gleich über eine Szene, die sich am 9. Dezember 2009 im Stuttgarter Stadion abspielte." Eine Pinkelpause beim Fußball als historisches Event. Lehmann kommentiert: "Mich wundert an dieser Szene nur, dass die Kameras sie nicht in allen Einzelheiten eingefangen haben."
Das ist vielleicht der klügste Kommentar des Abends. Kerner darf überleiten zum nächsten Thema: "Letzter Ausweg Campingplatz - zwei Jobs und trotzdem nicht genug Kohle."