S04-Profi Jones Vom Party-Kicker zum Schalke-Retter

Schalkes Jermaine Jones kann auf ein bewegtes Fußballer-Leben zurückblicken. Mit 22 Jahren spielte er Champions League, dann forderte sein ausschweifender Lebensstil Tribut - ein langer Abstieg begann. Das Magazin "11Freunde" zeichnet Jones' Kampf zurück in die erste Reihe nach.
Schalke-Profi Jones: "Zuhause hat meine Frau die Hosen an"

Schalke-Profi Jones: "Zuhause hat meine Frau die Hosen an"

Foto: Tolga Bozoglu/ dpa

Jermaine Jones ist auf Familienkutschen umgestiegen. Bei längeren Fahrten in seinem Lamborghini bekam er zuletzt Rückenschmerzen, auch den protzigen Hummer hat er verkauft. Daheim versorgt Gattin Sarah fünf Kinder und freut sich, wenn er pünktlich zum Abendbrot daheim in Düsseldorf ist. "Zuhause", sagt Jones, dem lange der Ruf des Schwererziehbaren vorauseilte, "hat definitiv meine Frau die Hosen an."

Am ersten sonnigen Tag des Jahres sitzt Jermaine Jones, 31, in Adiletten und Kurzarmtrikot im Schalker Stadionrestaurant. Seine Arme sind so dicht tätowiert, dass kaum helle Flecken zu erkennen sind. Insignien des Ghettokids am Körper eines Geläuterten.

Er gilt als Agent provocateur, der auch mal dazwischen kloppt, um Ordnung ins Spiel zu bringen. Einen, den der Hass von der Tribüne eher beflügelt als einschüchtert. Der das Tempo bestimmt und Gegner allein mit physischer Dominanz in die Defensive zu drängen vermag. Mit dieser Einstellung hat er vor gut einem Jahr im Pokal die Fußballnation gegen sich aufgebracht. Er trat Jungstar Marco Reus vor laufenden Kameras auf den gebrochenen Zeh. Die Medien veranstalteten eine Hexenjagd. Boulevardzeitungen forderten Sperren bis an die Grenze zum Berufsverbot.

Schnelles Geld, schneller Sex, schnelle Biere

Seine Herkunft wurde als Erklärung ins Feld geführt: die Jugend im Frankfurter Problembezirk Bonames, wo er sich gegen Kleinkriminelle und Drogendealer behaupten musste. Wie Dominosteine fielen die Klischees und kulminierten in dem amorphen Bild des unberechenbaren Bad Boys, als der er seit Urzeiten dargestellt wird. Wie es zu der Übersprunghandlung kam, kann er sich indes gar nicht erklären: "Es war rein gar nichts zwischen uns vorgefallen. Ich wusste nur, dass Marco ein sehr guter Fußballer ist, der uns gefährlich werden kann."

Widerstände ziehen sich wie ein roter Faden durch sein Leben. Mit Anfang zwanzig schlug er eine Schneise durchs Frankfurter Nachtleben. Der Halbstarke aus der Vorstadt war zum Jungstar bei der Eintracht aufgestiegen. Die Türsteher der Nobeldiscos, die ihn lange abgewiesen hatten, geleiteten ihn nun devot in den VIP-Bereich. Ein rasantes Leben. Schnelles Geld, schneller Sex, schnelle Biere, schnelle Autos.

Bayer Leverkusen holte ihn 2004 in den Kader. Coach Klaus Augenthaler war begeistert von seiner Dynamik. "So was", sagt der Trainer heute, "kannte ich bis dahin nur von Lothar Matthäus." Mit 22 Jahren lief der Hallodri aus dem Frankfurter Norden schon in der Champions League auf.

Doch dann ging es bergab. Jones' Lebenswandel machte sich vermehrt in kleinen und größeren Verletzungen bemerkbar. Doch ihm selbst fiel es schwer, diesen Zusammenhang zu erkennen. Erst als Augenthaler ihn nach nur einem Jahr aussortierte, weil er seine Einstellung für untherapierbar hielt, fiel der Groschen.

Ein schicksalhaftes Gespräch

Der Ruf des aufsässigen Partykickers hatte Kreise gezogen. Angebote von Top-Clubs blieben aus. Jones fürchtete, in den Abgründen der zweiten Liga neu anfangen zu müssen, als ihn Friedhelm Funkel nach Köln in ein Café lud. Der damalige Trainer von Eintracht Frankfurt hatte den Rat seines Bosses Heribert Bruchhagen ignoriert, der Jones auf keinen Fall zurückhaben wollte.

In einem dreistündigen Gespräch rang Funkel dem Geschassten das Versprechen ab, künftig ein profigerechtes Leben zu führen. Nur dann bestehe noch Hoffnung für ihn und seine Karriere. Der reuige Jungstar willigte ein. "Vielleicht war es das wichtigste Gespräch meines Lebens", sagt er heute. Ein halbes Jahr später kehrte Eintracht in die Bundesliga zurück. Jones haute sich derart rein, dass der Trainer ihn bald zum Kapitän ernannte.

Mit dem Erfolg kehrten die Interessenten zurück. Der FC Schalke 04 machte ihm ein Angebot, das er nicht ablehnen konnte. Aber Jones verpasste den richtigen Moment, um den Frankfurter Fans seinen Abschied zu verkünden. Am Ende wurde er mit "Judas"-Rufen verjagt. Dass Friedhelm Funkel sich bei Jones für das gehaltene Versprechen bedankt hatte, bekam in dem Chaos keiner mehr mit.

"Im Leben kriegt man alles zurück"

Auf dem linken Arm von Jermaine Jones steht in schwarzen Lettern: "Only God Can Judge Me." Mit seinem Schwiegervater diskutiert er oft über Gott. Jones glaubt an eine überirdische Gerechtigkeit: "Im Leben kriegt man alles zurück - im Positiven wie im Negativen."

Seit sechs Jahren ist er nun auf Schalke. Die Liaison ist wie all seine vorherigen im Profigeschäft keine einfache. 2011 hatte er S04 bereits aus seinem Herzen verbannt. Felix Magath hatte Jones zu den Amateuren geschickt, angeblich weil der sich weigerte, nach einer Verletzung frühzeitig ins strapaziöse Training einzusteigen.

Jones ließ sich zu deutlich schlechteren Konditionen zu den Blackburn Rovers ausleihen. Als die "Knappen" im Mai 2011 in Berlin den Pokal holten, fühlte er sich im fernen England wie Napoleon auf Elba. Abgeschoben und vergessen. Kein Anruf kam aus Deutschland. Für Jones war klar: Dahin wollte er nie mehr zurück.

Als das Leihgeschäft in Blackburn auslief, kam er also widerwillig zurück nach Gelsenkirchen. Immerhin: Magath war weg. Anfangs lebte er im Hotel am Schalker Stadion. Eines Abends traf er einige Fans an der Bar. Ein netter Plausch, ein paar Biere, es wurde spät. Am nächsten Tag teilte Magaths Nachfolger Ralf Rangnick mit, dass er nicht mehr mit ihm plane. Der nächste Rückschlag.

Opferwilliger Teamplayer

Erst als auch Rangnick sein Amt niederlegte, erkannte der streitbare Huub Stevens in Jones den idealen Sortierer für seinen Rückraum - und er war wieder im Rennen. Wie zwei angriffslustige Panther balgten sich die beiden immer wieder lautstark um die Taktik - und verstanden sich blendend. Als der Trainer erwog, ihn sogar zum Kapitän zu berufen, legte plötzlich Aufsichtsratschef Clemens Tönnies sein Veto ein. Offenbar traute der Schalker Boss dem kantigen Sechser mit Mangel an Diplomatie diese Verantwortung nicht zu.

Doch nach der Demission von Stevens im Winter nahm ihn plötzlich Sportdirektor Horst Heldt beiseite. Das Team brauche jetzt einen Typen wie ihn. Einen, der marschiert. Einen, der in der Krise vorangeht. Jones avancierte in der Orientierungslosigkeit zum guten schlechten Gewissen der schlingernden Truppe. In bester Effenberg'scher Manier gibt er heute den opferwilligen Teamplayer: "Wenn ich das taktische Foul machen muss - und die Mannschaft am Ende der Saison oben steht - dann mache ich es halt." Der rustikale Weltmeister Klaus Augenthaler adelte ihn dafür: "Ich war weiß Gott kein Kind von Traurigkeit, aber gegen Jermaine hätte ich nicht spielen mögen."

Diese Spielweise brachte ihn in wiederkehrenden Zyklen auf die Krankenstation. Im linken Knie hat er zwei Schrauben, im Schienbein eine weitere. Jones: "Da kann also nicht mehr viel kaputtgehen." Doch die Zeiten, in denen er praktisch mit jeder Mahlzeit auch Schmerzmittel zu sich nahm, sind lange vorbei.

Jermaine Jones, wenn sich im Leben immer alles ausgleicht, wie steht es um Ihr Gerechtigkeitskonto? Er überlegt. Summiert die vielen Verletzungen, die er als Quittung für seine Exzesse in jungen Jahren versteht. Er streicht über die tätowierten Arme und sagt: "Ich habe frühzeitig die Kurve gekriegt, ich bin noch fit, um ein paar Jahre zu spielen. Es ist wohl etwas mehr auf der Haben-Seite."

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