Bundestrainer Löw Offenes Feld

Was vor ein paar Wochen niemand für möglich gehalten hätte, tritt jetzt ein: Die Zukunft von Joachim Löw als Bundestrainer ist ungewiss. Auch wenn der DFB-Präsident ihm eine Job-Garantie ausgestellt hat.
Joachim Löw

Joachim Löw

Foto: Ina Fassbender/ dpa

Man weiß nicht, wer es vorausgeahnt haben mag: Joachim Löw selbst oder sein Vorgesetzter, DFB-Präsident Reinhard Grindel. Möglicherweise war es Cleverness von Löw oder Naivität von Grindel. Zumindest hat Deutschland jetzt eine Mannschaft, die erstmals bei einer WM in der Gruppenphase ausgeschieden ist - und einen Bundestrainer, der über einen erst vor fünf Wochen verlängerten Vertrag verfügt.

Bis 2022 sind Löw und seine Assistenten an den DFB gebunden. Da ist es kein Wunder, dass der Präsident schon am Tag vor dem Ausscheiden gegen Südkorea klargemacht hat: Selbst bei einem Vorrunden-Aus bleibt Löw im Amt. Mit jeder anderen Aussage hätte sich Grindel schließlich selbst beschädigt.

Ein so frühes Aus als Titelverteidiger, das setzt allerdings einen gewissen Automatismus in Gang - Vertragsverlängerung hin oder her. Löw hat in den Anfangsjahren viele Widerstände erfahren, auch beim Verband. Seit dem Weltmeistertitel vor vier Jahren jedoch war er unumstritten, ein König im eigenen Reich. Diesen Nimbus hat er jäh verloren.

Debatte über den Job ist unvermeidlich

Die Debatte über seinen Job wird es unvermeidlich geben, und das ist auch normal. Zu groß war die Fallhöhe von Rio bis Kasan. Zu enttäuschend ist es, wenn man als Titelfavorit und Weltranglistenerster anreist und genauso früh nach Hause fährt wie Saudi-Arabien, Costa Rica und Panama. Plötzlich tauchen Namen auf: Arsène Wenger zum Beispiel. Mögliche Nachfolger für Löw, darüber hat man jahrelang nicht mal nachgedacht.

Deutschlands Niederlage gegen Südkorea im Video

Löw selbst hat Fragen nach seiner Zukunft am Abend der Niederlage abgebügelt. Er brauche ein paar Stunden, die Frage, ob er noch der Richtige für den Neuaufbau sei, sei "schwierig zu beantworten". Löw hat auch nach dem Gewinn des WM-Titels lange gezögert, ob er seinen Job als Bundestrainer fortsetzt. Der Ehrgeiz, den Titel zu verteidigen, hat ihn schließlich dazu gebracht.

Nun ist der Ehrgeiz, als entthronter Titelverteidiger wieder anzutreten, möglicherweise ein noch viel größerer Antrieb. Es allen zu zeigen, den Umbruch hinzubekommen, eine junge Mannschaft zu formen, wie er es 2010 gemacht hat. Beim Confed Cup im Vorjahr hat er gezeigt, dass er immer noch dazu fähig ist. Für die jungen Spieler, die 2017 antraten, war er allerdings auch der bewunderte Weltmeistertrainer. Jetzt ist er auch der in der Vorrunde gescheiterte WM-Coach.

Fotostrecke

Fotostrecke: Historische Pleiten der DFB-Elf

Foto: LUIS ACOSTA/ AFP

Kritiker haben Oberwasser bekommen

Löw war auf dem Weg, zum ewigen Bundestrainer zu werden, möglicherweise wird er es ja auch tatsächlich noch. Einer, der nicht wegzudenken ist von den Pressekonferenzen bei Turnieren, inklusive Espressotasse. Der einfach dazugehört auf dem Trainingsplatz, stets ein wenig entrückt. Aber die Kritiker, die jahrelang still zu sein hatten, haben jetzt Oberwasser. Aus der Deckung werden sich auch die wagen, denen die ganze Richtung nicht passt. Die Ausgedienten.

Müller nach dem WM-Aus: "Es fühlt sich peinlich an"

SPIEGEL ONLINE

Grindel hat mit dem Vertrag bis 2022 ein Treuebekenntnis abgegeben, Löw könnte also nur selbst zurücktreten. In den nächsten Tagen wird sich das nicht entscheiden, vielleicht in Wochen, vielleicht erst in Monaten. Einen solchen Rückschlag wie den von Kasan hat Löw noch nicht erlebt, auch 2012 nicht, als alle nach dem Halbfinal-Aus von Warschau über Trainer und Team herfielen.

All die Fragen, die damals in der Öffentlichkeit ventiliert wurden, sind jetzt auch wieder da: Wo sind die Führungsspieler? Warum singen nicht alle die Hymne mit? Es sind die Fragen, die auftauchen, wenn es nicht läuft. Es sind die Stammtischfragen.

Ist Löw beim Thema Özil eingeknickt?

Der Stammtisch, das ist wahrlich nicht Löws Welt. Den Bundestrainer zeichnete aus, dass er daran festhielt, was er allein für richtig erachtete, selbst wenn er dabei die Öffentlichkeit vor den Kopf stieß. Miroslav Klose, Lukas Podolski, immer und immer wieder, auch wenn die halbe Welt nur noch den Kopf schüttelte. Dass er immer noch so ist, bewies er, als er Leroy Sané, den Himmelsstürmer aus der Premier League, einfach nicht mit nach Russland nahm.

Fotostrecke

Der Spielfilm des WM-Scheiterns: Vom Erdogan-Gate zur Südkorea-Pleite

Foto: Uncredited/ dpa

Als er dagegen im zweiten WM-Spiel Mesut Özil, seinen Lieblingsspieler, aus der Mannschaft nahm, war er ein neuer Löw. Özil hatte seit Wochen unter medialem Druck gestanden, es ging längst nicht mehr nur um die Erdogan-Affäre. Viele hatten erwartet, dass der Bundestrainer gerade deswegen zu ihm stehen würde. Das hat er nicht getan. Löw wirkte plötzlich wie einer, der einknickt.

Vor fünf Wochen, als Grindel bei der Kadernominierung die Verlängerung der Verträge mit Löw und dessen Trainerstab bekannt gab, war es noch undenkbar, dass man über diesen Coach diskutieren würde. Aber es war auch undenkbar, dass Deutschland in der Vorrunde ausscheidet. Alles ist seit diesem Mittwoch von Kasan ungewiss beim DFB, und die Zukunft von Joachim Löw ist es auch.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten