EM-Qualifikation des DFB-Teams Und sind so klug als wie zuvor
Die DFB-Elf hat sich letztlich souverän für die EM qualifiziert, aber große Erkenntnisse für das Turnier kann der Bundestrainer daraus nicht ziehen. Die Europameisterschaft wird eine Wundertüte.
Joachim Löw geht in sein siebtes Turnier als Bundestrainer, kein anderer vor ihm hat so lange durchgehalten - aber diesen Satz hat man lange nicht von ihm gehört: "Als Favorit sehe ich uns nicht."
Es ist Löw nicht zu verdenken. Die Mannschaft hat die EM-Qualifikation relativ stressfrei absolviert, die Teilnahme schon vor dem morgigen abschließenden Spiel gegen Nordirland (20.45 Uhr; TV: RTL; Liveticker SPIEGEL), aber wo die Mannschaft steht, was sie leisten kann, das wird selbst Löw zu diesem Zeitpunkt nicht wissen. Nach dieser Qualifikation ist man in Sachen Nationalmannschaft ungefähr so schlau wie vor der Qualifikation.
Alle Pflichtaufgaben wurden gelöst, "aber das durfte man ja auch erwarten", sagt Toni Kroos, mehr denn je neben Manuel Neuer so etwas wie der verlängerte Arm Löws auf dem Spielfeld. Kroos hat jetzt 95 Länderspiele, Neuer 92, der nächste im Kader, der danach folgt, ist Joshua Kimmich mit 47 Einsätzen.
"Ehrgeiz, Einsatz, Wissbegier"
"Diese Mannschaft steht erst ganz, ganz am Anfang ihrer Entwicklung", sagt Löw denn auch. Sie bringe "Ehrgeiz, Einsatz, Wissbegier" mit, aber "was nichts hilft, ist, zu hohe Erwartungen zu schüren". So defensiv ist Löw selten, wahrscheinlich nie an ein Turnier herangegangen, aber es klingt nach viel Realismus. Löw glaubt, dass dieses Team "seinen Höhepunkt erst in einigen Jahren erreichen wird". Die Europameisterschaft 2020 wäre dann schon lange Vergangenheit.
Es war ein Jahr, in dem sich die Nationalmannschaft auf schwankendem Boden bewegte. In Amsterdam wurde beim wieder hoch gehandelten Gegner Niederlande 3:2 gewonnen, im Gegenzug holte sich Oranje den Auswärtssieg in Hamburg beim 4:2 im September. Diese beiden Partien zeigten wohl am besten, wozu die Mannschaft imstande ist und was ihr fehlt. In Amsterdam trumpften Leroy Sané und Serge Gnabry in der ersten Halbzeit auf, das war eindrucksvoll, der Sieg war dennoch am Ende extrem glücklich, weil die Niederländer die zweite Hälfte dominierten und das deutsche Siegtor durch einen Konter in der letzten Minute fiel.
Im Video: "Hohe Erwartungen helfen nicht"
Im Rückspiel kontrollierte Löws Elf erneut die ersten 45 Minuten und brach dann nach der Pause komplett unter dem niederländischen Konterspiel zusammen. "Mannschaften wie die Niederlande, aber auch England, Spanien, Frankreich, Belgien sind weiter als wir", sagt Löw, und tatsächlich kann man sich im Moment noch nicht vorstellen, dass eine DFB-Defensive der Power der Belgier, der Franzosen und eines Harry Kane standhalten könnte. "Aber das heißt ja nicht, dass wir das nicht noch aufholen", schiebt Löw hinterher.
Sané und Süle schwer zu ersetzen
Dazu allerdings müssten zuallererst zwei Spieler rechtzeitig zurückkommen, die monatelang auf der Ausfallliste stehen: Leroy Sané in Topform scheint in der Offensive schwer ersetzbar, das haben die Spiele gezeigt, in denen er fehlte. In der Abwehr ist die Lücke von Niklas Süle kaum zu füllen. Selbst in einem an sich so wenig fordernden Match wie gegen die Weißrussen hat das Team demonstriert, wie sehr man diese beiden Spieler vermisste.
Kroos sagt: "Wir spielen schon viel besser als bei der WM", das gilt allerdings nur eingeschränkt und für einzelne Phasen. Die erste Halbzeit von Belfast gegen die Nordiren zum Beispiel war ein übler Rückfall in die Zeiten von Harmlosigkeit und defensiver Instabilität, nach dem Wechsel lief es dann besser. Auch dieses Spiel stand für das Auf und Ab innerhalb von 90 Minuten. Letztlich war die fehlende Konstanz das Konstanteste im Länderspieljahr 2019. Siege gegen Estland und Weißrussland sind kein Maßstab.
Es sei "ein schwieriges Jahr" gewesen, bilanziert der Bundestrainer, man habe gerade im Herbst "einen Umbruch im Umbruch" erlebt, als so viele Leistungsträger verletzungsbedingt ausgefallen waren. Auch das hat nicht dazu beigetragen, Joachim Löw zu einem Erkenntnisgewinn über den Stand der Mannschaft zu verhelfen. Das Team habe viel Potenzial, verkünden der Trainer und sein Führungsspieler Kroos unisono. Das sagt man meistens, wenn man nicht genau weiß, in welche Richtung es geht.
Kroos wurde befragt, welche Schulnote er dem Team derzeit geben würde. Er legte sich "irgendwo zwischen zwei und drei" fest. Das ist keine Zensur, mit der man Europameister wird. Aber vielleicht ist das diesmal auch gar nicht das realistische Ziel.