Bayern gegen Atlético Guardiolas letzter Schuss
Karl-Heinz Rummenigge ließ noch Milde walten. Als seine Bayern in der Vorwoche gerade das Halbfinalhinspiel bei Atlético Madrid 0:1 verloren hatten, lobte er auf dem anschließenden Bankett die Mannschaft, statt sie zu tadeln. Man solle nicht den Fehler machen, die Leistung schlecht zu reden.
Direkt neben ihm saß Josep Guardiola, in Gedanken verloren vor sich auf den Tisch starrend und für einen Moment sogar vergessend, Rummenigges Rede zu beklatschen. Er grübelte wohl schon darüber nach, wie man das verflixt nochmal anstellt, zum Champions-League-Finale nach Mailand zu kommen.
Seitdem hat er eine gute Woche Zeit gehabt, eine Woche, in der, ohne das Guardiola etwas dazu getan hat, die Zweifel gewachsen sind, ob er das Rezept tatsächlich findet.

Knapp drei Jahre hat der spanische Trainer nun in München verbracht. Es waren erfolgreiche Jahre, zumal niemand die dritte Deutsche Meisterschaft in Serie in Gefahr sieht, angesichts der fünf Punkte Vorsprung auf Borussia Dortmund. Doch der ganz große Erfolg, die Krönung durch den Sieg in der Königsklasse, fehlt noch.
Abschiedstour hat schon begonnen
Für Guardiola ist das Duell mit Atlético (20.45 Uhr ZDF, Liveticker SPIEGEL ONLINE) das siebte Champions-League-Halbfinale in Serie, wenn man seine einjährige Pause 2013 herausrechnet. Zum letzten Mal gewonnen hat er den Henkelpott aber 2011. Er ist in den vergangenen beiden Jahren jeweils an spanischen Vereinen gescheitert. Jetzt steht sein letztes Champions-League-Heimspiel in München an, schon wieder gegen einen spanischen Klub. Schafft er das Triple oder geht er als Triple-Halbfinal-Verlierer in die Geschichte des Klubs ein?
"Ich habe noch ein Bullet", hatte Guardiola vor ein paar Tagen wortwörtlich gesagt, noch eine Kugel also. Mehr Showdown geht nicht.
Beim Rekordmeister stärken sie ihm zurzeit den Rücken, Rummenigges Rede zeugte davon. Das ist normal, immerhin verfolgt man gemeinsame Interessen. Momentan zielt man aber vor allem darauf ab, die zeitlosen Errungenschaften des Trainers zu loben. So wird auch ein eventueller Misserfolg relativiert. Kapitän Philipp Lahm zum Beispiel sagt, der Trainer habe die Mannschaft und die einzelnen Spieler vielseitiger gemacht.
Und als ob er nach dem wichtigen Spiel gegen Atlético vielleicht nicht mehr dazu kommt, begann auch Guardiola am Dienstagabend schon einmal, ein Fazit seiner Zeit in München zu ziehen. Er redete dabei auffällig viel über sich selbst, und beantwortete vor allem die Fragen von spanischen Journalisten besonders ausführlich. "Wenn man nach hinten schaut, dann haben wir viel erreicht", sagte er. Der Lernprozess sei spektakulär gewesen. In Deutschland werde auch anders Fußball gespielt, für seine Karriere in England habe er viel mitgenommen. Auch seiner Familie habe es in München sehr gut gefallen. Es klang phasenweise wie eine Abschiedsrede.
Boateng kommt eine Schlüsselrolle zu
Um zu beweisen, wie viel man gelernt habe, nannte er auch das Halbfinal-Aus vor zwei Jahren gegen Real Madrid (0:1, 0:4) als Beispiel. Die Frage sei ja nicht, ob man aus dieser Partie etwas für das Spiel heute Abend ziehen könne. Denn man habe ja schon lange daraus gelernt. "Wir haben viel weniger Chancen und Tore bekommen. Die letzten zwei, drei Monate mit David Alaba und Joshua Kimmich in der Innenverteidigung!" Damit meinte er: sogar mit zwei körperlich kleinen Innenverteidigern.
Dass die Bayern zwei Tore gegen die starke Abwehr von Atlético schießen können - man darf es ihnen zutrauen. Zumindest werden sie sich die Chancen dafür erarbeiten. Doch entscheidend wird auch sein, ob die Abwehr dem Madrider Pressing und den Kontern standhält. Insofern ist die Frage, ob Jérôme Boateng in der Startelf steht, für Guardiola auch wichtiger als jene viel diskutierte, ob Müller diesmal wieder von Anfang an spielt.

Der wieder gesunde Boateng ist ein Schlüsselspieler für Guardiola, denn mit ihm muss der Trainer die wenigsten taktischen Kompromisse eingehen: Dank der bestmöglichen Absicherung kann er auch maximal offensiv spielen. Das liegt vor allem daran, dass der flinke und torgefährliche David Alaba auf der linken Seite einsetzbar wäre, anstatt des zuletzt arg schwächelnden Juan Bernat. Doch in dem Plan steckt auch ein Risiko. Ob Boateng nämlich schon wieder die Kraft hat, zur Not auch 120 Minuten zu spielen, steht in den Sternen. "Ich werde das wissen, wenn er 90 Minuten gespielt hat", sagt Guardiola.
Er selbst sei anpassungsfähiger geworden, sagt der Trainer. Der stumpfe Rasen in Madrid, der impulsive Atlético-Trainer Diego Simeone, der seine Mannschaft manchmal zu unfairen Aktionen animieren soll - all das sind für ihn Dinge, die man mit Vorwissen neutralisieren kann. "Wir werden füreinander sterben, es wird eine Schlacht", sagte Atléticos Angreifer Fernando Torres dann noch größtmöglich martialisch. Doch diesmal muss sich auch der Gegner ein wenig anpassen. In jedem Fall wird auf einem stark gewässerten Rasen gespielt. Das sagt allein schon die Wettervorhersage.